Bergbau in der Tiefsee:Knollenernte am Meeresgrund

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Deutschland und andere Industriestaaten wollen in der Tiefsee Bergbau betreiben. Doch wie stark leidet die Natur - und wer haftet für mögliche Umweltschäden? Der Internationale Seegerichtshof nimmt Firmen und Regierungen in die Pflicht.

C. Füssler und K. Läsker

Deutschlands 17. Bundesland liegt im Pazifik. In der Clarion-Clipperton-Zone zwischen Hawaii und Mexiko hat sich die Bundesrepublik im Juli 2006 die Lizenz für ein Stück Tiefseeboden gesichert, das ungefähr so groß ist wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen zusammen.

Knollen aus Mangan (Bild) und weiteren Metallen liegen an manchen Stellen des Meeresbodens dicht an dicht. Welche Lebewesen unter dem Abbau der begehrten Rohstoffe leiden würden, erkunden Ozeanologen derzeit mit Forschungsschiffen. (Foto: ddp)

Dort dürfen die deutschen Forscher laut der Internationalen Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen in Jamaika (ISA) in 4500 Metern Tiefe 15 Jahre lang erkunden - aber nicht abbauen.

Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen die etwa faustgroßen Manganknollen, die aussehen wie Kartoffeln und an manchen Orten dicht an dicht auf dem Meeresboden liegen. Sie sind in mehreren Millionen Jahren gewachsen und enthalten neben dem Namen gebenden Schwermetall die wertvollen Rohstoffe Eisen, Nickel, Kupfer und Kobalt.

Nach der Erkundung sollen die Knollen gefördert werden - doch niemand weiß, welche Folgen der Tiefseebergbau für Pflanzen und Tiere am Meeresboden hat. "Es sind sehr große Wissenslücken über mögliche Umweltschäden vorhanden", sagt Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Nicht nur die Einschätzung künftiger Schäden ist diffus, auch die Frage nach der Haftung war bisher ungeklärt. Abhilfe schafft nun ein Rechtsgutachten, das die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten des Internationalen Seegerichtshofes in Hamburg am Dienstag vorgelegt hat.

Die elf Richter haben erstmals Umweltstandards definiert, die Staaten und Konzerne künftig beim Tiefseebergbau einhalten müssen. "Dazu gehören neben einer Prüfung der Umweltverträglichkeit auch die Anwendung bester Umweltpraktiken", sagt der Richter Rüdiger Wolfrum.

Wer sich nicht an die Standards hält, muss zahlen: Nach Willen der internationalen Kammer sollen Unternehmen im Schadensfall in unbegrenzter Höhe haften. Vorausgesetzt, die verantwortlichen Staaten zwingen die Firmen per Gesetz dazu. Andernfalls haften sie selbst.

Umweltverbänden geht dies nicht weit genug, sie sähen gern die Verantwortung komplett bei den Staaten, so der World Wide Fund For Nature (WWF).

Die Richter rechnen damit, dass etliche der 161 Mitgliedsstaaten des Seegerichtshofes ihre Gesetze zügig an das Gutachten anpassen - wie etwa der Pazifikstaat Nauru. Auf seine Initiative hin wurden die Richter erst aktiv: Das drittkleinste Land der Welt will gemeinsam mit einen kanadischen Konzern schon ab Herbst Manganknollen fördern.

Den Weg zum Abbau hat die ISA mit der vorausgehenden Explorationslizenz bereits erschwert. Nur, wer ein intensives Umweltmonitoring betreibt und entsprechend Rechenschaft ablegt, kann später Rohstoffe vom Meeresboden fördern. Dazu gilt die Auflage, dass innerhalb des abgesteckten Claims mehrere Referenzgebiete ausgewiesen werden müssen, in denen nicht abgebaut wird.

In den vergangenen fünf Jahren haben die deutschen Wissenschaftler das Gebiet im Pazifik dreimal mit dem Forschungsschiff Sonne erkundet. Bei den ersten beiden Touren wurde die Fläche mit einem Fächerecholot kartiert.

