Insekten:Die Käfer sterben - und keiner kennt sie

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Es gibt kaum noch Hobbysammler, die sich für Käfer interessieren - das ist auch für Wissenschaftler ein Problem. (Foto: dpa)

Nicht nur Bienen, auch Käfer sind von einem Massensterben betroffen. Doch das Wissen über die Krabbler droht mehr und mehr verloren zu gehen.

Von Stephanie Eichler

Oliver Hillert spannt aus. Im Sommerurlaub fahren er und seine Frau mit einem Mietwagen von Athen aus in ein entlegenes Bergdorf. Hier findet Daniela Hillert malerische, kaum besuchte Buchten und ihr Mann eine trockene, mit Büschen locker bewachsene Landschaft: der bevorzugte Lebensraum vieler Käfer. Denn sie sind Hillerts Hobby. Am Feierabend und in jedem Urlaub geht er auf die Suche nach Krabbeltieren, sammelt manche ein, bestimmt sie und teilt seine Entdeckungen mit anderen Käferbegeisterten.

Sammler wie Hillert haben im Allgemeinen kein gutes Image, weil sie Tiere töten, mit Nadeln durchstechen und in Glaskästen ausstellen. Doch Tatsache ist, dass auch bei den meisten wissenschaftlichen Studien zu Bestandszahlen oder Verhalten von Insekten Tiere ums Leben kommen. Und tatsächlich leisten die freiwilligen Käfersammler einen großen Beitrag zu deren Schutz: Sie identifizieren Arten und ­ihre Lebensräume und erarbeiten somit wertvolle Kenntnisse. Das wird oft übersehen, dabei ist dieses Wissen vor dem Hintergrund des Arten- und Insektensterbens nötiger denn je.

Die große Unbekannte

"Es ist davon auszugehen, dass auch die Käfer sterben", sagt der Käfer­experte Dirk Ahrens vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn. "Und zwar nicht nur die seltenen, sondern auch die weit verbreiteten Arten." Das ist besorgniserregend, denn Käfer sind in vielerlei Hinsicht unverzichtbar für die Natur. Sie sind Futter für Dohlen und Eichelhäher oder bauen, wie der Dungkäfer, Exkremente und organisches Material ab. Ganz zu schweigen von Krabbeltieren wie etwa Glühwürmchen und Feuerkäfern: Erstere vertilgen Schnecken, letztere die Larven des Borkenkäfers. Der Marienkäfer, der Blattläuse frisst, wird manchmal sogar zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Doch welche Käferarten sind wie stark vom Aussterben betroffen? Und wie lassen sich ­diese am besten schützen? Ahrens und andere ­Käferforscher können diese Fragen noch nicht zufriedenstellend beantworten - sie wissen viel zu wenig.

Bei vielen bedrohten Tierarten hierzulande, wie Singvögeln oder Bienen, sind einzelne Spezies, ihre Verbreitung und ihre Lebensbedingungen gut erforscht. Naturliebhaber und Umweltverbände können sich dadurch leichter für ihren Schutz engagieren. Doch die ­Lobby der Käfer ist zu klein: Zum einen zählt Deutschland nur rund 200 Käferfans, die wie Hillert ihre Freizeit den Krabbeltieren widmen. Zum anderen sind an Forschungsinstituten nicht mehr als eine Handvoll Artenkundler wie Ahrens mit der Erfassung der Tierchen beschäftigt. Die rund 7000 Käferarten, die in Deutschland verbreitet sind, sind zwar alle beschrieben. Aber um den Rückgang auf einzelne Spezies beziehen zu können, müssten die Experten an vielen verschiedenen Orten ­Käfer sammeln, zählen, ihre Arten bestimmen und ein paar Jahre später zu denselben Fundorten zurückkehren und die Untersuchungen wiederholen. "Dazu fehlt uns schlichtweg das Personal", sagt Ahrens.

Um den Schwund der Käfer eines Tages besser zu verstehen, engagiert sich der Insektenkundler bei ­einem spektakulären Projekt zur Artbestimmung, dem International Barcode of Life. Das ehrgeizige Ziel ist die genetische Identifizierung aller Tier-, Pflanzen- und Pilzarten weltweit und dadurch ein detaillierter Überblick über die Artenvielfalt. ­Ahrens und seine Mitarbeiter sind für die Erfassung der Krabbeltiere Deutschlands verantwortlich.

