Bildungsforschung:Lieber Swahili als Englisch

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"Eine vorzeitige Schwangerschaft": Sexualkunde auf Französisch in der Elfenbeinküste. (Foto: AFP)
  • Knapp 2000 Sprachen gibt es auf dem afrikanischen Kontinent, doch die Sprachen der früheren Kolonialmächte dominieren meist das öffentliche Leben.
  • Für die Schüler ist der ausschließliche Unterricht in fremder Sprache problematisch.
  • Besser wäre, die Kinder auch in ihrer Muttersprache zu unterrichten, meinen Forscher.

Von Isabel Pfaff, Daressalam

Dotto Kitwenga durchquert jeden Tag drei Sprachzonen. Die 18-jährige Gymnasiastin lebt in Daressalam, der großen Hafenstadt in Tansania. Mit ihren Geschwistern und Freunden spricht Dotto Swahili. Mit ihren Eltern, die vom Viktoriasee stammen, redet sie Sukuma. Und in der Schule ist Englisch die Unterrichtssprache.

Wie die meisten afrikanischen Kinder ist Dotto seit ihrer Geburt von vielen Sprachen umgeben. Etwa 120 gibt es in Tansania - neben der Verkehrssprache Swahili und dem Englischen. Tansania ist dabei nicht einmal Spitzenreiter: Im Tschad werden 130, in Kamerun 280 und in Nigeria sogar 520 Sprachen gesprochen. Insgesamt schätzen Forscher die Zahl afrikanischer Sprachen auf knapp 2000.

Das öffentliche Leben wird von den Sprachen der früheren Kolonialmächte dominiert

Damit gehört der Kontinent zu den komplexesten Kommunikationsräumen der Welt. Die spannende Vielfalt bringt allerdings Probleme mit sich. Das öffentliche Leben wird von den Sprachen der früheren Kolonialmächte dominiert. In den Parlamenten sprechen die Abgeordneten Französisch statt Bambara, Englisch statt Hausa. Wenige Zeitungen und Verlage publizieren in lokalen Sprachen. Und fast alle afrikanischen Kinder werden auf Englisch, Französisch, Portugiesisch oder Spanisch unterrichtet - Sprachen, die in ihren Familien kaum gesprochen werden und die sie bei ihrer Einschulung kaum verstehen.

Zwei Drittel der Staaten südlich der Sahara nutzen die Kolonialsprache von der Grundschule an im Unterricht, die übrigen fangen in der Sekundarstufe an. Dotto Kitwenga wurde bis zur siebten Klasse auf Swahili unterrichtet. Der Wechsel zum englischen Unterricht fiel ihr schwer, viele Mitschüler scheiterten daran. Doch Dotto schaffte es, dieses Jahr macht das schlanke Mädchen mit den raspelkurzen Haaren Abitur.

Die meisten Länder Afrikas halten an der kolonialen Sprache auch deshalb fest, weil das Unterrichtsmaterial bereits existiert. Neue Sprachen einzuführen, ist teuer, gerade in einem multilingualen Umfeld. Der wichtigste Grund aber ist Afrikas Position in der Welt: Die meisten Bewohner des Kontinents empfinden sich abgehängt. Sie sehen, wie wichtig Englisch oder Französisch für wirtschaftlichen Erfolg sind, für den Zugang zum globalisierten Markt. Ihre Muttersprachen betrachten sie als rückständig. Und so tun afrikanische Eltern viel dafür, dass ihre Kinder früh mit den Weltsprachen in Berührung kommen. Dotto Kitwengas Eltern zum Beispiel haben viel Geld ausgegeben, um ihren jüngsten Sohn auf eine private englischsprachige Grundschule zu schicken.

