Peinlich. Dieses Wort fällt gerade außergewöhnlich oft bei der Bahn. Zum Beispiel, weil in Mainz abends und nachts nun keine Züge mehr fahren und auch tagsüber wenig geht. Die Bahn, Deutschlands größter Logistikkonzern, kann diesen Bahnhof irgendwie nicht mehr managen. Kostet ja auch Geld so etwas, wie soll man denn das aus den lächerlichen 2,2 Milliarden Gewinn, die das Unternehmen dieses Jahr verdienen will, auch stemmen?
"Ja, das ist mir peinlich", sagte der Chef der DB-Netz-AG Frank Sennhenn. In diesem Punkt kann der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, Alexander Kirchner, nur zustimmen: Der Zustand in Mainz sei "hochpeinlich".
Der von der Bahn genannte Grund für das Desaster: Von 15 Fahrdienstleitern, die am Mainzer Stellwerk arbeiten, sind vier krank und drei im Urlaub. Bis mindestens Ende August werden Züge in Mainz ausfallen. "Wir sehen uns nicht in der Lage, eine stabile Aussage zu machen, wie es im September weitergeht", sagte Sennhenn.
"Gut 1000 Mitarbeiter fehlen bei Fahrdienstleitern"
Und wie ist das im Rest der Republik? Ist Mainz ein Einzelfall? Die Bahn sieht das so - und betont, dass sonst der Verkehr laufe. Von wegen, heißt es indes von EVG-Chef Kirchner. Andere Regionen seien ebenfalls bereits betroffen gewesen.
Bei der Berliner S-Bahn etwa, die auch von der Deutschen Bahn betrieben wird, kennt man das Problem. Im Mai diesen Jahres mussten in einem Abschnitt mehrere Nächte hintereinander S-Bahnen durch Busse ersetzt werden. Von den zehn Fahrdienstleitern, die für den entsprechenden - noch nicht auf elektronische Technik umgestellten - Stellwerkstyp geprüft waren, hatten sich vier krank gemeldet, zwei waren im Urlaub. Die verbleibenden vier konnten den Betrieb nicht alleine stemmen, andere konnte man nicht einsetzen.
Es gebe zudem Ausfälle, die von normal Reisenden nicht bemerkt würden, etwa, wenn Güterzüge wegen Ausfällen in Stellwerken nicht in Bahnhöfe einfahren können, sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn.
"Nach unseren Schätzungen fehlen bundesweit gut 1000 Mitarbeiter im Bereich der Fahrdienstleiter. So viele zusätzliche Mitarbeiter wären nötig, um die aufgelaufenen rund eine Million Überstunden der Kollegen abzubauen", sagte Kirchner der Welt. Auf Strecken nach Mainz habe es bereits zuvor Ausfälle gegeben. Ein Missstand, der führenden Managern bekannt gewesen sein soll, behauptet die Zeitung.
Mittlerweile hat sich auch die Bundesregierung eingeschaltet. Verkehrsminister Peter Ramsauer telefonierte deswegen am Freitag mit Bahnchef Rüdiger Grube. Parallel machte das Ministerium schriftlich Druck: Die aktuelle Situation sei "aus verkehrspolitischer Sicht nicht akzeptabel", heißt es in einem Brief von Staatsekretär Michael Odenwald an den Bahn-Vorstand. Das Eisenbahn-Bundesamt prüft derweil einen möglichen Verstoß gegen die Betriebspflicht.
Spezifische Ausbildung
Der Bahnbetrieb insgesamt in Deutschland sei durch die aktuell 12.000 Fahrdienstleiter gewährleistet, sagt die DB Netz. Darüber hinaus würde sie zusätzliche Puffer aufbauen, etwa wenn Mitarbeiter in Rente gehen. In diesem Jahr habe sie die Zahl der einzustellenden Fahrdienstleiter zusätzlich um 340 auf insgesamt 600 erhöht. 2012 seien etwa 300 neue Fahrdienstleiter eingestellt sowie über 110 Auszubildende übernommen worden, sagt das Unternehmen.
Im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen sei die Ausbildung der Fahrdienstleiter viel spezifischer, Mitarbeiter daher schwieriger zu ersetzen, so die Bahn. Sie seien für die jeweilige Stellwerkstechnik ausgebildet und müssten auf die örtlichen Besonderheiten eingearbeitet werden. Außerdem gebe es den Beruf so nur bei der Bahn - alle verfügbaren Fahrdienstleiter kommen also aus dem eigenen Unternehmen.
Es ist also offenbar ein hausgemachtes Problem, das die Bahn wohl schon vor Mainz erkannt hatte und versuchte, in den Griff zu bekommen. So wurden etwa Mitarbeiter benachbarter Stellwerke so geschult, dass sie bei Bedarf ausgetauscht werden könnten - allerdings nicht in Mainz, wie die Welt weiter schreibt.
Das will die DB Netz nun schnell nachholen und "die mittel- und langfristige Rekrutierungs- und Ausbildungsstrategie des Unternehmens weiter vorantreiben" - beispielsweise mit Ausbildungscamps, in denen junge Menschen für den Beruf des Fahrdienstleiters gewonnen werden sollen.
Für den Chef der Gewerkschaft GDL, Claus Weselsky, eine "typische Hektik". Er frage sich nur, warum diese Maßnahmen erst jetzt kämen. Personalmangel betreffe aber nicht nur Fahrdienstleiter, sondern auch Lokführer, Zugbegleiter und Baubereichsleiter. "Wir haben seit Jahren ein grundsätzliches Personalproblem", sagt Weselsky.