Früher Abend im Speckgürtel einer deutschen Großstadt, Mitte des nächsten Jahrzehnts: Die Bewohner kehren heim von der Arbeit, viele von ihnen mit einem Elektroauto. Deren Batterien sind jetzt nahezu leer. Damit die Akkus am nächsten Morgen auch auf jeden Fall geladen sind, verbinden die Pendler die Fahrzeuge gleich mit den Ladestationen in ihren Garagen. Wie ein Sturzbach strömen nun plötzlich große Mengen an Energie durch die Kupferkabel unter den Bürgersteigen. Sofern das Netz dieser Nachfrage gewachsen ist. Wenn nicht, droht der Blackout.
Ein Szenario, das laut einer Studie der Technischen Universität München und der Unternehmensberatung Oliver Wyman durchaus realistisch ist. Bereits in fünf bis zehn Jahren sei hier und da mit Engpässen in den Ortsnetzen zu rechnen, warnen die Experten. Probleme könnten vor allem in Vorstädten auftreten, in denen viele finanzkräftige und zugleich umweltbewusste, technikaffine Bürger - typische Käufer von Batteriefahrzeugen - leben, oft in Einfamilienhäusern.
Laden mehrere E-Autos im Wohnviertel, ist ein Stromausfall vorprogrammiert
In solchen Wohnvierteln sind die Leitungen häufig so ausgelegt, dass alle Haushalte zur gleichen Zeit eine Leistung von je gut zwei Kilowatt aus dem Netz beziehen können. Einfache Batterie-Ladevorrichtungen für den Hausgebrauch verlangen aber bereits 3,7 Kilowatt - und leistungsstärkere Modelle bis zu 22 Kilowatt. Das entspricht rund 15 Wasserkochern, die zeitgleich eingeschaltet sind. Viele öffentliche Ladestationen am Straßenrand kommen gar auf eine Leistung von 50 Kilowatt. Wenn nun mehrere Autos mit hoher Leistung parallel laden, könnte manch örtliches Stromnetz an seine Kapazitätsgrenze geraten. Dann geht der Transformator in die Knie, sodass es zu einem lokalen Stromausfall kommt.
Das lässt sich verhindern, indem die Netzbetreiber zusätzliche Kabel verlegen und die Trafos aufrüsten. "Wenn die Elektromobilität richtig Fahrt aufnimmt, kommen wir nicht umhin, zahlreiche Ortsnetze auszubauen", sagt Stefan Kapferer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ein solcher Netzausbau kostet jedoch viele Milliarden Euro und braucht zudem Zeit.
Vielleicht sollten die Netzbetreiber entscheiden, zu welcher Uhrzeit Batterien aufgeladen werden
Daher fahren viele Netzbetreiber zweigleisig: Sie wollen nicht nur neue Leitungen legen, sondern auch bestehende Kapazitäten besser nutzen, indem sie die Ladevorgänge an die Auslastung der lokalen Netze anpassen. Statt die Batterien sofort nach Anschluss ans Netz zu laden, fließt erst dann Strom, wenn die Leitungen das zulassen. Die Steuerung liegt dabei in den Händen der Netzbetreiber.
Den Rahmen dafür setzt aber der Autofahrer. Er gibt vor, zu welchem Zeitpunkt die Batterie voll geladen sein soll. "Eine intelligente, netzdienliche Steuerung ist ein sinnvolles Instrument, um unabhängig von der Netzsituation schnell neue Ladestationen anschließen zu können", ist Kapferer überzeugt. "Zudem trägt es längerfristig gesehen dazu bei, den Netzausbaubedarf zu verringern." In welchem Maße, lasse sich heute allerdings noch nicht seriös beziffern.
Energiewende:Hochspannend
Das traditionelle Stromnetz muss sich dramatisch wandeln, wenn es fit für die Zukunft werden soll. Über die neuen Quellen, welche die Energieversorgung dramatisch verändern werden.
