Orangen in acht Dimensionen:Fields-Medaille für Maryna Viazovska: die Mathematik der Kugelpackung

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Maryna Viazovska ist erst die zweite Frau, die mit einer Fields-Medaille ausgezeichnet wird. Der Preis wird alle vier Jahre an zwei bis vier Mathematiker verliehen, die jünger als 40 sind. (Foto: Vesa Moilanen/AP)

Die ukrainische Zahlentheoretikerin Maryna Viazovska erhält als zweite Frau überhaupt die Fields-Medaille, die höchste Auszeichnung der Mathematik. Warum sie den Preis bekommt.

Von Marlene Weiß

Die alle vier Jahre von der International Mathematical Union verliehene Fields-Medaille, die mit 15 000 kanadischen Dollar (etwa 11 000 Euro) dotiert ist, gilt auch als "Nobelpreis der Mathematik". In diesem Jahr gibt es neben drei männlichen Preisträgern auch eine Frau, und das erst zum zweiten Mal: die ukrainische Zahlentheoretikerin Maryna Viazovska von der EPF Lausanne. Weitere Preisträger sind der Stochastiker Hugo Duminil-Copin von der Universität Genf, June Huh von der Princeton University, der in der algebraischen Geometrie arbeitet, und der Zahlentheoretiker James Maynard von der University of Oxford.

Die zwei bis vier Fields-Medaillen werden nur Mathematikern zuerkannt, die zu Beginn des Jahres der Verleihung jünger als 40 Jahre sind, man muss sich also etwas beeilen. Viazovska, Professorin an der École Polytechnique Fédérale in Lausanne, ist erst 37. Den Preis erhält sie für ihre Arbeiten zur Packung von Kugeln.

Es ist ein Problem, mit dem sich schon vor Jahrhunderten Johannes Kepler befasste: Wie kann man Kugeln so stapeln, dass man auf kleinem Raum möglichst viele davon unterbringt? Kepler hatte vermutet, dass die beste Möglichkeit die Pyramidenpackung ist, so wie Äpfel oder Orangen manchmal auf dem Markt gestapelt werden. Bewiesen wurde das aber erst 1998 von Thomas Hales, mit massiver Computerunterstützung.

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Aber wie so oft in der Mathematik gibt es zu einem Problem auch noch ein halbes Dutzend allgemeinere Varianten. So kann man Kugeln nicht nur in drei, sondern in beliebigen Dimensionen betrachten - eine Kugeloberfläche ist in jeder Dimension einfach die Fläche, in der jeder Punkt den gleichen Abstand zum Mittelpunkt hat. Welchen Teil eines Volumens kann man mit solchen Kugeln ausfüllen? In zwei Dimensionen etwa geht es darum, Kreise auf einer Fläche anzuordnen. Verteilt man sie so, dass sich jeweils sechs Kreise um einen in der Mitte gruppieren ("hexagonal"), kann man 90,7 Prozent der Fläche abdecken. In drei Dimensionen schafft die Pyramidenpackung immerhin noch an die 74 Prozent. Aber was ist mit höheren Dimensionen? Da war lange nicht viel bekannt.

Maryna Viazovska wurde in Kiew geboren. Schon in der Schule mochte sie Mathematik, an der Universität Kiew studierte sie das Fach. Später ging sie nach Deutschland, um ihren Master an der TU Kaiserslautern zu machen. Dann promovierte sie bei Don Zagier, einem bekannten Zahlentheoretiker an der Universität Bonn. Am Telefon am Dienstagmorgen wird Zagier von der Neuigkeit überrascht: Die Fields-Medaille für seine ehemalige Doktorandin? "Das ist fantastisch!", sagt er. "Sie hat viele schöne Sachen gemacht."

Die junge Frau zeichnet sich durch stille Beharrlichkeit aus

Die erste Geschichte, die ihm zu Viazovska einfällt, sagt einiges über ihre stille Beharrlichkeit aus. Als sie noch bei ihm arbeitete, erwähnte sie einmal beiläufig mit Kollegen, dass sie eine Arbeit bei den Annals of Mathematics eingereicht hätten - das absolute Spitzenblatt der Mathematik, in dem nur die wichtigsten Arbeiten publiziert werden. "Insgeheim dachte ich, na, das ist wahrscheinlich zu hoch gegriffen", erzählt Zagier. Aber dann saß er im Komitee für eine mathematische Tagungsreihe, und jemand wollte eine Tagung zu einem neuen, wegweisenden Ergebnis veranstalten - es war die Arbeit von Maryna Viazovska und zwei Kollegen. "Sie hatte das ganz im Stillen neben ihrer Doktorarbeit gemacht, ich wusste von nichts", erzählt Zagier. Die Arbeit erschien dann wirklich in den Annals .

Bald danach fing Viazovska an, sich den höherdimensionalen Kugelpackungen zuzuwenden. Es gibt Obergrenzen, wie dicht solche Packungen maximal sein können. Man kannte auch zwei Fälle, die diesen absoluten Grenzen sehr nahe kommen: In acht Dimensionen ist eine Anordnung im sogenannten E8-Gitter dicht am Optimum, in 24 Dimensionen ist es das Leech-Gitter. Aber ist das wirklich die optimale Anordnung, oder geht es doch besser?

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2016 konnte Maryna Viazovska mit einer verblüffend geradlinigen, von Kollegen gefeierten Lösung zeigen, dass das E8-Gitter für acht Dimensionen tatsächlich optimal ist. Wenig später gelang ihr darauf aufbauend mit vier Kollegen der Beweis für den 24-dimensionalen Fall. Die Volumenausbeute ist bei so vielen Dimensionen allerdings bescheiden: Im Leech-Gitter hat jede Kugel 196 560 Nachbarn, und das abgedeckte Volumen beträgt weniger als ein Prozent des Raumes.

Heute lebt Viazovska mit Mann und zwei Kindern in Lausanne. Die Ukraine hat sie lange verlassen. Nach Kriegsausbruch flohen ihre beiden jüngeren Schwestern, eine Nichte und ein Neffe laut einem Bericht über Viazovska im Quanta Magazine zu ihr in die Schweiz. Aber die Großmutter wollte die Ukraine nicht verlassen, und Viazovskas Eltern können die alte Frau nicht zurücklassen.

Aber wenigstens, sagte sie dem Magazin, "können uns Tyrannen nicht davon abhalten, Mathematik zu machen. Das ist etwas, das sie uns nicht wegnehmen können".

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