Es gibt diese eine Geschichte über Trier, eine Petitesse eigentlich. Der neue Intendant hatte die Seitenwand des Theaters von Künstlern besprayen lassen, grelle Farben, Fantasiefiguren, "Refugees Welcome". In all dem Gewirr ging zunächst unter: der Penis. Einer Spaziergängerin fiel der Affront schließlich auf. Empörung, die Lokalpresse überschlug sich, es wurde so ziemlich alles gesagt, was man zu einem kleinen Glied auf einem großen Graffito sagen kann. "Sonst keine Sorgen?", mochte man den Trierern zurufen. Anscheinend nicht.
Trier, Augusta Treverorum, Treveris, einst Großstadt nördlich der Alpen, Kaiserresidenz des römischen Imperiums. Doch Roma secunda, das ist lange her. Im bundesweiten Ranking einer Tourismusseite schaffte es Trier mit seinen antiken Sehenswürdigkeiten auf einen respektablen Platz 36, wurde aber zunächst im Saarland verortet, was falsch ist und doch viel darüber verrät, wie die Stadt heute wahrgenommen wird. Nämlich kaum.
Eine Stadt, zwei Anfänge
Terra incognita? Eine groß angelegte Nero-Ausstellung im Mai nächsten Jahres will das ändern. Die Besucher sollen kommen wegen der Römer und bleiben wegen Trier. Schließlich gibt es keine Stadt in Deutschland, an deren Bild sich noch heute vergleichbar gut ablesen ließe, wie es gewesen sein muss: das Leben in einer antiken Metropole. Trier, das alte Mädchen, kann aus Erfahrung hiervon erzählen.
Jede Geschichte, so heißt es, braucht einen Anfang. Die Trierer Historie kennt mindestens zwei. Denn die Stadt beansprucht zwar für sich, die älteste Deutschlands zu sein, zur genauen Gründung aber fehlen Fakten. Ein Indiz, immerhin, liefern mehrere Eichenpfähle, einst Teil einer römischen Brücke über der Mosel. Deren Abfolge von breiten und schmalen Jahresringen legt nahe, wann der Baum gefällt worden sein muss. Mit der Brücke kam die Stadt, 17 vor Christus, meinen die einen, andere glauben, eine etwas spätere Reise des Augustus könnte Anlass gewesen sein für die Stadtgründung. Die Trierer wissen: Wahre Liebe kennt kein Alter.
Fest steht hingegen, dass die Römer bereits 30 vor Christus ein Militärlager auf dem Petrisberg aufschlugen. Öllampen und Fundamente von Lehmbauten sind die frühesten Zeugnisse auf dem heutigen Stadtgebiet. Von dort oben kontrollierten sie die Moselfurt gegen die gallischen Treverer. Als der Stamm besiegt war, räumten die römischen Truppen das Lager wieder. Sie sollten erst unter der Herrschaft von Augustus wiederkommen - um die Stadt zu gründen und die Treverer zu romanisieren. Augusta Treverorum also, die "Stadt des Augustus im Land der Treverer".
Plan des römischen Trier, das damals "Augusta Treverorum" hieß.
(Foto: picture alliance/United Archiv)Es ist zunächst eine kleine Siedlung, schnell dehnt sie sich aus, verschlingt die Wiesen und Felder, frisst sich ins morastige Umland. Bereits im ersten Jahrhundert bezeichnen Geografen Trier als "urbs opulentissima", als wohlhabende Stadt. Deren Bürger verzieren ihre Wohnhäuser mit Mosaiken von quadratmetergroßen Braunbären, um an die Spiele im Amphitheater zu erinnern, das nach römischem Vorbild auch an der Mosel erbaut wurde. Porträts von Thalia, Terpsichore, Urania, den Musen, sollen die eigene Kultiviertheit zur Schau stellen.
Überhaupt verstanden die Römer unter "urbanitas" nicht unbedingt das Leben innerhalb der Stadtmauern. Viel eher meinten sie hiermit Fähigkeiten wie Redegewandtheit und einen scharfen Verstand, aber auch gestatio, das Promenieren in der Sänfte, oder libelli, die anspruchsvolle Lektüre. Diese Kulturtechniken prägten das Leben in der Stadt. Deren Funktion aber: "Quod alit, quod vestit et armat." Sie ernährt, sie bekleidet und bewaffnet - so zumindest beschreibt der Dichter Ausonius das antike Trier.
Doch eben diese Versorgerfunktion wird bald strapaziert werden. Denn während etwa eine Million Römer im Jahr 248 das 1000-jährige Bestehen ihrer Stadt am Tiber feiern, caput mundi, werden die Reichsgrenzen im Norden instabiler. Die Alemannen fallen ein, die Franken zerstören Trier. Doch Rom übersteht die Reichskrise des dritten Jahrhunderts. Das Imperium, für einen Herrscher allein schon längst unregierbar geworden, wird in vier Teile aufgeteilt. "Rom ist jeweils dort, wo auch der Kaiser ist", verkündet der Geschichtsschreiber Herodian. Roma secunda, das ist fortan an der Mosel.
Trier ist von 286 an Kaiserresidenz, von 293 an sogar Hauptstadt der Praefectura Galliae, eines Gebiets, das sich vom heutigen Großbritannien über Frankreich, Spanien und Portugal bis in den Norden Marokkos erstreckt. Wer verstehen will, wieso Trier damals dieses Weltstadtniveau erreichen konnte, wandert hinaus aus der Stadt, hoch auf den Markusberg. Kahle Buchen, kahle Eichen, bei jedem Schritt knirschen Steine. Die Mariensäule, sie überragt eine Wand aus Wald. Von hier aus überblickt man die gesamte Stadt, die Basilika, den Dom, das grünliche Dach der Porta Nigra, des Stadttors. Das römische Trier war etwas kleiner als die innere Stadt heute, aber nicht viel. Dort, wo Trier-Nord und Trier-Süd sind, vergruben die Römer ihre Toten. Die Felder lagen außerhalb der etwa 6,4 Kilometer langen Stadtmauer, die Trier von etwa 160 nach Christus an befestigte.
Über die Mosel exportierten die Händler Stoffe und Keramikgeschirr, in Trier gefertigte Krüge und Schalen wurden selbst in entlegenen Winkeln des Imperiums gefunden. Im Gegenzug lieferten die Schiffe Waren: "novelum piper", also neuer Pfeffer aus Indien, bauchige Weinamphoren aus Spanien, dann Zimt aus Ceylon, das heute Sri Lanka heißt, Spargel, Spatzen, Rabenfleisch. In ihrer Blüte, im zweiten Jahrhundert, hat die Stadt schätzungsweise 70 000 Einwohner. Sie ist unersättlich. Lebensmitteletikette und Zollsiegel aus Blei bezeugen ihren Hunger.
Eine Fernstraße verbindet das römische Trier mit Köln und Lyon. Zuletzt schätzten die spätrömischen Kaiser die strategisch gute Lage Triers, nah an der umkämpften Rheingrenze und doch weit genug entfernt, um sich für einen plötzlichen Überfall rüsten zu können.