Gestaltung von Klassenzimmern:Bunte Lernkiller

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Lenken bunt gestaltete Klassenzimmer Kinder vom Lernen ab? Forscher haben in Versuchen Hinweise darauf gefunden. Doch es wäre verfrüht, nun Tristesse im Klassenraum zu verordnen.

Von Sebastian Herrmann

Klassenzimmer in Grundschulen wirken heute meist freundlich. Die Wände sind mit Schautafeln dekoriert, zum Beispiel Grafiken, die über die Jahreszeiten Auskunft geben oder über aktuelle Projekte der Klasse. Der Abc-Zug darf nicht fehlen, in dem jeder Waggon einen Buchstaben transportiert. Vielleicht hängt irgendwo noch eine Landkarte, oder ein Poster zeigt schützenswerte Tiere. Das klingt alles gut und erstrebenswert - geht es schließlich nicht darum, den Kindern eine Atmosphäre zu bieten, in der sie gerne lernen? Das klingt zwar schlüssig, aber womöglich stört eine üppige Gestaltung von Klassenzimmern beim Lernen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Psychologen um Anna Fisher von der Carnegie Mellon Universität ( Psychological Science, online): Dekorierte Zimmer lenkten Schüler zu sehr ab, argumentieren die Forscher, und reduzierten dadurch den Lernerfolg.

Die Wissenschaftler testeten für ihren Versuch 24 Vorschüler im Alter von etwas über fünf Jahren; das ist eine überraschend geringe Zahl von Probanden, was die Belastbarkeit der Ergebnisse erheblich einschränkt. Die Kinder wurden in zwei Versionen eines Klassenzimmers unterrichtet: In einer Variante waren die Wände freundlich dekoriert - mit Bildern, einem Globus, Plakaten von Planeten und ähnlichen Materialien. Zum Vergleich hängten die Forscher alle Bilder und Poster ab und ließen die Kinder in der nüchternen Version des Zimmers lernen. Diesmal waren die Wände nackt, die Regale so gut wie leer.

Die Kinder saßen für den Versuch in einem Halbkreis und hörten einer Erzieherin zu, die ihnen einige Minten zu Themen wie etwa Insekten aus einem Buch vorlas und Bilder dazu zeigte. Die Forscher hatten zuvor Videokameras im Raum installiert, mit denen sie die Augenbewegungen der Kinder nachvollziehen können. Diese gelten als valider Hinweis darauf, ob sich etwa ein Zuhörer auf den Inhalt des Erzählten konzentriert oder sich mit etwas anderem beschäftigt. Befanden sich die Kinder in dem bunt gestalteten Klassenzimmer, ließen sie sich deutlich häufiger ablenken: Während die Lehrerin vorlas, schweifte der Blick der jungen Zuhörer im Schnitt etwa 38 Prozent der Zeit durch das Zimmer. Im nüchternen Unterrichtsraum waren es nur 28 Prozent der Vorlesezeit. Auch wovon sich die Vorschüler ablenken ließen, unterschied sich je nach Raum. Waren die Wände nackt, beobachteten die Kinder ihre Mitschüler oder verloren sich in eigenen Gedanken; im bunten Zimmer boten tatsächlich die vielen Poster und Bilder Anlass zur Ablenkung.

Je jünger, desto bunter

Der anschließend überprüfte Lernerfolg der Vorschüler sprach ebenfalls für Klassenzimmer mit nackten Wänden. "Je mehr sich ein Kind ablenken ließ, desto weniger lernte es auch", schreibt Fisher. Hatten die kurzen Lektionen im bunten Zimmer stattgefunden, behielten die Vorschüler also weniger, als wenn sie im nüchternen Raum zugehört hatten.

Sollte die Studie daher als Aufruf verstanden werden, die Unterrichtsräume in Vor- und Grundschulen kräftig zu entrümpeln? Die Autoren betonen, dass es ihnen keinesfalls darum gehe, Kinder ab sofort in steriler Umgebung zu unterrichten, dennoch solle der Einfluss der visuellen Gestaltung von Räumen nicht unterschätzt werden. Es sei vielleicht angebracht, über das Ausmaß der Dekoration zu diskutieren, so die Psychologen. Denn je jünger die Kinder sind, desto bunter sind die Klassenzimmer meist gestaltet - während sich ihre Fähigkeit zur Konzentration erst noch entwickeln müsse.

Die Studie weist neben der geringen Probandenzahl einige weitere Schwächen auf, die von den Autoren auch benannt werden. So wurden die Kinder nur wenige Male für ein paar Minuten unterrichtet. Ob sich der Effekt der bunten Umgebung auch auf den langfristigen Lernerfolg auswirkt, das beantwortet der Versuch nicht. Es ist zudem wahrscheinlich, dass die Kinder irritiert waren, mal in einem bunten, mal in einem nüchternen Klassenzimmer zuzuhören. Und schließlich lenkt die Dekoration eines Zimmers mit der Zeit wohl immer weniger ab, sobald sich die Kinder daran gewöhnt haben - was nicht mehr neu ist, wird eben irgendwann langweilig. Trotzdem sind die Ergebnisse der Studie zumindest bedenkenswert, zumal Forscher um Peter Barret von der britischen Universität Salford kürzlich ähnliche Hinweise gefunden und publiziert haben ( Building and Environment, Bd. 59, S. 678, 2013).

Andererseits: Vielleicht ist es auch sinnvoll, wenn Kinder lernen, sich in einer Umgebung mit viel Ablenkungspotenzial zu konzentrieren. Als Erwachsener sitzt man ja auch nicht nur in stillen, nüchternen Räumen, wenn man geistig fordernde Tätigkeiten erledigt.

© SZ vom 14.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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