Frankfurt - Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, und so kommt es in diesen Tagen zu einem ungewöhnlichen Schulterschluss: Eigentlich stehen Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Versicherungen in einem harten Wettbewerb, doch nun haben sie sich gegen die Europäische Zentralbank und ihre niedrigen Zinsen verbündet, zu einer "Großen Koalition für Sparer", wie sie das selbst nennen.
"Die Sparer dürfen nicht dauerhaft ungefragt zu Solidarleistungen für Europa herangezogen werden", warnt Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon. Uwe Fröhlich, Präsident der Volks- und Raiffeisenbanken, hält die niedrigen Zinsen "ausgesprochen schädlich für die Finanzstabilität, weil sie Investitionen begünstigen, die auf Dauer nicht wirtschaftlich tragfähig sind". Und Alexander Erdland, Chef des Gesamtverbands der Versicherer, sieht vor allem die junge und mittlere Generation als Leidtragende, weil sie nicht ausreichend für das Alter vorsorgen könne.
Die Sorge um die eigenen Kunden ist ehrenwert. Was die Finanzverbände in ihrem Appell aber nicht sagen, ist, dass sie sich auch um sich selbst sorgen müssen. "Je länger die Niedrigzinsphase dauert, umso stärker werden die Geschäftsmodelle von Banken in Frage gestellt, die stark einlagenlastig sind", sagt Rüdiger Filbry, Leiter der Bankenberatung bei der Boston Consulting Group. Das gilt unter anderem auch für Genossenschaftsbanken und Sparkassen, die davon leben, dass sie das Spargeld ihrer Kunden niedrig verzinst hereinnehmen und höher verzinst wieder verleihen, in Form von Baufinanzierungen oder Unternehmenskrediten.
"In Phasen niedriger Zinsen verlieren solche Banken erhebliche Teile ihrer Profitabilität", sagt Filbry. Je länger die Phase dauere, umso stärker schaukle sich das Problem auf. Und wegen der wirtschaftlichen Probleme an der Peripherie Europas seien "noch auf viele Jahre hinaus" niedrige Zinsen zu erwarten.
Ein Beispiel, wie die Problematik für eine Sparkasse oder Volksbank wirkt: Vor einigen Jahren noch zahlte sie Kunden für ihre Einlagen vielleicht zwei Prozent Zinsen, in Form von Tagesgeld oder Sparbriefen. Das Geld, das sie einnahm, verlieh sie zum Beispiel als zehnjährige Baufinanzierung zu fünf Prozent. Unterm Strich blieb der Bank damit eine Zinsmarge von drei Prozent. Das war ihre Haupteinnahmequelle, mit der sie die Kosten bestritt, vor allem für Filialen und Personal. Was übrig blieb, war der Gewinn.
In einer Phase niedriger Zinsen, die 2008 begann und sich in den vergangenen Jahren weiter verstärkt hat, sieht diese Rechnung anders aus. Heute zahlen Kreditinstitute ihren Sparern in der Regel für Einlagen 0,5 bis 1,0 Prozent Zinsen. "Eigentlich müssten sie noch weiter nach unten gehen, aber das können sie sich nicht erlauben, weil sie sonst Einlagen an Direktbanken und Auslandsbanken verlieren würden", sagt Martin Faust, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management. Die Nulllinie sei eine natürliche Grenze. Auf der anderen Seite bekommen die Banken für verliehenes Geld nicht mehr so viel, auch hier besteht ein scharfer Wettbewerb. Zehnjährige Baufinanzierungen gibt es bei manchen Spezialinstituten schon für 2,0 bis 2,5 Prozent.
Einen Teil ihrer Einlagen legen die Banken selbst an, in der Niedrigzinsphase herrscht hier ebenfalls Notstand. Sichere zehnjährige Bundesanleihen bringen gerade noch 1,3 Prozent - das ist nur noch um wenige Zehntel über dem, was Sparkassen und Volksbanken ihren Sparern selbst zahlen müssen. Das Problem verschärft sich mit jedem Monat: Alte, höher verzinsliche Anlagen laufen aus, zum Beispiel Bundesanleihen, die noch drei oder vier Prozent brachten. "Alles, was neu angelegt wird, wirft weniger ab", sagt Daniel Kapffer, Bankenexperte bei der Unternehmensberatung Accenture. Es wird gemunkelt, dass bei manchen Filialbanken durch die niedrigen Zinsen ein Drittel der Erträge wegbricht. Institute, denen es ohnehin schon schlecht geht, kommen so in die Verlustzone. Für manche Banken ist die Niedrigzinsphase eine Frage des Überlebens.
Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret warnt: "Durch die niedrigen Zinsen schmilzt die Zinsmarge. Traditionelle Geschäftsmodelle verlieren daher an Stabilität." Die Banken könnten versucht sein, die niedrigen Erträge anderswo auszugleichen - etwa indem sie Anlagen mit höheren Risiken eingehen.
Um überhaupt noch Erträge zu erwirtschaften, haben viele Banken zuletzt die Fristentransformation verstärkt. Der Fachbegriff umschreibt den Vorgang, kurzfristig eingenommene Gelder langfristig wieder zu verleihen, zum Beispiel in zehnjährige Baufinanzierungen oder Anleihen. Doch darin liegt die Gefahr, dass sich die Institute sehr lange auf niedrige Zinseinnahmen festlegen. "Sollten die Zinsen in fünf Jahren auf einmal schnell steigen, verlieren diese Anlagen dramatisch an Wert", sagt Bankenexperte Filbry. Das ist die Kehrseite der Forderung von Sparkassen und Genossenschaftsbanken nach höheren Zinsen: Sie sollen steigen, tun sie es aber zu schnell, gibt es neue Probleme für die Institute. Anfang der 1980er Jahre brachte eine schnelle Zinswende viele Banken in die Bredouille.