Das Szenario ist Stoff für Albträume: Selbst wenn die Treibhausgas-Emissionen sofort aufhörten, könnte der Permafrost immer weiter auftauen, so berichten es Jorgen Randers und Ulrich Golüke von der Norwegian Business School in Oslo in Scientific Reports. Die Emissionen von Methan und CO₂ aus den einst gefrorenen Böden würden zusammen mit mehr Wasserdampf in der Luft und weniger Eisflächen, die Sonnenstrahlung ins All zurückwerfen, dazu führen, dass die Temperatur noch jahrhundertelang ansteigt. Bis zum Jahr 2500 wären rund drei Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit erreicht.
Allerdings ist es zum Verzweifeln vermutlich doch zu früh: Von Fachkollegen hagelt es harsche Kritik. Randers, emeritierter Professor für Klimastrategie und Koautor mehrerer Club-of-Rome-Berichte, und Golüke haben ein stark vereinfachtes Klimamodell namens "Escimo" verwendet. Das ist nach Auffassung von Experten im anspruchsvollen Feld der Klimamodellierung deutlich zu stark vereinfacht. "Ich glaube nicht, dass diese Ergebnisse irgendeinen wissenschaftlichen Wert haben", schreibt Seaver Wang vom Breakthrough Institute der SZ per E-Mail.
In dem Modell verläuft das Schmelzen von Eis und das Tauen von Permafrost proportional zur globalen Temperatur, der Wasserdampf in der Luft steigt noch schneller an. So einfach ist es aber nicht: Es dauert, bis der Permafrost reagiert und Klimagase in die Atmosphäre entlässt. In den Berechnungen von Randers und Golüke sind diese Rückkopplungseffekte so stark, dass sie ganz von allein die Erwärmung dauerhaft vorantreiben. "Das widerspricht sehr grundlegenden und akzeptierten Ergebnissen verbreiteter Erdsystem-Modelle", so Wang.
Permafrost schmilzt nicht, er taut
"Diese Studie könnte als Argument für eine irreführende Botschaft zitiert werden, dass es nun zu spät sei, katastrophalen Klimawandel zu vermeiden", sagt Richard Betts von der University of Exeter. "Die Studie ist aber nicht annähernd stark genug, um eine so furchterregende Botschaft glaubhaft zu machen." Seine Kritik setzt schon beim Titel an, in dem von "schmelzendem Permafrost" die Rede ist: "Permafrost schmilzt nicht, er taut."
Das ist keine sprachliche Besserwisserei, sondern ein fundamentaler Unterschied. Die Permafrost-Forscherin Christina Schädel von der Northern Arizona University hat dazu eine Analogie bemüht: Wenn man einen Eiswürfel und ein gefrorenes Hühnchen aus dem Tiefkühlschrank holt, schmilzt der Eiswürfel und hinterlässt eine Wasserpfütze. Das Huhn dagegen taut auf, bleibt aber fest. Erst später beginnt es, sich zu zersetzen. So ähnlich ist es auch beim Permafrost.
Tatsächlich haben mehrere Studien gezeigt, dass die Emissionen aus Permafrostböden durchaus relevant sein könnten. Das würde bedeuten, dass die Menschheit noch weniger CO₂ emittieren darf, wenn das Paris-Abkommen eingehalten werden soll. Hinweise, dass diese Emissionen allein bereits mehrere Grad Temperaturanstieg garantieren, gibt es jedoch nicht. Helge Goessling vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven kritisiert, dass diese und andere Ungereimtheiten nicht genauer geprüft wurden: "Ich habe den Eindruck, dass bei dieser Studie der Peer-Review-Prozess nicht in ausreichendem Maße gegriffen hat", sagt er.