Etwas verschämt tauchen sie das erste Mal in der frühen Neuzeit in der europäischen Kunstgeschichte auf, ganz am Rande eines Markstandes, den der niederländische Maler Pieter Aertsen (1509-1575) vermutlich 1567 gemalt hat. Stolz präsentiert dort eine Marktfrau Weintrauben und Kohlköpfe, kleine Gurken und Äpfel, im Zentrum ein prächtiger Blumenkohl. Leicht zu übersehen sind hingegen die drei, vielleicht vier klar orangefarbene Karotten, etwas angeschnitten, am rechten Rande des Gemäldes. Wer hätte damals gedacht, dass allein Deutschland - Platz fünf auf der Weltrangliste - im Jahr 2021 knapp eine Million Tonnen dieser Gemüsepflanzen produzieren würde? Der Blumenkohl hingegen liegt heute abgeschlagen bei 127 000 Tonnen.
Die Erfolgsgeschichte der Karotte ist vielleicht auch eine ihrer Farbe. Ursprünglich weiß im Mittelmeergebiet, gelb und rotviolett in Afghanistan, züchteten die heute meistverbreiteten signalorangen Formen vermutlich Bauern in den Niederlanden, wie eben die Maler bezeugen. Aber erst jetzt hat ein Team um die Pflanzenwissenschaftler Massimo Iorizzo und Kevin Coe von der North Carolina State University die genetischen Ursachen hinter diesen Farbpigmenten entschlüsselt. Wie die Forscher und Forscherinnen im Fachmagazin Nature Plants berichten, sind drei spezifische Gene für die Farbe der Karotten verantwortlich. Allerdings müssen diese erstaunlicherweise rezessiv sein, also sozusagen: ausgeschaltet sein.
"Normalerweise braucht man angeschaltete Gene, damit sie eine Funktion ausüben", sagt Massimo Iorizzo in einer Mitteilung der NC State University zu der neuen Nature-Studie: "Im Fall der orangefarbenen Karotte müssen die Gene, die die orangefarbenen Carotinoide regulieren - die Vorstufe von Vitamin A, die nachweislich gesundheitsfördernd ist -, ausgeschaltet werden."
Die NC-State-Wissenschaftler erforschen seit Jahren in Kooperation mit Kollegen und Kolleginnen der University of Wisconsin-Madison die Geschichte und Domestikation der Karotte. Insgesamt sequenzierten sie die Genome von 630 Arten der Pflanze. 2016 publizierte die Arbeitsgruppe das erste Karotten-Genom überhaupt.
In den Galerien und Museen für moderne Kunst finden sich heute erstaunlich wenig Karotten
Dabei führten die Forscher in den früheren Studien Strukturanalysen bei fünf verschiedenen Karottengruppen durch, um unter anderem jene Bereiche des Genoms zu finden, die für die sensorische Qualität der Wurzel wichtig sind. Als wichtig erwiesen sich zum Beispiel Gene, die den Blühprozess verzögern, denn die Blüte führt dazu, dass Karotten verholzen und ungenießbar werden. Was wenig Menschen wissen: Lässt man Karotten während ihres natürlichen, zweijährigen Wachstumszyklus in Ruhe wachsen, werden die oberirdischen Blütenstengel bis zu 1,50 Meter groß.
Mithilfe der neuen Daten lässt sich zudem die Domestikationsgeschichte der Karotte besser rekonstruieren. Sie bestätigen, dass sie im neunten und zehnten Jahrhundert in West- und Zentralasien erstmals domestiziert wurde. Die modernen orangen Karotten stammen vermutlich aus einer Kreuzung von weißen und gelben Wurzeln. Ihr süßer Geschmack und womöglich auch die attraktive Farbe führten dazu, dass sie sich vom 15. oder 16. Jahrhundert an in Westeuropa verbreiteten. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden dann weitere Typen gezüchtet, wie sich heute noch auf einschlägigen Bildern in den Gemäldegalerien nachvollziehen lässt: Shades of orange.
Erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erkannten dann Ernährungsphysiologen, dass die orangefarbenen Karotten auch besonders viele von denen später nach ihnen benannten Carotinoiden enthalten, hinzu kommen relativ hohe Anteile von Vitamin C, Kalium und Eisen. Karotten haben deshalb eine besondere Bedeutung bei der Ernährung von Babys und Kleinkindern sowie in der Diätküche allgemein. Selten hingegen finden sich mittlerweile Darstellungen von Karotten in den Galerien für moderne Kunst.