IPCC-Bericht:Mit der Diplomaten-Axt an den Klimaschutz

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Der IPCC weist in seinem jüngsten Bericht den Weg, wie die Staaten der Welt die globale Erwärmung begrenzen können. Bis zuletzt haben manche Länder versucht, die Botschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Von Christopher Schrader und Marlene Weiß

Über die Wahl des Verkehrsmittels ist sich der Weltklimarat nicht ganz einig. Bei der Vorstellung ihres jüngsten Teilberichts am Sonntag in Berlin nutzen die IPCC-Oberen Metaphern, die sich gegenseitig ausschließen. Während Präsident Rajendra Pachauri, ein Inder, von einem Schnellzug zum Klimaschutz sprach, der bald mit der ganzen Weltgemeinschaft an Bord abfahren müsse, bemühte Arbeitsgruppenleiter Youba Sokona aus Mali die Nautik.

Die Wissenschaftler hätten eine detaillierte Karte erstellt, die Politiker müssten sie nun zum Navigieren um Klippen und durch Untiefen nutzen.

An den wissenschaftlichen Aussagen lassen die Vertreter des Weltklimarats jedoch keinen Zweifel zu: Ein Klimaschutz, mit dem es gelingen könnte, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, ist noch möglich. Er hat vergleichsweise überschaubare Kosten, und bietet noch viele andere Vorteile als nur die Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe, zum Beispiel verbesserte Luftqualität, die vielen Großstädten Asiens zugutekommt. Aber, und das ist die schlechte Nachricht: Das Zeitfenster dafür schließt sich.

"Wenn wir das Handeln bis 2030 aufschieben, müssen wir umso stärkere Anforderungen erfüllen, die mit höheren Kosten und größeren Risiken verbunden sind", sagt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der ebenfalls zu den Leitern der dritten Arbeitsgruppe des Weltklimarats zählt und zur Abschlusssitzung nach Berlin geladen hatte.

Der Bericht seines Teams stellt den dritten und letzten Teils des fünften IPCC-Reports dar. Er befasst sich mit der Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels. Teil eins zu den physikalischen Grundlagen der Erderwärmung wurde im vergangenen Herbst vorgelegt, Teil zwei zu Auswirkungen des Klimawandels und die Anpassung daran Ende März.

Die Wissenschaftler um Edenhofer haben unter anderem 900 computer-generierte Szenarien analysiert, wie sich Maßnahmen einer Klimapolitik in den kommenden Jahrzehnten auswirken könnten. Und sie stellen fest, dass die Welt seit 1750 bereits große Mengen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan ausgestoßen hat. Mehr als die Hälfte davon hat Schornsteine und Auspuffe erst in den vergangenen 40 Jahren verlassen, und das letzte Jahrzehnt habe trotz Finanzkrise noch eine deutliche Steigerung gebracht.

Insgesamt hat der Bericht mehr als 2000 Seiten und 16 Kapitel. Die 33-seitige "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger" (SPM) ganz vorne ist dabei der einzige Teil, auf den Regierungen direkten Einfluss hatten. Diese Kurzversionen werden bei allen IPCC-Schriften mit Politikern abgestimmt. Der Prozess stellt sicher, dass kein Staat die Fakten in der SPM grundsätzlich infrage stellen kann. Darum haben Wissenschaftler und Politiker in einem Berliner Hotel von Montag bis Samstag vergangener Woche intensiv verhandelt. Die Vertreter stritten oft um einzelne Worte, Formulierungsvorschläge wurden dann in verschiedenen Farben auf Leinwände an der Stirnseite des Konferenzsaals projiziert.

Manche Delegierte erzählten, sie hätten erst Samstagmittag zum ersten Mal seit Montag wieder das Haus verlassen. Freitag hatten die Teilnehmer bis zwei Uhr morgens, Samstag sogar bis sechs Uhr getagt. Obwohl die Konferenz den letzten Entwurf Zeile für Zeile durchging, war der Prozess alles andere als linear: Insgesamt hatte der IPCC, so ein Zwischenstand in der vergangenen Woche, nach 80 Prozent der vorgesehenen Zeit 40 Prozent der Arbeit geschafft. Die Gespräche seien "schwierig, aber konstruktiv" gewesen, hieß es aus dem Plenum.

