Artenschutz-Liste:Welche Tiere als besonders schützenswert gelten

Auch für den Schutz vieler Säugetiere in der Sahara, im südlichen Afrika und in Teilen Madagaskars scheint der phylogenetische Ansatz nicht der beste zu sein. "Fledermäuse etwa sind ein bemerkenswertes Beispiel für stammesgeschichtliche Diversität", sagt Will Pearse. "Doch in Neu-Guinea geht das nicht mit funktionaler Vielfalt einher." Im Gegenteil, die vielen Fledermaus-Spezies übernehmen dort jeweils ähnliche Rollen in ihrem Lebensraum - ein Widerspruch zu den theoretischen Überlegungen.

Zum Teil könne das an methodischen Beschränkungen ihrer Untersuchung liegen, geben die Autoren zu bedenken. Dennoch folgern sie, der phylogenetische Ansatz, um besonders schützenswerte Arten zu identifizieren, sei "eine riskante Strategie". Die Methode solle zwar nicht gleich verworfen, jedoch weiter empirisch überprüft werden. Praktisch angewendet wird sie im Naturschutz bisher ohnehin nur selten, sagt Marten Winter vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig. Winter war an der Studie nicht beteiligt, das Zentrum hat sie aber gefördert.

Fallstricke haben jedoch auch andere, in der Praxis bereits weiter verbreitete Ansätze zur Priorisierung schützenswerter Arten. Sogar das zunächst so simpel erscheinende Kriterium, wie viele Individuen einer Art noch leben, kann in die Irre führen. Denn gelegentlich erkennen Biologen aufgrund neuer Untersuchungen, dass Vertreter einer vermeintlichen Art eigentlich verschiedenen Spezies angehören. Auf dem Papier könnte sich dann auch der Schutz-Anspruch verschieben - ohne dass sich an der Zahl der Individuen etwas geändert hätte.

An der Spitze der Liste taucht ein Tier auf, von dem die meisten Menschen noch nie gehört haben

Kritisiert wird von einigen Forschern auch die Tendenz, eine Art als besonders schützenswert einzustufen, weil sie endemisch ist. Das heißt, sie kommt ausschließlich in einem eng begrenzten Gebiet vor, etwa auf einer Insel. Dieses Kriterium, so schrieb vor einigen Jahren ein Team um Nick Isaac von der Zoological Society of London (ZSL) im Fachmagazin Plos One, diene vermutlich vor allem deshalb oft als Entscheidungshilfe, weil die Frage nach dem endemischen Vorkommen leichter zu untersuchen sei als andere Faktoren.

Im Gegensatz dazu hat die ZSL ihren eigenen Maßstab entwickelt, um über den Schutz-Bedarf einer Art zu entscheiden. Der sogenannte Edge-Index berücksichtigt - neben dem Grad der Gefährdung - ebenfalls die stammesgeschichtliche Entwicklung einer Art, genauer gesagt, wie viele nah verwandte Spezies noch leben. Je einzigartiger ein Lebewesen ist, desto höher fällt der Edge-Wert aus.

Nach diesen Kriterien hat es unter den Säugern ein Tier auf den ersten Platz der Prioritätenliste geschafft, von dem die meisten Menschen noch niemals etwas gehört haben dürften: der Attenborough-Langschnabeligel, der auf Neuguinea lebt und Eier legt. Auch Platz zwei ging an einen Langschnabeligel.

Unter den Top 100 befinden sich allerdings auch so emblematische Spezies wie der Große und der Kleine Panda, der Asiatische und der Afrikanische Elefant sowie Orang-Utans - typische "Flaggschiff-Spezies". Für deren Schutz setzen sich viele Organisationen unter anderem deshalb intensiv ein, weil die Schicksale solch imposanter Spezies die Menschen stärker berühren als das einer unscheinbaren Art. Ob diese Priorisierung auch wissenschaftlich immer sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen in vielen Fällen auseinander. So bleibt als Quintessenz: Das Arche-Noah-Dilemma lässt sich auf vielen Wegen lösen - jedoch kaum fehlerfrei.

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