Auch wenn solche Strategien nachvollziehbar sind: Sie widersprechen fundamental den empirischen Befunden. Bildungswissenschaftler sind sich einig darin, dass Kinder insbesondere zum Schulbeginn am besten lernen, wenn im Unterricht eine vertraute Sprache gesprochen wird. Das bestätigen Erfahrungen aus der ganzen Welt - auch in europäischen Staaten, wo muttersprachlicher Unterricht die Regel ist. Zwar gibt es in Europa durchaus chinesischsprachige Kindergärten und in Deutschland französische oder griechische Schulen. Doch selbst dort gilt: Für die Kinder ist das nur unter perfekten Lernbedingungen von Vorteil. In Deutschland hat kaum jemand Angst, die Weltsprache Englisch zu verpassen - außer natürlich, der Englischunterricht ist schlecht.

In afrikanischen Schulen ist das anders. "Lehrer wie Schüler verfügen selten über ausreichende Kenntnisse der offiziellen Unterrichtssprachen", schreibt der Afrika-Linguist Ekkehard Wolff, der schon viele Jahre zur Sprache in afrikanischen Bildungssystemen forscht. "Schüler schaffen deshalb ihre Abschlüsse nicht oder erbringen schlechte Leistungen in fast allen Fächern." Die Sprachpraxis in vielen afrikanischen Schulen behindere Kinder in ihrer kognitiven und intellektuellen Entwicklung, glaubt Wolff. Auch die Unterrichtssprache würden Kinder auf diese Weise nicht lernen - außer, sie seien Überflieger. Es sei vor allem guter Sprachunterricht, der Zugang zu den begehrten Englisch- oder Französischkenntnissen verschaffe.

Die Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin bestätigt, dass der ausschließliche Unterricht in einer fremden Sprache Kinder benachteiligen kann. Sie kennt das Problem aus ihrer Forschung über Migrantenkinder in Deutschland, die ähnliche Schwierigkeiten haben. "Was sich dagegen für ein multilinguales Umfeld bewährt hat, ist ein Parallelsystem", sagt Gogolin. Dabei werden Kinder sorgfältig in die fremde Sprachen eingeführt, erhalten aber eng damit abgestimmt auch Unterricht in einer ihnen vertrauten Sprache. Das überfordere die Kinder nicht - "und verschafft ihnen gleichzeitig Zugang zu der Sprache der Macht", so Gogolin. Doch ein solches Modell erfordert eine besondere Lehrerausbildung und viel Abstimmungsarbeit - Bedingungen, die in Afrika meist nicht gegeben sind. "Daher", sagt Gogolin, "sollte man vor allem darauf achten: Was können die Lehrer am besten?"

Lokale Sprachen im Unterricht könnten den Kindern helfen

In Tansania bewegt sich die Regierung gerade in diese Richtung. Am Anfang dieses Jahres hat Präsident Jakaya Kikwete verkündet, bald werde auch der Unterricht in Sekundarschulen auf Swahili abgehalten. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Fast alle Tansanier beherrschen Swahili von klein auf, selbst wenn sie mit einer weiteren Sprache aufgewachsen sind.

Für die sprachlich noch vielfältigeren Länder schlagen die Afrika-Linguisten um Ekkehard Wolff vor, die Mehrsprachigkeit zu nutzen: "In afrikanischen Ländern kann man oft schon mit zwei bis drei Sprachen fast 80 Prozent der Kinder in vertrauten Sprachen unterrichten", sagt Wolff. Reformwillige Regierungen müssten also gar nicht alle Sprachen berücksichtigen, sondern könnten sich auf die wichtigsten konzentrieren. Mit nur 16 der afrikanischen Sprachen ließen sich Wolff zufolge mehr als ein Fünftel der Afrikaner erreichen - gemessen an der Gesamtzahl aller Sprachen auf dem vielseitigen Kontinent ist das sehr effektiv.

Doch für derartige Umbrüche ist viel Überzeugungsarbeit nötig - bei afrikanischen Eltern und Eliten, und in den Geber-Ländern, die solche Veränderungen unterstützen müssten. Tansania hat den umstrittenen Schritt gewagt. Der jüngste Bruder von Dotto Kitwenga könnte sein Abitur bereits auf Swahili schreiben. Und die Schule am Ende mit mehr Wissen verlassen als seine Schwester.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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