Das Ergebnis aber ähnelt wie so oft dem kleinsten gemeinsamen Nenner. So haben offenbar die USA durchgesetzt, dass bei möglichen Ausgleichszahlungen der reichen an ärmere Staaten, mit denen diese den Klimaschutz bezahlen können, keine konkrete Zahl mehr steht. Der vertrauliche letzte Entwurf hatte von "Hunderten Milliarden Dollar" gesprochen, in der Schlussfassung steht nur noch "substantiell". Auf ähnliche Weise wurde aus den geforderten "grundlegenden" Veränderungen im Energiesystem "weitreichende".

Zwei Grafiken sind der Axt der Diplomatie zum Opfer gefallen. Eine zeigte, wie sich die Emissionen von Treibhausgasen in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Es gab vier verschiedene Kurven für vier nach Einkommen unterschiedene Ländergruppen.

Allein die hellblaue Linie der Staaten mit "höherem mittleren Einkommen" wies nach oben. In diese Kategorie gehören Schwellenländer wie China. Sie wollten die Deutung ausschließen, dass diejenigen die Emissionen am meisten reduzieren müssen, die sie am meisten gesteigert haben. Tatsächlich verlief ja die dunkelblaue Linie der reichen Länder wie USA und Deutschland bei leichtem Abwärtstrend immer noch weit über der hellblauen.

Ebenso gestrichen wurde eine Grafik, die den globalen Handel zum Thema hatte. Wenn Konsumgüter für die reichen Staaten aus Schwellenländern kommen, müssen sich diese nach den geltenden Regeln die CO2-Emissionen zurechnen lassen.

Der IPCC wollte nun aufzeigen, wie sich die Bilanz der Treibhausgase verändert, wenn man nicht den Produktions-, sondern den Konsumort betrachtet - das verschiebt die Bilanz deutlich zu Ungunsten der reichen Länder, und dieser Effekt hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verstärkt. Das gefiel aber einer Gruppe von Delegierten auch nicht. Auch der zugehörige Absatz im Text ist verschwunden.

Dafür wird in der Endfassung deutlicher als in den Vorversionen klargestellt, dass die Begrenzung des Klimawandels eine Frage der Gerechtigkeit und nötige Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung, Gleichheit und ein Ende der Armut sei. Es ist jetzt der erste inhaltlich bedeutsame Satz der Zusammenfassung.

Niklas Höhne, beim Beratungsunternehmen Ecofys für Energie und Klimapolitik zuständig, war Leitautor des heiklen Kapitels über die internationale Zusammenarbeit. "Es war klar, dass die Verhandlungen da schwierig werden würden, und es wurde letztlich viel gestrichen", sagt er. Das dürfte auch ein Vorgeschmack auf die Verhandlungen im kommenden Jahr in Paris über ein globales Klimaabkommen sein - noch sind Industrie- und Schwellenländer eben nicht gemeinsam unterwegs, weder im Klimaschutz-Schnellzug noch auf einem Schiff.

Höhne legt aber auf eines Wert: "Klimaverhandlungen sind wichtig, aber es muss parallel noch viel anderes passieren." Also Veränderungen auf niedrigerer Ebene, die zum Teil auch schon begonnen hätten: Städtebündnisse gegen den Klimawandel, Klimaschutz-Zusagen von Konzernen, oder der weitere Ausbau der Erneuerbaren. All das könne nicht auf Paris warten, egal, was dort beschlossen wird: "Wir haben schon zu viel Zeit verloren."

