Wohnung mieten:Das Mietrecht muss zurück zu seinem sozialen Kern

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Der BGH stärkt mit zwei Urteilen die Rechte der Mieter. Lange haben die Richter eher im Sinne der Vermieter entschieden. (Foto: dpa)

Lange haben deutsche Gerichte vermieterfreundlich geurteilt. Das ändert sich nun. In Zeiten knappen Wohnraums ist das dringlicher denn je.

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Wohnraum war knapp, seit Jahren schon, deshalb entschloss sich das Justizministerium zum Handeln. Erst wurde der Anstieg der Mieten gebremst, dann, im Jahr darauf, ein echter Kündigungsschutz für Mieter geschaffen. Wer Mieter ist, darf Mieter bleiben, so lautete der Grundsatz. Kündigungen sollen auf Ausnahmen beschränkt bleiben, wie den Zahlungsverzug und sonstige Pflichtverletzungen. Und eben auf den Fall, dass der Vermieter die Wohnung selbst benötigt. Das ist nun beinahe hundert Jahre her, im Justizministerium saßen seinerzeit Leute wie der große Rechtsphilosoph Gustav Radbruch. Es war der Beginn der langen Geschichte eines sozialen Mietrechts.

Daran sollte man sich erinnern, wenn man sich die beiden überraschend mieterfreundlichen Urteile des Bundesgerichtshofs anschaut. Der BGH vollzieht die offene Korrektur einer Rechtsprechung, die einen fundamentalen Konflikt zwischen Vermieter und Mieter betrifft, den "Eigenbedarf". Das ist ein blutleeres Bürokratenwort. In Wahrheit geht es darum, dass Menschen nach Jahren oder Jahrzehnten aus ihrer Wohnung, ihrem Viertel, ihrem Lebensumfeld gerissen werden. Die Nachbarn, die Stadtteilschule, die Kirchengemeinde - im schlimmsten Fall wird mit einem Kündigungsschreiben alles ausgetauscht. Es gibt im Mietrecht endlos viel kleinliches Gezanke und Gezerre , um Nebenkosten, um rauchende Nachbarn, um Lärm im Treppenhaus. Beim Eigenbedarf geht es ums Ganze.

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Der BGH indes - der im Kleinen gern auch mal mieterfreundlich ist - hatte ausgerechnet in dieser zentralen Frage die Gewichte deutlich auf die Seite der Immobilieneigentümer verschoben. Inzwischen dürfen sie Eigenbedarf auch für die entferntesten Zweige der Familie anmelden - Neffen, Tanten, Großcousinen. Mieter müssen raus, weil ein Chefarzt die Wohnung für gelegentliche Besuche bei der Tochter benötigt. Oder weil eine Anwaltskanzlei eingerichtet werden soll. Das ist eine dezidiert wirtschaftsliberale Rechtsprechung, die ausgerechnet beim Eigenbedarf den sozialen Kern des Mietrechts auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft hat.

Die beiden neuen Urteile des Bundesgerichtshofs werden vorerst zwar keine grundlegende Wende bringen, wohl aber eine spürbare Aufwertung der Mieterinteressen in zwei wichtigen Punkten. Erstens: Wer den Mieter vor die Tür setzen will, weil er die Räume beruflich nutzen will, der muss unmissverständlich darlegen, dass er die Räume wirklich dringend benötigt. Und zweitens: Der Bundesgerichtshof versucht, üblen Tricksereien in den Reihen der Vermieter Einhalt zu gebieten, indem er saftige Schadensersatzsummen gewährt. Die Gerichte müssen künftig sehr genau überprüfen, ob der vermeintliche Nachmieter in Wahrheit der Strohmann einer vorgeschobenen Kündigung ist.

Die Eigentumsgarantie gilt auch für Mieter

Der BGH will so einer Fehlentwicklung Einhalt gebieten, die er zum Teil selbst ausgelöst hat. Der Mietrechtssenat tut dies mit einer Prise Selbstkritik. Dass die BGH-Linie von den unteren Instanzen so vermieterfreundlich interpretiert worden sei, liege wohl auch am Senat selbst, räumte die Senatsvorsitzende Karin Milger ein. So viel Offenheit ist sympathisch; Selbstkritik ist sonst eher keine bundesrichterliche Tugend.

Noch wichtiger ist etwas anderes. Der BGH hat daran erinnert, dass die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes nicht nur für den Vermieter gilt, sondern auch für den Mieter. Für Juristen ist das zwar ein Allgemeinplatz. Das Bundesverfassungsgericht hat das bereits 1993 ausgesprochen. Der Satz "Miete macht Eigentum" ist die Zentralformel eines sozialen Mietrechts, ungleich bedeutender als aktionistische Mietpreisbremsen von zweifelhafter Wirksamkeit. Darin drückt sich aus, dass eine Wohnung ein besonderes Wirtschaftsgut ist. Der Vermieter darf, wie jeder Eigentümer, seinen finanziellen Nutzen daraus ziehen, er darf aber nicht nach Belieben darüber verfügen. Eine Wohnung ist kein Auto. Man kann den Schlüssel nicht einfach in die Hand drücken, wem man will.

Dass Miete ein "dingliches", also besonders starkes Recht begründet, ist übrigens kein neuer Gedanke. Im Mittelalter kannte man das eigentumsähnliche "Gewere", auch im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 hieß es: Wenn der Mieter im Gebrauch der Sache sei, dann habe sein Recht "dinglichen" Charakter. Der Gedanke von der existenziellen Dimension des Wohnens hat lange Wurzeln. Der Bundesgerichtshof hat nun einen ersten Schritt unternommen, diesen Gedanken wieder aufzunehmen. In den Zeiten knappen Wohnraums ist das dringlicher denn je.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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