Unternehmen und Forschungsinstitute haben dieses Konzept in den vergangenen Jahren in mehreren Pilotprojekten erprobt. Der Augsburger Versorger LEW zum Beispiel hat zusammen mit der Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft im Allgäu einen Praxistest durchgeführt, in dem per Steuerung des Ladevorgangs gleich noch ein zweites Problem gelöst werden sollte: das Fluten der lokalen Leitungen durch große Mengen Solarstrom in der Mittagszeit.
Dazu haben die Projektpartner 14 Pendlern, die in Buchloe aus dem Auto in den Zug steigen, ein Elektroauto zur Verfügung gestellt und am Bahnhof Ladesäulen installiert. "Uns ging es in dem Projekt darum zu erproben, wie man mit der bestehenden Infrastruktur so viele Autos wie möglich laden kann - und zwar vor allem mit Solarstrom, der vor Ort erzeugt wird", erklärt Kathrin Schaarschmidt von der Verteilnetz-Tochter der LEW. Allabendlich mussten die Fahrer angeben, zu welcher Zeit sie am Folgetag an den Ladestationen ankommen werden und bis wann sie ihre Batterien geladen haben möchten. Auf Basis dieser Daten sowie von Prognosen zur Sonneneinstrahlung hat ein Algorithmus dann Ladefahrpläne errechnet.
Das hat gut funktioniert: "Die Autos haben 40 Prozent mehr vom lokal erzeugten Grünstrom aufgenommen, als es ohne Steuerung der Fall gewesen wäre", berichtet Schaarschmidt. Zudem seien Lastspitzen vermieden worden, die bei ungesteuertem Laden aufgetreten wären.
Beim Testlauf in Buchloe erfolgte die Steuerung über die Ladesäulen. Einen anderen Weg geht das Berliner Unternehmen Ubitricity: "Wir bauen die nötige Steuer-, Mess- und Regeltechnik in die Ladekabel der Autos ein", sagt Gründer und Geschäftsführer Frank Pawlitschek. Das erlaube es, den Autos einen eigenen Stromvertrag zu geben.
"Unsere Ladekabel dienen als eine Art Tankkarte für die Elektromobilität", erklärt Pawlitschek. "Wenn etwa jemand einen Dienstwagen über Nacht in seiner Garage lädt, geht das nicht auf seine private Stromrechnung, sondern auf den Vertrag, den sein Arbeitgeber für das Auto abgeschlossen hat." Vor allem macht es die Integration der Technik in die Ladekabel möglich, die Autobesitzer finanziell zu belohnen, wenn sie ihre Batterien für die Stützung der Netze zur Verfügung stellen - etwa durch einen günstigeren Stromtarif.
Bereits heute gewähren manche Netzbetreiber einen Nachlass bei den Netzentgelten, wenn sie die Steuerung der Ladevorgänge übernehmen dürfen. Das Angebot wird allerdings noch kaum genutzt.
Ein paar Euro Ersparnis beim Netzentgelt sind kein Anreiz
Warum ist das so? Zum einen natürlich, weil bislang erst sehr wenige Elektroautos unterwegs sind. Dazu kommen psychologische Gründe: Die Autobesitzer geben die Kontrolle über ihre Batterie ab. Das dürfte manchem schwerfallen, obwohl die Netzbetreiber garantieren, dass der Akku zum festgelegten Zeitpunkt voll geladen sein wird. Stärker noch dürfte aber ins Gewicht fallen, dass der finanzielle Nutzen schlichtweg zu gering ist.
Die Ersparnis durch reduzierte Netzentgelte beläuft sich auf wenige Euro im Jahr - kein Anreiz für jemanden, der sich ein Elektroauto leisten kann. "Wir müssen darüber diskutieren, wie sichergestellt wird, dass der Netzbetreiber in bestimmten Situationen die Ladevorgänge steuern kann", sagt BDEW-Hauptgeschäftsführer Kapferer. Instrumente dafür gäbe es genug, von stärkeren finanziellen Anreizen bis hin zur Verpflichtung, den Betreibern bei Engpässen die Ladesteuerung zu überlassen.