Diabetes:Der evolutionäre Sinn des Leids

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Der Menschheit ist offenbar zugute gekommen, dass so viele Erdbewohner an Diabetes und Rheuma leiden.

Werner Bartens

Warum ich? Wieso bin ausgerechnet ich mit diesem schweren Leiden gestraft? Kranke, besonders chronisch Kranke, fragen sich oft, warum ihnen das Schicksal so übel mitgespielt hat. Den einzelnen Kranken mag es zwar nicht trösten, aber aus evolutionärer Sicht hat das vielfache Leiden womöglich einen tieferen Sinn.

Die Gene für Diabetes scheinen evolutionäre Vorteile zu bringen: Sie machen uns unempfindlicher gegenüber Bakterien und Viren. (Foto: ddp)

Der Menschheit ist es offenbar zugute gekommen, dass weltweit so viele Menschen an Diabetes mellitus und Rheumatoider Arthritis erkranken. Die menschliche Rasse ist durch diese genetische Veranlagung unempfindlicher gegenüber anderen Bedrohungen wie Viren, Bakterien und Parasiten geworden. Dies behaupten zumindest Mediziner um den Krebsforscher Atul Butte von der Stanford University im aktuellen Fachmagazin Plos One (online).

"Zuerst waren wir schockiert über diese Hypothese, denn ohne eine Behandlung mit Insulin sterben Kinder ja an Typ-1-Diabetes", sagt Butte. "Nach allem, was wir bisher über die Evolution gelernt hatten, sollte sich die Menschheit so entwickeln, dass die Erkrankung seltener vorkommt - stattdessen wird sie häufiger."

Die Forscher fragten sich, warum genetische Varianten, die potenziell tödliche Leiden auslösen, evolutionäre Vorteile bieten sollten und beobachteten in Laborstudien, dass die Veränderungen im Erbgut zugleich vor einigen Erregern wie Viren und Bakterien schützen konnten.

Vor wenigen Jahrtausenden waren die Menschen noch stärker durch Infektionen bedroht als durch Erkrankungen wie chronisches Gelenkrheuma oder Typ-2-Diabetes, die oft erst im höheren Lebensalter auftreten. Erst kürzlich hat eine andere Forschergruppe gezeigt, dass die genetische Neigung zu einer bestimmten Form von Diabetes zugleich vor einer Infektion mit Enteroviren schützt, die zu potentiell tödlichen Magen-Darm-Leiden führen kann.

"Gut möglich, dass in einigen Regionen der Welt, in denen die Auslöser für manche Zivilisationskrankheiten fehlen, nur der positive Effekt der Gen-Varianten und damit der Schutz vor Infektionen zum Tragen kommt", sagt Butte.

Veränderte Lebensumstände und bessere Ernährung hätten aber dazu beigetragen, dass die Bedrohung durch Keime in den Hintergrund getreten sei. Stattdessen dominiere nun die Neigung zur Krankheit. Unklar ist bisher allerdings, ob die positiven Einflüsse der Krankheitsgene auf die Mutationen selbst zurückgehen oder ob sie von benachbarten Gen-Regionen ausgehen, die von der Mutation beeinflusst werden.

© SZ vom 18.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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