Es lächelt der See, er ladet zum Bade - die ersten Worte aus Schillers Drama "Wilhelm Tell" sind spätestens seit Pfingsten wieder aktuell: Teich, Tümpel, Weiher, Maar, Talsperre oder Baggersee, ganz egal, Hauptsache nass und kühl.
Nass werden die Binnengewässer auch in Zukunft sein, aber ob das mit der Kühle so bleibt, ist ungewiss. Viele Seen erwärmen sich im Zuge des Klimawandels offenbar schneller als Land und Luft. Um 0,34 Grad Celsius innerhalb von jeweils zehn Jahren ist die durchschnittliche Sommer-Oberflächentemperatur von 235 untersuchten Seen weltweit gestiegen.
Das stellte vor einiger Zeit eine große internationale Gruppe von Limnologen - Gewässerkundlern - fest. Die Landmassen kommen laut Weltklimarat IPCC auf etwa 0,26 Grad Erwärmung pro Dekade. Statistisch gesichert ist diese Differenz allerdings bislang nur für einzelne Seen.
Erderwärmung:Der Mythos von der Klimawandel-Pause
Eine angebliche Unterbrechung der globalen Erwärmung diente Klimaskeptikern lange als Argument. Nun sagen Forscher: Die Pause gab es gar nicht.
"Der Klimawandel verschärft den Stress, den Gewässer durch Überfischung und die intensive Nutzung der Ufer haben", sagt die Leitautorin der Studie, Catherine O'Reilly von der Illinois State University. Die Bedeutung der Seen könne kaum überschätzt werden, sie seien schließlich oft für die Wasserversorgung der Umgebung und das Funktionieren ihres jeweiligen Ökosystems entscheidend.
1,4 Millionen Seen auf der Erde sind größer als zehn Hektar
Dennoch war es schwierig, eine übergreifende Aussage für die enorme Zahl der Binnengewässer auf allen Kontinenten zu treffen: Schließlich gibt es global geschätzt hunderte Millionen, vielleicht sogar mehr als eine Milliarde Tümpel und Seen. Von diesen haben 1,4 Millionen eine Fläche von mindestens zehn Hektar (das ist gut die Hälfte der Hamburger Binnenalster). Die mittlere Erwärmung der gemessenen 235 Seen sei daher ein "vermutlich leidlich repräsentativer Wert", sagt O'Reilly. "Wir unterschätzen den Trend eher, als dass wir ihn überschätzen."
Das Team wertete Daten von 1985 bis 2009 aus, für jeden See lagen Messungen aus mindestens 13 Jahren vor. "Wir haben versucht, die Gewässer einzubeziehen, in denen die Wassertemperatur über längere Zeit kontinuierlich und systematisch gemessen worden sind", sagt Rita Adrian vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, die an der Studie beteiligt war, "entweder mittels regelmäßiger direkter Messung der Oberflächentemperatur oder per Satellit."
Erderwärmung:Was Forscher über den Klimawandel wirklich wissen
Wie ist der Stand der Wissenschaft zu den wichtigsten Fragen?
Unter den 235 Gewässern sind viele große und bekannte, zum Beispiel der Zürich- und Gardasee, der Wörthersee, der Balaton, die großen Seen an der amerikanisch-kanadischen Grenze, der Lago Argentino, der Nasser-Stausee in Ägypten, der Tanganjikasee in Ostafrika, der sibirische Baikalsee, Tonle Sap in Kambodscha und das Maroondah Reservoir in Australien. Deutschland ist mit Bodensee, Müggelsee (Berlin), Stechlinsee (Brandenburg) und Plußsee (Schleswig-Holstein) vertreten.
Zwischen den Seen der Studie gibt es große Abweichungen. Zwei Dutzend Gewässer haben sich den Daten zufolge in den vergangenen Jahrzehnten sogar abgekühlt, vor allem der Balaton (um 0,74 Grad pro Dekade), der dänische Limfjord und der Walensee in der östlichen Schweiz. Das könnten zum Teil statistische Ausreißer sein, Balaton und Limfjord zum Beispiel weisen nur jeweils 15 Jahre Daten auf: Da verfälscht ein zufällig warmes Jahr am Anfang oder ein kaltes am Ende der Zeitreihe leicht den Trend.
Zudem sind aus dem Forscherteam selbst Zweifel zu hören, ob die Balaton-Daten stimmen können. Am anderen Ende der Skala stehen der Franskjön in Schweden (plus 1,35 Grad pro Jahrzehnt), der Lake Superior in Nordamerika (plus 1,16 Grad) und der Müggelsee (plus 0,85 Grad pro Dekade). Auch der Bodensee liegt mit 0,53 Grad Zunahme klar über dem Mittelwert.
Während der globale Trend statistisch signifikant ist, weisen die Forscher ausdrücklich auf die teils frappierenden Unterschiede von Gewässern in der gleichen Region hin. "Regionale Übereinstimmung zwischen erwärmten Seen ist die Ausnahme, nicht die Regel", sagt Rita Adrian. Details wie Tiefe, Größe, Form der Ufer und lokale Wolken- und Windmuster überlagern den Einfluss von Klima und Temperaturentwicklung.