Das wichtigste Instrument der Insektenkundler war bisher das Mikroskop. Es dient zur Unterscheidung der äußerlichen Merkmale. Anhand des allgemeinen Aussehens der Käfer, der Form ihrer Genitalorgane und manchmal auch des Flügelgeäders können Experten wie Ahrens und Hillert einzelne Exemplare einer Art zuordnen. Ein aufwendiger Vorgang, der pro Käfer viele Stunden dauern kann. Ganz wird man um diese optische Analyse auch in Zukunft nicht herumkommen, schon um das Wissen um Artmerkmale zu erhalten. Doch das neue Projekt soll die Zuordnung erleichtern: Die einzelnen bekannten ­Arten werden dabei anhand eines DNA-Barcodes charakterisiert, ähnlich einem Strichcode für Waren. Es genügt also, das entsprechende DNA-Stück eines Käfers mit einer Datenbank abzugleichen - ein Vorgang, der computergesteuert abläuft und nur ein paar Minuten Zeit in Anspruch nimmt. Ziel ist es, Insekten irgendwann mit einem Decoder bestimmen zu können: "Wie bei Raumschiff Enterprise", sagt Dirk Ahrens, "einfach raufhalten und schon weiß man, um welche Art es sich handelt."

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Doch zur Zeit arbeiten die Forscher noch an der Erstellung der Datenbank. "Wir haben erst von zwei Dritteln der in Deutschland vorkommenden Käfer Barcodes analysiert", so Ahrens. Dabei handelt es sich jeweils um ein Fragment mit rund 650 Basenpaaren auf dem Gen, das ein Enzym, die Cytochrom-c-Oxidase-1, codiert (CO1-Gen). Seine Analyse ist ein gängiger Vorgang zur Beschreibung der Arten, denn dieser Genabschnitt kommt bei allen Tieren vor, und zwar in der Regel bei jeder Spezies in einzigartiger Weise. Ahrens und seine Mitarbeiter gingen davon aus, dass sich anhand dieser Gensequenz auch die Käferarten eindeutig bestimmen lassen. Doch im Laufe des Projekts wurden die Wissenschaftler eines Besseren belehrt.

Zur genetischen Analyse eines einzelnen Käfers zupft Ahrens dem Tierchen zunächst ein Bein ab. Am besten eignen sich erst kürzlich gesammelte und in ­Alkohol konservierte Käfer. "Bei den Tieren aus älteren Sammlungen liegt die DNA aufgrund ihres Alters nurmehr zerstückelt vor", erklärt der Experte. Die Analyse des Erbguts ist dadurch erschwert und es kommt leichter zu Verwechslungen zwischen den ­Arten. Der Wissenschaftler gibt das Käferbein in eine mit Enzymen versetzte Lösung, wodurch die DNA frei wird und der gewünschte Genabschnitt sequenziert werden kann. "Allerdings erhalten wir so nur ­eine grobe Idee, um welche Art es sich handelt", sagt Ahrens. "Die Fehlerquote kann bei 50 bis 80 Prozent liegen." Ein Grund dafür: Bei Käfern kommt es recht häufig vor, dass sich Individuen unterschiedlicher Arten paaren. "Über mehrere Generationen bleibt dann ein Teil des fremden Erbguts in den Genen erhalten, auch im CO1-Gen", erklärt Ahrens. Doch er ist überzeugt davon, dass die Bestimmung der Käfer per Genanalyse eines Tages schnell und fehlerfrei funktioniert: "Wir untersuchen, welche weiteren ­Gene wir analysieren müssen, um zuverlässige An­gaben zu erhalten", sagt er. "Eventuell brauchen wir auch die Daten des gesamten Genoms."

Schwierigkeiten mit der Methodik sind aber nicht das einzige Problem, weshalb das Projekt zur Zeit schleppend voranschreitet. Ahrens erhält zwar Unterstützung von rund 20 Hobby-Entomologen, doch es könnten noch deutlich mehr Sammler sein. Vor allem, um auch die seltenen Arten zu finden. Anisoplia erichsoni zum Beispiel, ein mittelgroßer, fast eiförmiger Käfer, dessen Vorkommen bisher nur in Süddeutschland belegt ist und der an den Gräsern extensiv genutzter, trockener Wiesen lebt, fehlt noch in der Datenbank.

