Krebsforschung:Wie öffentlich darf Henrietta Lacks' Erbgut sein?

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Henrietta Lacks wurde nie gefragt, ob ihre Zellen für die Forschung verwendet werden dürfen (Foto: REUTERS)

Zellen einer 1951 verstorbenen US-Amerikanerin dienen seit Jahrzehnten der Krebsforschung und haben geholfen, Medikamente sowie Impfstoffe zu entwickeln. Jetzt liegt ihr vollständiges Erbgut vor. Doch wie öffentlich darf das Genom einer Toten sein? Das fragen vor allem ihre Nachkommen.

Von Hanno Charisius

Sogenannte HeLa-Zellen zählen zu den fleißigsten Labormitarbeitern der Welt. Sie haben der Krebsforschung gedient und geholfen, Medikamente sowie Impfstoffe zu entwickeln. Kaum ein biomedizinisches Labor weltweit kommt ohne HeLa-Zellen aus - nicht nur weil sie sich unendlich vermehren lassen, sondern auch, weil Forscher seit sechs Jahrzehnten mit ihnen arbeiten und deshalb mehr über sie wissen als über die Zellen ihrer eigenen Körper.

Nur ihr vollständiges Genom war bis März dieses Jahres unbekannt, bis Genetiker vom Europäischen Molekularbiologischen Labor (EMBL) in Heidelberg es entziffert und in eine Datenbank geladen hatten.

Wie Forscher mit diesen Informationen umgehen sollten, beschreibt nun ein Beitrag in der Fachzeitschrift Nature (online). Die Entzifferung des HeLa-Genoms war ein wichtiger Schritt für die Wissenschaft und ein großes Problem für eine Familie in den Vereinigten Staaten - die Angehörigen von Henrietta Lacks, von der sämtliche HeLa-Zellen stammen.

Die Afroamerikanerin Henrietta Lacks starb am 4. Oktober 1951 als fünffache Mutter im Alter von 31 Jahren an Krebs. Er hatte sich von ihrer Gebärmutter aus im ganzen Körper ausgebreitet. Lacks' Ärzte hatten ihr kleine Gewebestücke aus dem kranken Organ geschnitten und es zum ersten Mal geschafft, menschliche Zellen in einer Kultur zu züchten. Das eröffnete neue Wege in der Forschung. Obwohl es Krebszellen sind, laufen die grundlegenden Funktionen in ihnen ab wie in gesundem Gewebe. Nahezu alle molekularen Mechanismen lassen sich an HeLa-Zellen studieren.

Zwei Familienmitglieder wachen über die Daten

Doch die Geschichte der HeLa-Zellen zeigt auch die dunkle Seite der Wissenschaft. Henrietta Lacks erfuhr nie etwas davon, dass man ihr das Gewebe entnommen hatte. Auch ihre Familie ahnte bis in die 1970er-Jahre nicht, dass die Zellen ihrer Ahnin in Laboren auf der ganzen Welt vermehrt wurden. An den Milliardenumsätzen der Industrie, die erst durch die Zellen möglich wurden, beteiligte man ihre Nachkommen genauso wenig. Als aber bekannt wurde, dass nun auch noch die genetischen Informationen Lacks' veröffentlicht wurden, wehrte sich die Familie.

Die Nachkommen der unfreiwilligen Spenderin sorgten sich, was man aus den genetischen Informationen der Krebszellen auch über sie erfahren könnte. Hinweise auf Erbkrankheiten könnten zum Beispiel in den Sequenzdaten stecken. "Aus Respekt vor der Familie Lacks", so schrieben die EMBL-Forscher deshalb nur wenige Tage nach der Veröffentlichung, "haben wir die Daten vorläufig zurückgezogen."

Rechtlich wären die Forscher nicht verpflichtet gewesen, die Zustimmung der Familie vor Veröffentlichung der Daten einzuholen. Doch angesichts der Geschichte dieser Zellen wäre es der richtige Schritt gewesen. Das wurde in den vergangenen Monaten von Vertretern der amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstitute ( NIH) stellvertretend für die weltweite Forschergemeinschaft nachgeholt.

In Nature berichten Kathy Hudson und Francis Collins von den NIH nun von den Gesprächen mit der Familie und zu welcher Einigung man gefunden hat. Die Genomdaten sollen nicht öffentlich zugänglich sein, sondern nur auf Antrag bei einem eigens dafür eingerichteten Gremium, dem auch zwei Familienmitglieder angehören. "Wir sind sehr froh, dass diese Lösung gefunden wurde", sagt EMBL-Forscher Wolfgang Huber, der an der Studie im März beteiligt war, die nun gleichzeitig mit einer weiteren Genomanalyse der Zellen und ergänzt um eine Danksagung an die Familie Lacks in ihrer endgültigen Version veröffentlicht wurde.

Statt den Umweg über das Gremium zu nehmen, könnte jedes Labor auch HeLa-Zellen aus den eigenen Beständen sequenzieren und damit arbeiten. Weil bereits so viel Wissen über die Zellen angesammelt wurde, wäre es gar möglich, ihr Erbgut aus den veröffentlichten Teilsequenzen zusammenzustückeln. Niemand ist auf den Datensatz angewiesen, den die NIH verwaltet. Doch Hudson und Collins bitten Forscher weltweit in ihrem Beitrag, dies nicht zu tun. "Die Daten so zu verwenden, wie die Familie es wünscht, ist der richtige und respektvolle Weg."

© SZ vom 08.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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