Die Jagd nach dem tödlichen Ehec-Erreger:Die Spur führt nach Spanien

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Mehr als 600 Menschen haben sich offenbar bereits mit dem gefährlichen Ehec-Keim infiziert, mehrere Patienten sind gestorben. Doch die Suche nach den infektiösen Lebensmitteln ist kompliziert und aufwendig. Jetzt konnten die Experten die Bakterien in Gurken aus Spanien nachweisen. Das schließt allerdings nicht aus, dass weitere Lebensmittel Infektionsquellen darstellen.

Markus C. Schulte von Drach

Mit Hochdruck suchen die Gesundheitsexperten in Deutschland nach der Infektionsquelle, über die sich eine ungewöhnlich große Zahl von Menschen mit Ehec-Bakterien angesteckt hat. Etliche Fachleute des Robert-Koch-Instituts in Berlin arbeiten dazu mit Mitarbeitern der Landesgesundheitsämter, der Landeshygieneinstitute sowie weiterer Institute und Kliniken in den betroffenen Bundesländern zusammen.

Ehec-Bakterien leben normalerweise im Darm von Wiederkäuern, etwa Rindern. Für Menschen sind die Keime gefährlich - obwohl sie nahe Verwandte unserer eigenen Darmbakterien sind. (Foto: dpa/Manfred Rohde/HZI)

Es ist eine Mammutaufgabe, die die Gesundheitsbehörden bewältigen müssen, und die sie nun auf die Spur der Erreger in Salatgurken aus Spanien geführt hat. Schwierig ist die Suche schon aufgrund der hohen Fallzahl und der weiten Verbreitung des Erregers: Mehr als 600 Infektionen wurden bislang gemeldet, von denen allerdings noch nicht alle bestätigt wurden. Darüber hinaus ist die Zahl der Patienten mit HUS, der schweren Form der Krankheit, auf mehr als 210 gestiegen. So schnell hat sich der Darmkeim in Deutschland noch nie ausgebreitet. Die Fälle verteilen sich auf alle Bundesländer außer Rheinland-Pfalz.

Weil die Krankheit an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig ausgebrochen ist, gehen die Experten davon aus, dass sich die meisten Patienten über Lebensmittel infiziert haben dürften, die in Deutschland überregional verbreitet wurden. Eine Infektion von Mensch zu Mensch, über Tierkontakte oder über kontaminiertes Wasser gilt als unwahrscheinlich. Deshalb suchen die Fachleute nun nach Nahrungsmitteln, die auf irgendeine Weise mit dem Kot infizierter Tiere in Berührung gekommen sein müssen. Eigentlicher Wirt der Erreger sind Wiederkäuer: Rinder, Schafe, Ziegen, Rotwild. Aber auch Schweine, Geflügel, Hunde und Katzen können Ehec-Bakterien tragen.

Die erste Aufgabe der Fachleute besteht darin, bei Patienten mit Darmbeschwerden festzustellen, ob es sich um Ehec-Keime handelt - und ob es überall derselbe Bakterienstamm ist. Anschließend versuchen sie, Gemeinsamkeiten zwischen den Betroffenen aufzuspüren: Haben sie in einem bestimmten Zeitfenster in derselben Kantine gegessen oder im selben Lebensmittelmarkt eingekauft? Welche Nahrungsmittel wurden von ihnen dort konsumiert oder erworben? Wo haben sie sich aufgehalten?

Dazu werden die Betroffenen und ihre Angehörigen befragt - soweit dies möglich ist. Schließlich sind HUS-Patienten auf der Intensivstation häufig nicht ansprechbar. Zugleich werden gesunde Personen als Kontrollgruppe befragt, um Lebensmittel ausschließen zu können, die diese verzehrt haben, ohne krank zu werden. Die Fachleute der Behörden nehmen Proben von Lebensmitteln in den Wohnungen der Patienten (Kühlschrankanamnese) und auf den Märkten und Läden, wo diese eingekauft haben. Auch das Essen in Kantinen, wo Patienten gegessen haben, wird überprüft.

Erste Hinweise gab es schon früh. Da nicht wie sonst vor allem Kinder, sondern erwachsene Frauen betroffen sind, besteht der Verdacht, dass die Infektionsquelle Lebensmittel sind, die daheim in der Küche verarbeitet wurden. Schließlich bereiten in Deutschland immer noch vor allem Frauen die Mahlzeiten zu.

Auch gibt es die Vermutung, dass Frauen sich häufiger um bessere und gesunde Ernährung bemühen und deshalb eher Rohkost konsumieren als Männer. Ungekochte Nahrungsmittel wie Salat und Gemüse aber sind gefährlicher als gekochte Lebensmittel. Die Befragungen der Betroffenen deuten außerdem darauf hin, dass es sich nicht um eine Infektion über Fleisch oder Milch handelt.