Noch ist der Klimaschutz-Zug alles andere als abfahrbereit - dabei drängt die Zeit, auch das zeigt der neue Bericht klarer und sicherer als je zuvor. "Wir müssen anfangen, den Zug auf die Schiene zu bringen", formuliert es Ottmar Edenhofer vorsichtig. Und zwar unabhängig davon, ob man nun die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad Celsius begrenzen möchte, wie es sich die Vereinten Nationen ursprünglich vorgenommen hatten, oder ob man drei Grad Erwärmung zulässt, beides erfordert große Reformen (siehe Interview unten). Soll die Zwei-Grad-Grenze halten, müssen die Emissionen bald deutlich sinken.

Aber gerade in diesem Punkt zeigt sich, wie schnell die Realität jedes Modell überholt. Der IPCC verwendet Daten zu den globalen Emissionen bis zum Jahr 2010; die meisten vorsichtig optimistischen Klimaschutz-Szenarien zeigen schon zu diesem Zeitpunkt einen Knick nach unten, der Treibhausgas-Ausstoß sollte demnach eigentlich längst stagnieren oder gar sinken. Tatsächlich jedoch haben die globalen CO2-Emissionen in den vergangenen beiden Jahren neue Rekordwerte erreicht. Und wie riskant jedes weitere verlorene Jahr ist, das hat schon der erste Teil des IPCC-Berichts im vergangenen Herbst deutlich gezeigt: Soll die Erderwärmung unter zwei Grad bleiben, darf die Menschheit seit der industriellen Revolution nur gerade 800 bis 1000 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen. Mehr als die Hälfte dieses Budgets ist aber schon aufgebraucht.

Schlecht kommt in dem Bericht der Energieträger Kohle weg. Jahrzehntelang war die Energieerzeugung stets sauberer geworden, aber seit der Jahrtausendwende hat sich dieser Trend umgekehrt: Pro Energieeinheit wird wieder mehr CO2 ausgestoßen, trotz des rasanten Ausbaus der Erneuerbaren. Schuld ist der wachsende Einsatz von Kohle. Für eine effektive Bekämpfung des Klimawandels müsste daher das Energiesystem radikal umgebaut werden. Der Anteil klimaschonender Technologien an der Energieerzeugung müsste sich demnach bis 2050 verdreifachen bis vervierfachen.

Der Klimarat betont zwar stets, dass er keinerlei Empfehlungen für die Politik abgebe, sondern nur Möglichkeiten aufzeige, aber aus dem Bericht wird ziemlich klar: Schließt man bestimmte Technologien aus, wird es sehr schwierig. Relativ unumstritten dürfte die Energieeffizienz sein, wo die Autoren noch großes Potenzial sehen. Aber zu den klimaschonenden Technologien zählt der IPCC nicht nur die Erneuerbaren, sondern auch Atomkraft sowie die umstrittene CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), bei der das Kohlendioxid bei der Verbrennung abgefangen und gelagert wird.

Diese Technologie hat zwar den theoretischen Vorteil, dass sie bereits emittiertes Klimagas aus der Atmosphäre zurückholen kann, wenn man sie mit Bioenergie kombiniert: Das CO2, das die Energiepflanzen beim Wachsen aus der Atmosphäre aufnehmen, wäre damit unschädlich gemacht. Die Autoren räumen aber ein, dass die CCS-Technologie mit großen Risiken und Unsicherheiten behaftet ist. Gleichzeitig sehen sie kaum andere Möglichkeiten, Verzögerungen beim Klimaschutz später wieder aufzuholen, wenn sie die Möglichkeit ausschließen.

Hoffnung kommt womöglich aus ungewohnter Richtung. Der Greenpeace-Campaigner Li Shuo berichtete am Rande der Berliner Tagung, dass sein Land eine massive Reduktion des Kohleverbrauchs beschlossen habe. Das Motiv ist, die Luftverschmutzung in den Ballungszentren zu bekämpfen, aber so spart das Land auch CO2-Emissionen ein. Wenn andere Staaten ebenfalls ihre Aufgaben im Klimaschutz erfüllen, so Li Shuo, könne es tatsächlich noch gelingen, dass die globalen Emissionen 2020 ihren Gipfel erreichen und dann sinken.

© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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