Der Meeresboden ist holprig wie ein Acker, für den Abbau ist das ungünstig. "Mehr als drei Prozent Neigung sind schwierig, das hängt mit dem Design der Geräte zusammen", sagt Reicherts Kollege Ulrich Schwarz-Schampera. Diese sind so konzipiert, dass sie bei der Ernte möglichst wenig von dem Schlamm aufwühlen, aus dem die Knollen ragen. "Eine Art Bagger, der sich auf puddingartiger Substanz bewegt - das ist schon eine Herausforderung", sagt Schwarz-Schampera.

Bei der jüngsten Forschungsfahrt im vergangenen Herbst waren neben den Mineralogen und Chemikern auch Biologen vom Wilhelmshavener Senckenberg-Institut mit an Bord, dem Deutschen Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung. Sie sollten ein möglichst umfassendes Bild der Flora und Fauna am Meeresgrund aufnehmen.

Gefunden haben sie vor allem mobile Sedimentfresser, die Nahrungspartikel aus dem Schlamm aufnehmen. Sie stören sich an den Knollen eher, denn da, wo ein Metallklumpen ist, kommen sie nicht an ihr Futter. Um diese Organismen ist den Forschern also nicht bange, wohl aber um jene, die die harte Knolle als Lebensraum brauchen - gestielte Schwämme etwa oder kleine Anemonen. "Die werden beim Abbau sicher in Mitleidenschaft gezogen", sagt Schwarz-Schampera.

Der Meeresschutzexperte Stefan Lutter von der Umweltorganisation WWF fürchtet, dass beim Aufwühlen des Sediments wirbellose Kleinstlebewesen verschüttet werden. Er beschwört das Vorsorgeprinzip: "Wir kennen ja noch nicht einmal alle organischen Lebensformen dort unten, es ist also sinnvoll, Schutzgebiete auszuweisen."

Welche Schäden der Tiefseebergbau anrichten kann, hat der Hamburger Ozeanforscher Hjalmar Thiel bereits in den 1990er-Jahren zu ergründen versucht. Bei einem Störungsexperiment haben er und seine Kollegen in der Tiefsee des Pazifiks ein etwa zehn Quadratkilometer großes Gebiet samt Knollen umgepflügt. Nach sieben Jahren war wieder eine relativ gut funktionierende Lebensgemeinschaft vorhanden.

"Wenn man ausreichend Platz zwischen den Abbaustellen lässt, können von dort aus die toten Gegenden wieder besiedelt werden", sagt Thiel, der gerne eine ganz andere Frage intensiv diskutieren würde: "Was passiert eigentlich mit den Abfallprodukten nach der Verhüttung der Manganknollen? Man will ja hauptsächlich an die Buntmetalle, das sind etwa drei Prozent pro Knolle. Den chemisch veränderten Rest will die Industrie einfach zurück ins Meer geben."

Die Manganknollen sind nicht die einzigen Schätze, die bei den Industriestaaten Begehrlichkeiten wecken. Kobaltreiche Mangankrusten und sogenannte Massivsulfide erscheinen mindestens ebenso vielversprechend. Für Letztere gibt es seit Mitte vergangenen Jahres die Möglichkeit, bei der ISA eine Explorationslizenz zu erwerben.

Das deutsche Forschungsschiff Sonne sticht Ende September in See und wird auf einer ersten Erkundungsfahrt rund sechs Wochen lang den Meeresboden im Indischen Ozean sondieren. Ziel sind rohstoffreiche Gebiete mit Black Smokers, also hydrothermale Quellen am Boden der Tiefsee - ein ökologisch sensibles Terrain. Deshalb hat die ISA klare Order erlassen: Aktive Black Smokers sind tabu, da sie als einzigartige Biotope gelten. Schwefelbakterien und Spinnenkrabben, Bartwürmer und Seesterne fühlen sich hier wohl.

Deshalb müssen sich die Forscher auf Gebiete konzentrieren, wo ein schwarzer Raucher erloschen ist und mutmaßlich ergiebigen Boden hinterlassen hat. Dazu suchen sie aktive Black Smokers und berechnen von dort aus, wo der Teil der Erdplatte hin gedriftet sein könnte, der vor fünf Millionen Jahren an dieser Stelle den Kontakt zum Erdinneren herstellte.

© SZ vom 02.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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