Was allein Tiefe ausmachen kann, zeigt der Vergleich von Lake Huron und Lake Erie, die beide hintereinander in der Kette der nordamerikanischen Great Lakes liegen. Während ersterer im Mittel fast 60 Meter tief ist und sich um 0,85 Grad pro Dekade erwärmt hat, kommt der letztere mit seinen 19 Metern nicht einmal auf eine Rate von 0,1 Grad.
Allerdings können die Forscher ihre Seen grob in acht Gruppen einteilen. Viele Seen in der Ebene oder in breiten Tälern, die schon lange milde Winter erleben, erwärmen sich unterdurchschnittlich, das gilt etwa für Wörther-, Garda- und Genfer See sowie den Lago Maggiore. Tiefe, in der Vergangenheit eisbedeckte Gewässer erwärmen sich hingegen oft mehr als doppelt so schnell wie ihre Umgebung. In diese Gruppe gehören Vättern in Schweden oder Lake Ontario.
Erst in Frühjahr und Herbst geraten die Seen wieder in Bewegung
Ob sie regelmäßig im Winter zugefroren sind, ist ein wichtiger Faktor für das Schicksal der Seen. Das hängt mit der thermischen Schichtung der Gewässer zusammen: Im Sommer ist das Wasser an der Oberfläche am wärmsten, unter einer Eisdecke jedoch oben am kältesten. In ausreichender Tiefe hingegen behält das Wasser meist vier Grad und damit seine größte Dichte. Diese Schichten unterschiedlicher Temperatur sind in beiden Jahreszeiten stabil und vermischen sich nicht mehr, Forscher sprechen von Stagnation. Erst in Frühjahr und Herbst geraten die Seen wieder in Bewegung, wenn sich die Temperaturen nivellieren und der Wind das Wasser durchmischt. Fällt die Schichtung im Winter mangels Eis aus oder wird sie kürzer, kann die Stagnation im Sommer früher beginnen und die Oberfläche sich stärker aufheizen.
Der Datensatz enthält allerdings keine Temperaturen bayerischer Alpenseen. Über diese hat auch das Landesamt für Umwelt in Augsburg nur unvollständige Daten seit dem Jahr 2000. Als Tendenz zeigen sie für Chiemsee, Ammersee und Starnberger See langsam steigende sommerliche Oberflächentemperaturen. Ein ähnliches Bild ergeben Satellitenmessungen zwischen 1989 und 2013, die ein Team um Michael Riffler von der Universität Bern ausgewertet hat. Es kommt für 25 Alpenseen in fünf Ländern auf eine durchschnittliche Erwärmung von 0,21 Grad pro Jahrzehnt. Ihre Daten schließen neben den drei bayerischen Gewässern auch den Vierwaldstättersee ein, wo Schillers Theaterstück zufolge Wilhelm Tell erst auf den Apfel schoss und dann auf Vogt Gessler.
Ein Indikator für Erwärmung ist das Nixenkraut. Es gedeiht bereits in fast allen bayerischen Seen
Doch auch ganz ohne Thermometer können Fachleute inzwischen erkennen, ob sich Seen in Bayern erwärmen. Ein Indiz ist die zunehmende Verbreitung der Wasserpflanze Nixenkraut. Das stachelige Gewächs galt bislang als bedrohte Art, es kam praktisch nur im Waginger- und Tachinger-See bei Traunstein vor. "Doch inzwischen finden wir es zum Beispiel auch im Starnberger, Seeoner und Staffelsee", sagt Uta Raeder von der Limnologischen Station Iffeldorf der Technischen Universität München.
"Das zeigt, dass sie zu warmen Seen werden." Die Wasserpflanze braucht nämlich, wie Experimente zeigen, mindestens 15 Grad warmes Wasser, damit ihre Samen keimen. Und dann muss es sechs Wochen lang mindestens 20 Grad haben, damit sie blühen kann, befruchtet wird und Samen für die nächste Saison bildet. Wasservögel tragen die Früchte in fremde Gewässer; Pflanzen werden daraus nur, wo die Temperaturverhältnisse stimmen.
In den erwärmten Seen verändern sich die Lebensgemeinschaften auf vielfältige Weise. Auch indirekte Effekte können große Folgen haben. So sorgt das regelmäßige Umwälzen dafür, dass sich Nährstoffe im See neu verteilen; dieser Mechanismus kann mit einer verlängerten Sommer-Stagnation aus dem Tritt geraten. Der Tanganjikasee zum Beispiel, der sich nur wenig aufgeheizt hat, ist bereits stärker geschichtet als früher. Darum gelangen viele Nährstoffe aus der Tiefe nicht mehr in die Regionen, wo Algen und Plankton sie verarbeiten können - in der von Licht durchfluteten Schicht nahe der Oberfläche. Viele Fische finden darum nicht mehr genug zum Fressen, was offenbar zum Rückgang der Ausbeute der lokalen Fischer beiträgt. Der Effekt macht sich im gesamten Nahrungsnetz bemerkbar.