Artenerkennung in Bayern:Tierische Datenbank

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Wie in der Verbrecherdatei: Wissenschaftler wollen die genetischen Daten aller in Bayern lebenden Tiere in einer Datenbank erfassen, um sie eindeutig identifizieren zu können.

Cordula Sailer

Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus dem Urlaub - Wandern in den Alpen. Zuhause stellen Sie Ihren Rucksack auf den Boden und öffnen ihn, um Wanderkarte, Sonnenmilch und diverse andere Utensilien herauszuholen.

Insekten machen etwa 80 bis 90 Prozent aller bayerischen Tierarten aus. (Foto: Michael Balke, ZSM)

Und dann das: Ein hässliches Tier mit langen Beinen krabbelt über Ihre Hand. Sie schreien und schütteln das Getier ab. Zu gerne wüssten Sie nun, was das ist, das Sie da aus den Bergen in ihre Wohnung eingeschleppt haben: Eine seltene Spinne? Vielleicht ist sie auch noch giftig? Für viele ein schrecklicher Gedanke.

Da wäre es praktisch, eine Methode zu haben, mit der jedermann herausfinden kann, was für ein Tier er gerade gefunden hat.

Aus diesem Bestreben heraus wird derzeit im Projekt "Barcoding Fauna Bavarica" der Zoologischen Staatssammlung München ein bestimmtes Gen aller bayerischen Tierarten entschlüsselt und in einer Datenbank gespeichert. Es soll helfen, Tiere in Zukunft eindeutig identifizieren zu können.

Die Wissenschaftler sammeln von allen in Bayern lebenden Tieren eine Gewebeprobe, wie etwa ein paar Haare. Im Anschluss werden die Proben in ein Sequenzierungslabor geschickt, wo ein bestimmter Abschnitt aus dem Erbgut isoliert wird. Dabei handelt es sich um das Gen "Cytochrom c Oxidase 1 Gen", auch CO1 genannt.

Ein Strichcode in vier Farben

Sequenziert man dieses Gen, erhält man für jede Tierart eine spezifische Anordnung der Nukleinbasen Adenin, Cytosin, Guanin sowie Thymin (A, C, G, T). Aus dieser Abfolge von Basenpaaren erstellen die Wissenschaftler das, was sie den DNA- "Barcode" nennen.

"Im Unterschied zum Supermarkt, wo es nur schwarz und weiß gibt, arbeiten wir hier mit vier Farben, den vier Nukleotid-Typen (A, G, C, T). Diese kann man letztlich als Strichcode in vier Farben darstellen, daher kommt der Begriff Barcode", erklärt Professor Gerhard Haszprunar, Leiter des Projekts und Direktor der Zoologischen Staatssammlung Münchens.

Anhand dieses Barcodes kann eindeutig und problemlos festgestellt werden, dass es sich etwa bei dem hässlichen Tier mit den langen Beinen um Mitostoma chrysomelas, also eine Weberknecht-Art, handelt.

In Bayern leben 35.000 Tierarten. Das sind etwas mehr als 80 Prozent der gesamtdeutschen Fauna. Seit Beginn des Projekts Anfang 2009 konnten Haszprunar und sein Forschungsteam den genetischen Code von über 3000 Arten registrieren. Darunter mehr als 1800 Schmetterlinge, an die 300 Bienen, 50 Heuschrecken und fast 40 Ameisenarten.

"Bei einem Großteil der bayerischen Tierarten, also etwa 80 bis 90 Prozent, handelt es sich um Insekten", erklärt Haszprunar. Noch bis Ende 2013 wird "Barcoding Fauna Bavarica" vom Bayerischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst mit 750.000 Euro finanziert. Bis dahin wollen die Wissenschaftler eine Reihe weiterer Tiere erfassen und katalogisieren.

"Die Zehntausender-Marke möchten wir schon gerne durchbrechen", sagt Haszprunar.

Doch warum ist es überhaupt nötig, den genetischen Barcode aller Tiere zu entschlüsseln?

