Als der Europäische Gerichtshof im heißen Sommer 2018 sein Urteil über ein Bündel neuer Methoden zur genetischen Veränderung von Pflanzen sprach, war das für die große Mehrheit der Wissenschaftler keine Niederlage. Es fühlte sich für sie eher an wie ein falscher Film. Der in Luxemburg befindliche EuGH hatte nämlich befunden, dass die neuen Verfahren wie die alte Gentechnik zu regulieren seien - obwohl die Produkte der modernen Techniken keine fremden Gene enthielten, sondern zumeist winzige Veränderungen, wie sie auch durch Zufall in der Natur entstehen. Oder in der herkömmlichen Züchtung künstlich erzeugt und selektiert werden dürfen.
Da die neuen Methoden ansonsten keinerlei Spuren in den Zellen der Pflanzen hinterlassen, stellte sich die nicht ganz unerhebliche Frage: Wie soll man denn etwas regulieren, das sich nicht von den Resultaten konventioneller Verfahren unterscheiden lässt - und das deshalb ja eigentlich auch keiner Regulation bedarf?
Die Studie beschreibt kein neues Nachweisverfahren, sondern Altbekanntes
Zwei Jahre später hat sich an dieser Fragestellung nichts geändert, außer, dass grüne Politiker, Ökoverbände und Umweltschutzvereine seit diesem Montag konzertiert behaupten, sie beantworten zu können. In einer gemeinsamen Pressemitteilung des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik, Greenpeace und weiteren gentechnikkritischen Vereinen heißt es, der Verbund habe die "weltweit erste Open-Source-Nachweismethode" für eine Pflanze veröffentlicht, deren Erbgut mithilfe der neuen molekularbiologischen Methoden verändert wurde. Eine von den Verbänden selbst finanzierte Studie soll demnach am Beispiel des sogenannten Cibus-Raps belegen, dass eine Unterscheidung zwischen neuer grüner Gentechnik und konventioneller Zucht möglich ist. Die Produkte der neuen Techniken könnten somit aufgespürt und reguliert werden.
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Flankiert wurden Pressemitteilung und Studie fast zeitgleich von Statements des Bundesumweltministeriums, des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), des agrarpolitischen Sprechers der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, sowie des grünen Gentechnik-Sprechers im Bundestag, Harald Ebner. Bundesumweltministerin Svenja Schulze lobt die gerade erst publizierte Studie als "wichtigen Erfolg für den Umweltschutz und für alle, die auf gentechnikfreie Lebensmittel Wert legen". Ebner fordert die zuständigen Behörden auf, sich mit dem Verfahren "vertraut" zu machen und es in ihren Laboratorien zur Anwendung zu bringen. Es sei ein Armutszeugnis, dass Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner "dieses dringend benötigte Nachweisverfahren zwei Jahre nach dem EuGH-Urteil nicht zustande gebracht" habe. Die Strategie "Wer nicht sucht, der auch nicht findet" gehe mit den neuen Erkenntnissen nun nicht mehr auf.
Doch wird, wer sucht, denn zwingend fündig? Die Studie, die das monumentale Problem der Nachweisbarkeit gelöst haben soll, wurde in einem überraschend unbedeutenden Journal namens Foods veröffentlicht. Sie beschreibt eine keinesfalls neue, sondern bekannte Variante der Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR. Eine Gruppe von Forschern hat die Methode in der Studie nun benutzt, um zwei bekannte punktuelle Veränderungen in der mutmaßlich durch sogenanntes Gene Editing gezüchteten Rapssorte Falco des US-Herstellers Cibus nachzuweisen und zu quantifizieren - und diesen Raps so von einer anderen Sorte zu unterscheiden. Was daran nun besonders sein soll, ist für Experten allerdings rätselhaft. "Es ist überhaupt nichts Neues, dass man Pflanzen mithilfe einer quantitativen PCR anhand von Punktmutationen unterscheiden kann", sagt Jens Boch vom Institut für Pflanzengenetik an der Universität Hannover.
Wer nicht weiß, was er finden soll, kann lange suchen
Viel wichtiger als die Frage nach der Neuartigkeit des Nachweises ist jedoch seine Aussagekraft. Auf das Verfahren, mit dem die Mutation erzeugt und damit auch die Pflanze gezüchtet wurde, lässt sich Boch zufolge selbst durch den Nachweis einer Punktmutation höchstens indirekt schließen. "Das ist ein reiner Logikschluss", sagt der Wissenschaftler. Im Fall des Raps bedeutet das: Wenn der Raps diese eine konkrete Mutation enthält, ist es möglich, dass er mithilfe des Gene Editing entstanden ist - denn Cibus hat ja genau so einen Raps mit einer solchen Methode gezüchtet. Ein Beweis ist es jedoch nicht, weil dieselbe Mutation auch natürlich oder durch andere Zuchtmethoden entstanden sein könnte. Und vielleicht ist sogar im aktuellen Fall die Schlussfolgerung falsch, es handle sich um ein Produkt der grünen Gentechnik. Die Studie etwa zitiert ein Papier, in dem der getestete Raps als Resultat eines nicht-gentechnischen Prozesses beschrieben wird. Auch in den USA wird besagter Raps nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als traditionelle Züchtung deklariert.
Boch weist außerdem darauf hin, dass das vorgestellte Verfahren ausschließlich für diese eine Pflanze, also den Cibus-Raps, entwickelt wurde. Für jede andere Pflanzensorte, ob Salat, Baumwolle, Reis oder Weizen, müsste für einen Nachweis der Veränderungen jeweils ein anderer, spezifischer Test aufgebaut und eingesetzt werden. Doch nicht in jedem Fall sei bekannt, welche Veränderung diese Pflanzen enthalten, schlicht, weil es sich andernorts um normale Sorten handelt, für die keine Informationen zu genetischen Eigenschaften vorliegen. "Es sind bereits viele Varietäten mithilfe des Gene Editing im nicht-europäischen Ausland entwickelt worden, wo sie nicht reguliert werden", sagt der Experte. Die Frage sei, ob man überhaupt wisse, nach welcher Punktmutation man in diesen Fällen suchen müsse.
Wer also nicht weiß, was er finden soll, kann lange suchen. Und letztlich ist das, was gefunden werden könnte, nicht mehr als ein Indiz - und kein Beweis. Das sagt auch Jochen Kumlehn vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Doch selbst wenn man sich auf derartige Indizienprozesse einlassen würde: "Eine solche Nachweis- und Beweisproblematik offenbart die Absurdität, dass eine Pflanze mit einer bestimmten Mutation eine praktisch unbezahlbare Überprüfungsprozedur als gentechnisch veränderter Organismus durchlaufen müsste - während eine andere Pflanze der gleichen Art mit genau der gleichen Mutation ohne jeglichen Argwohn über die herkömmliche Sortenzulassung in die landwirtschaftliche Nutzung gelangen dürfte, beziehungsweise zur Freude aller Beteiligten bereits genutzt wird", sagt der Pflanzenphysiologe.