Gute Nachrichten sind ein knappes Gut im Klimaschutz. Daher ist es nur verständlich, dass die jüngsten Treibhausgas-Daten weltweit begeistert gefeiert wurden: Seit drei Jahren hat der Ausstoß von Kohlendioxid durch das Verbrennen fossiler Rohstoffe kaum noch zugenommen, nach einem steilen Anstieg in den Jahren zuvor. Das klingt, als hätte die Welt die Wende im Klimaschutz geschafft. Oder etwa nicht? Viele Wissenschaftlern reagieren reserviert auf das Abflachen der CO₂-Kurve.
"Das ist noch kein Grund zu feiern", sagt Sabine Fuss vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. "Wir müssen genau hinschauen, welche Prozesse dahinterstecken." Dass der CO₂-Ausstoß derzeit stagniert, muss nicht unbedingt mit Klimaschutz zu tun haben. Es kann an vielen Dingen liegen: etwa daran, dass sich die Konjunktur gegenüber dem vergangenen Jahrzehnt etwas verlangsamt hat. Deswegen hat ein Team um Glen Peters vom Zentrum für Internationale Klima- und Umweltforschung in Oslo nun eine Methode entwickelt, mit der sich der Fortschritt im Klimaschutz genauer messen lässt. Das überraschende Ergebnis ihrer Studie, die kürzlich im Fachblatt Nature Climate Change erschienen ist und an der auch Sabine Fuss beteiligt war: Die Weltgemeinschaft steht auf vielen Gebieten sogar ganz gut da - aber auf anderen sehr schlecht.
So liegt der Ausbau der erneuerbaren Energien in etwa im Rahmen dessen, was nötig wäre, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Auch der Anteil von Kohle, Öl und Gas an der Energieerzeugung sinkt einigermaßen planmäßig. So weit, so gut, so viel Anlass zu Feierlaune.
Die Wissenschaftler um Peters wollten aber auch im Einzelnen verstehen, was in den Ländern passiert, die zu den größten Klimasündern zählen. Ob in einem Land die Emissionen steigen oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu zählen das Bevölkerungswachstum, das Wirtschaftswachstum und die Energieeffizienz. Aber an den ersten beiden lässt sich nicht viel ändern, und bei der Energieeffizienz sind kaum gewaltige Sprünge möglich. Darum halten Forscher eine vierte Größe für entscheidend, um den tatsächlichen Fortschritt im Klimaschutz zu messen: Wie viel CO₂ wird beim Erzeugen einer bestimmten Energiemenge frei?
Die USA konnten sich da zum Beispiel verbessern, indem sie einen Großteil der besonders klimaschädlichen Kohle durch Gas ersetzt haben. Die EU schaffte es, indem sie viele Wind- und Solaranlagen aufgebaut hat. Das hat zwar auch China getan, der größte CO₂-Emittent der Welt. Aber entscheidend für das deutlich langsamere Wachstum der chinesischen Emissionen war etwas anderes. "Der zentrale Faktor in China ist die Wirtschaft", erklärt Leitautor Glen Peters. "Es gab einen Einbruch im Bausektor und der Produktion von energieintensiven Produkten wie Stahl."
Mit anderen Worten: Der positive Trend der CO₂-Emissionen - er steht auf wackligen Beinen. "Eine Rückkehr zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum könnte zu einem neuen Emissionswachstum führen", heißt es in der Studie. Bestehende Kohlekraftwerke könnten dann wieder stärker genutzt werden, neue schnell aufgebaut werden. Um das zu verhindern, empfehlen die Autoren, rasch aus der Kohle auszusteigen und Wind- und Solaranlagen auszubauen - bis sich das Wirtschaftswachstum vom CO₂-Ausstoß abgekoppelt hat.
Wahrscheinlich geht es nicht ohne die umstrittene CCS-Technik. Bisher gibt es aber kaum Anlagen
Allerdings stellen sie auch klar: Der Ausbau der Ökoenergien alleine reicht nicht aus, um die Welt auf einem Zwei-Grad-Pfad zu halten. Allein mit den bisherigen Zusagen der Länder im Pariser Klimaabkommen würde sich die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts laut einem UN-Bericht um 2,9 bis 3,4 Grad erhitzen - zu viel, um die Erderwärmung noch unter Kontrolle zu halten. "Es braucht noch andere Technologien", sagt Fuss. Und da, auch das zeigt die neue Studie, liegt die Welt derzeit ganz und gar nicht im Plan.
Denn die große Mehrheit der Zwei-Grad-Szenarien, die Forscher sich bislang vorstellen können, kommen nicht ohne eine umstrittene Risikotechnologie aus: Carbon Capture and Storage (CCS), die Möglichkeit also, Kohlendioxid einzufangen und unter die Erde zu pressen. Bisher nutzen das nur ein paar wenige Kohlekraftwerke in Kanada und den USA. Viele der Zwei-Grad-Szenarien im jüngsten Weltklimabericht setzen aber Tausende solcher Anlagen bis zum Jahr 2030 voraus. Drei Viertel der Szenarien verlangen darüber hinaus eine Kombination von CCS und dem Anbau von Energiepflanzen: Die sollen das CO₂ aus der Luft filtern und dann verbrannt werden, wobei das frei werdende CO₂ abgefangen wird; so lassen sich Emissionen nachträglich aus der Luft zurückholen.
Bisher gibt es dafür jedoch nur Demonstrationsprojekte. Selbst wenn es gelänge, genügend Anlangen aufzubauen, taucht ein neues Problem auf: Um eine nennenswerte Klimaschutz-Wirkung zu entfalten, bräuchte es eine Ackerfläche doppelt so groß wie die Landfläche Indiens, schätzen Experten.