Monika Schnitzer stößt gern große Debatten an. Die Münchner Ökonomin ist auch Vorsitzendes des Sachverständigenrats, ihr Wort hat also Gewicht in der Politik. Vor einigen Tagen erst hatte sie im Kampf gegen den Fachkräftemangel für Deutschland 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr gefordert. Jetzt geht sie das Thema Rente an - und löst damit wieder eine Debatte aus.
Schnitzer fordert eine Abschaffung der Witwenrente in ihrer bisherigen Form. Auch wenn das rückwirkend kaum möglich wäre, betroffen wären möglicherweise Millionen Menschen in Deutschland, denn derzeit erhalten Eheleute mindestens 55 Prozent der Rente des verstorbenen Partners - unabhängig davon, ob Ansprüche während der Ehe erworben wurden oder nicht. "Die jetzige Regelung reduziert die Anreize, eine eigene Beschäftigung aufzunehmen", sagte Schnitzer dem Spiegel. Zudem würden so alleinstehende Beitragszahler zur Finanzierung von Rentenansprüchen für nicht erwerbstätige Partner beitragen, die selbst nicht in das System einzahlen. Das widerspreche dem Äquivalenzprinzip, wonach sich die Auszahlungen grundsätzlich nach den selbst geleisteten Beiträgen bemessen. Die Rentenversicherung ist ohnehin in finanziellen Problemen.
Stattdessen solle das selten genutzte Rentensplitting künftig verpflichtend sein, fordert Schnitzer: Dabei werden die in einer Ehe von beiden erworbenen Rentenansprüche hälftig aufgeteilt. Nach dem Tod eines Partners bleiben dem oder der Hinterbliebenen also diese Hälfte plus die vor der Ehe erworbenen eigenen Ansprüche. Angesichts der offensichtlichen Brisanz des Themas fügte Schnitzer an, dies sei ihre persönliche Position und nicht mit den anderen Wirtschaftsweisen abgestimmt. DIW-Chef Marcel Fratzscher schrieb auf Twitter, eine Abschaffung wäre sinnvoll, aber erst als letzter Schritt von mehreren Reformen.
Die Union spricht von einem "Frontalangriff auf Familien"
Trotzdem gibt es viele Reaktionen aus Schnitzers Vorstoß - die meisten ablehnend. Markus Söder, der bayerische CSU-Ministerpräsident, schrieb auf Twitter: "Eine Abschaffung der Witwenrente ist falsch. Das würde die Lebensleistung vieler Paare schmälern." Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, sprach gar von einem "Frontalangriff auf Familien". Und er fügte in der Bild hinzu: "Ich habe den Eindruck, dass es hier nicht um die Stärkung des Wirtschaftsstandorts geht, sondern um die Durchsetzung abstruser gesellschaftspolitischer Vorstellungen." FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hält von dem Vorstoß ebenfalls wenig: "Die Idee, die Witwenrente zu streichen, verunsichert Millionen von älteren Ehepaaren, deren Lebensplanung auf die Zusage dieser Altersabsicherung aufgebaut war." Und zu Bild weiter: "Langsam beschleicht mich das Gefühl, es gibt im demokratischen Spektrum eine fünfte Kolonne, die der AfD mit solchen Vorschlägen zum Erfolg verhelfen will."
Auch der Sozialverband VdK lehnt die Forderung entschieden ab. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte dem Münchner Merkur, sie könne Schnitzers Vorschlägen für ein flächendeckendes Rentensplitting "wirklich nichts abgewinnen". Witwenrenten seien immer noch ein wirksames Mittel gegen Armut bei Frauen. Nach der Statistik der Deutschen Rentenversicherung erhalten gut fünf Millionen Menschen eine solche Rente, die überwiegende Mehrheit sind Frauen, die statistisch deutlich länger leben als Männer.