Auch Oliver Hillert kennt die Plage mit den seltenen Tierchen. Doch bei seinem letzten Sommer­urlaub hatte er Glück: Am ersten Abend im griechischen Dörfchen Vilia erreicht er bei Einbruch der Dunkelheit etwas außerhalb des Ortes ein Hochplateau, das nur spärlich bewachsen ist. Die Käfer haben hier bei ihren nächtlichen Flügen freie Bahn. Um die Tierchen anzulocken, spannt Hillert ein weißes Tuch und beleuchtet es mit Schwarzlicht. Nur wenige Minuten später sitzen Falter auf dem Tuch - und ein kleiner, grauer Käfer. "Das ist ein Ochodaeus, ein absoluter Glücksfall", schwärmt Hillert, "er ist nur bei Dunkelheit zu fangen, wenn er für kurze Zeit sein unterirdisches Versteck verlässt, vermutlich für einen Paarungsflug." Der Käfer, über den sich der Sammler so freut, stammt von einer Gattung aus der Zeit, bevor die Kontinente Nordamerika und Eurasien auseinanderbrachen - lange bevor der erste Mensch entstand. Mit seinem Fund liefert der Sammler den Beleg dafür, dass die Art heute auch in den Bergen Griechenlands verbreitet ist. Dieses Ergebnis publiziert Hillert in einem Online-Archiv der Universität Nebraska, über das sich Käferexperten weltweit austauschen.

Schon einige Veränderungen in der Landwirtschaft könnten den Käferschwund abmildern

"Das Wissen, das uns heute über Käfer zur Verfügung steht, stammt oft von Hobbyforschern, auch weil sie ihre Sammlungen häufig an Museen vererben", sagt Dirk Ahrens. Doch die Sammler benötigen heutzutage eine Genehmigung, bevor sie aus der ­Natur Insekten mitnehmen. Das soll die Tiere schützen, aber die Bürokratie schreckt womöglich viele interessierte Personen ab. Tatsache ist: Den Sammlern fehlt der Nachwuchs. "Wir brauchen die Experten, die sich durch jahrelanges Sammeln und Bestimmen der Käfer ein enormes Wissen angeeignet haben", sagt Ahrens.

Aber trotz der Forschungslücken lässt sich schon jetzt zum Schutz der Käfer handeln. "Wir wissen, dass wir durch die zunehmende Nutzung des Bodens für die Landwirtschaft die Lebensräume der Käfer zerstören", sagt der Entomologe. "Zum Beispiel Blühstreifen, auf denen die Natur sich selbst überlassen bleibt, oder Totholz, das nicht vom Menschen weggeräumt wird." Es liegen auch Studien vor, die den Einsatz von Medikamenten bei Weidevieh und den Rückgang der Käfer in einen Zusammenhang bringen. Denn Weidevieh wird üblicherweise mit Mitteln gegen Parasiten behandelt. Spuren davon finden sich im Dung wieder, weshalb sich dort keine Fliegen und Käfer mehr entwickeln können. Und auch hier zieht das Fehlen der Insekten weitere Folgen nach sich: Wenn sie den Dung nicht mehr abbauen, entsteht mehr Methangas, ein aggressives Treibhausgas, das den Klimawandel beschleunigt.

Schon einige Veränderungen in der Landwirtschaft könnten also womöglich den Schwund der Käfer abmildern. Diese Hoffnung hat zumindest der Forscher Ahrens. Und Käfersammler Oliver Hillert teilt sie - besonders in den Momenten, in denen er das Werk der Krabbeltiere mit eigenen Augen beobachten kann. Wie in der griechischen Bucht von Psatha, wo Hillert keinen Blick für das Meer hat und auch keinen für die Landschaft. Er konzentriert sich lieber auf eine abgestorbene Kiefer. In einem aufgesprungenem Ast krabbeln Käfer mit schwarz glänzendem Panzer, sogenannte Schwarze Kiefernpracht­käfer. Sie gehören zu den Totholzkäfern und helfen mit ihrem Stoffwechsel, das tote Holz zu mineralisieren und so die Fruchtbarkeit der Böden zu fördern.

Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie Käfer dazu beitragen, dass unsere Kultur- und Naturlandschaften so funktionieren, wie sie es heute tun. Noch ­haben die Sammler Hoffnung, dass es gelingt, das Käfersterben auf eine annähernd natürliche Rate zu begrenzen. Davon würden nicht nur die Tierchen selbst profitieren - sondern auch der Mensch.

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