Der Vorteil gegenüber einer Artenbestimmung mit bloßem Auge ist unter anderem, dass auch Engerlinge, Maden oder Eier identifiziert werden können. "Gerade eine Vielzahl von Insektenlarven kann man ausschließlich genetisch bestimmen", erklärt Haszprunar.

Der Arten-Barcode könnte somit auch einen enormen Fortschritt im Kampf gegen Schädlinge bringen. "Bei der biologischen Schädlingsbekämpfung muss man natürlich genau - und nicht nur ungefähr - wissen, um welchen Schädling es sich handelt", erklärt der Zoologe. Und umso eher man weiß, mit welchem Getier man es zu tun hat, umso früher und effektiver kann man dagegen vorgehen.

Mit dem Strichcode lassen sich auch Gewebe- oder Fellreste identifizieren. So könnte er auch beim Zoll Anwendung finden, um den Schmuggel von Pelzen oder Fleisch geschützter Arten einzudämmen.

"Ein Experte könnte natürlich auch ohne weiteres erkennen, ob es sich um Fell einer bedrohten Art handelt. Aber den muss man erst einmal haben", sagt Haszprunar. Denn den Taxonomen fehle es an Nachwuchs und die Fachleute, die es noch gebe, seien meist heillos überlastet.

"Außerdem ist die Sequenzierung von Großproben durch private Firmen heute schon so preiswert wie es die Bestimmung durch einen Experten niemals sein könnte", erklärt Haszprunar.

Auf der Erde leben geschätzte 10 bis 100 Millionen Arten, von denen bis jetzt etwas weniger als zwei Millionen beschrieben sind. Nicht nur in Bayern, sondern weltweit werden solche DNA-Strichcodes gesammelt. Ins Leben gerufen wurde die Barcoding-Methode im Jahr 2003 von kanadischen Forschern der Guelph Universität.

Diese hat schließlich das "International Barcode of Life Project" initiiert, zu dem auch das Barcoding-Projekt der Zoologischen Staatssammlung in München gehört. Seit 2009 stellt die Guelph Universität die Online-Datenbank zur Verfügung, in der die genetischen Codes gesammelt werden.

"Das ist vergleichbar mit der Arbeit der Kripo"

Forscher aus 26 Nationen, darunter Frankreich, Deutschland, Russland, Norwegen und Australien, speisen in die "Barcode of Life Data Systems", kurz BOLD, Barcodes der bei ihnen heimischen Spezies ein.

77.770 Arten sind derzeit in dieser "Bibliothek des Lebens" erfasst. Unter der Adresse www.barcodinglife.org ist sie öffentlich einzusehen. "Wir machen mit diesem Projekt Artenkenntnis generell zugänglich. Jedermann, egal ob Privatperson oder Behörde, kann das Tier, das er findet, eindeutig determinieren", sagt Haszprunar.

Wenn man den "Barcode" in eine Suchmaske eingibt, liefert BOLD die Antwort, um welches Tier es sich handelt. Vorausgesetzt, das betreffende Tier ist bereits in der Datenbank erfasst.

"Das ist vergleichbar mit der Arbeit der Kripo. Sie nimmt von einem Tatort DNA-Spuren und hat dann eine große Bibliothek von Verdächtigen, testet die Probe dagegen und hofft, dass der Täter dabei ist", beschreibt Haszprunar das Vorgehen.

Für die Zukunft stellen sich die Wissenschaftler folgendes vor: Genauso wie wir früher Fotos zum Entwickeln geschickt haben, schicken wir künftig gegen ein Entgelt von etwa 20 bis 30 Euro Gewebeproben zum Sequenzieren - und ermitteln schließlich über BOLD, um welches Tier es sich handelt.

Allerdings gibt es solche laienfreundlichen "Barcoding"-Services erst vereinzelt. "Bei steigender Nachfrage - und dafür sind die derzeit erstellten Kataloge unabdingbare Voraussetzung - rechne ich aber mit einer gesunden Konkurrenzsituation", sagt Haszprunar.

Ob sich die Methode auch außerhalb der Fachwelt durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist es eine schöne Vorstellung, das hässliche Tier mit den langen Beinen einmal selbst bestimmen zu können.

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