Tatsächlich berichtete das Robert-Koch-Institut gestern, dass die Patienten zumindest in Hamburg häufiger Blattsalat, Tomaten und Salatgurken gegessen haben als gesunde Vergleichspersonen. Inzwischen hat das Hamburger Hygieneinstitut die Bakterien an vier Salatgurken gefunden, wie Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) jetzt erklärt hat. Drei der Gurken stammten demnach aus Spanien, die Herkunft der vierten ist noch nicht bekannt. Die Salatgurken der beiden betroffenen Hersteller sollen aus dem Handel entfernt werden. Entdeckt wurden sie auf dem Hamburger Großmarkt. Bislang lässt sich nicht ausschließen, dass weitere Lebensmittel mit den Keimen verseucht sind.

Eine wichtige Fährte, auf die die Ermittler gestoßen waren, ist die Tatsache, dass in Frankfurt am Main 19 Patienten in zwei Firmenkantinen gegessen haben. Derzeit werden die Lieferscheine überprüft, um festzustellen, wo es Überschneidungen gibt. Dann wollen die Ermittler versuchen, den Weg verdächtiger Produkte bis zum Erzeuger zurückzuverfolgen. Nun muss sich zeigen, ob sich mit Hilfe der verdächtigen Gurken alle Infektionen erklären lassen.

Manchmal ist es relativ einfach, den Ursprung der Infektion zu bestimmen: Vor fünf Jahren infizierten sich etliche Kinder und Jugendliche aus Niedersachsen mit Ehec, ein elfjähriges Mädchen entwickelte ein HUS. Die Gesundheitsbehörden konnten schnell ermitteln, dass alle Betroffenen an einem Ferienlager teilgenommen hatten und von einem Bauernhof mit Rohmilch versorgt worden waren. Milch und gerade Rohmilch gelten als mögliche Überträger der Bakterien.

Wie kompliziert die Untersuchungen allerdings sein können, selbst wenn die Ausbrüche auf den ersten Blick übersichtlich erscheinenden, demonstriert der Fall eines HUS-Ausbruchs in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Niedersachsen 2000. Dort hatten sich etwa ein Dutzend Kinder und Erwachsene mit Ehec infiziert, und zwar in einer Mutter-Kind-Kurklinik, einem Krankenhaus und in mehreren Kindertagesstätten. Da aufgrund der räumlichen Verteilung eine Übertragung von Mensch zu Mensch oder über Tierkontakte unwahrscheinlich war, gingen die Experten schnell von einer "Übertragung durch ein überregional vertriebenes Lebensmittel" aus, wie das RKI berichtet. Die Fachleute verglichen die Lieferscheine der Küchen der betroffenen Einrichtungen und stellten fest, dass drei der vier Küchen von einem Großhändler das gleiche Produkt ("Rinder-Seemerrollen") bezogen hatten.

Anhand der Lieferscheine wurde nun versucht, den Weg des Rindfleischs über den Großhandel, den Zwischenhandel, den Zerlegungsbetrieb, den Schlachtbetrieb zum Mastbetrieb zu verfolgen. Das erwies sich allerdings als extrem schwierig, da der Zwischenhändler zum Beispiel von mehreren Zerlegungsbetrieben beliefert wurde. Letztlich, so stellte das RKI fest, kamen 235 Mastbetriebe als Erzeuger des kontaminierten Ausgangsproduktes in Frage. Nach vier Monaten beendeten die Experten ihre Suche, ohne den Ursprung des Ehec-Ausbruchs bestimmt zu haben.

Genauso erfolglos blieben die Ermittlungen, als es 2002 zu einer ungewöhnlichen Häufung von HUS-Fällen in Süddeutschland kam. Zwar stellten die Experten aufgrund der Interviews mit den 48 Betroffenen oder ihren Angehörigen und der Untersuchung der Lebensmittel in den jeweiligen Haushalten fest, dass viele einen verdächtigen Apfelsaft getrunken hatten. Doch am Ende gaben sie die "Apfelhypothese" wieder auf. Woher die Keime tatsächlich stammten, wurde nie festgestellt.

Auch wenn mit den Salatgurken der Überträger der Bakterien identifiziert wurde - um eine weitere Ausbreitung zu bremsen, sollten die empfohlenen Hygienemaßnahmen - etwa Händewaschen und gutes Reinigen der Küchenutensilien - weiterhin angewendet und potentiell gefährliche Lebensmittel ausreichend erhitzt werden.

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