Wikileaks-Anhänger:Ein Rückzug und neue Verbündete

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Die Gruppe "Anonymous" verzichtet künftig auf Hacker-Attacken gegen Wikileaks-Gegner. Stattdessen überlegt sie sich eine neue Strategie - und weiß plötzlich auch zwei klassische Medien an ihrer Seite.

Seit der Verhaftung von Julian Assange ist die Netzgemeinde in Aufruhr. Sie solidarisiert sich mit dem Wikileaks-Gründer und glaubt zu einem große Teil jener Verschwörungstheorie, die Assange-Anwalt Mark Stephens in der Bild am Sonntag noch einmal bekräftigte: "Die Sexsache ist doch nur ein vorgeschobener Tatvorwurf wegen eines Delikts, das die Inhaftierung des Verdächtigen ermöglicht." Doch die Strategie der Netzgemeinde im Abwehrkampf scheint sich ein wenig zu ändern.

Anhänger von Julian Assange demonstrierten am Samstagabend in Barcelona gegen die Verhaftung des Wikileaks-Gründers. (Foto: REUTERS)

So will eine Gruppe von Unterstützern nach eigenem Bekunden keine Server mehr von Finanzunternehmen wie Visa, Mastercard oder Paypal attackieren - diese hatten in den vergangenen Tagen die Spendenmöglichkeit für Wikileaks massiv eingeschränkt oder gar beendet und anschließend mit Vergeltungsschlägen der Wikileaks-Unterstützer zu kämpfen.

Die lose organisierte Gruppe mit dem Namen "Anonymous" erklärte, sie habe den Firmen bestenfalls ein blaues Auge verpasst. Ab jetzt werde man sich darauf konzentrieren, geheime US-Depeschen mit größtmöglicher Verbreitung zu veröffentlichen. Dies soll demnach so geschehen, dass die Urheber schwer nachzuvollziehen sind.

Fast gleichzeitig verhaftete aber die niederländische Polizei einen weiteren jungen Mann wegen eines Angriffs auf eine Internet-Seite. Der 19-Jährige aus dem nordniederländischen Hoogezand-Sappemeer habe die Webseite einer Staatsanwaltschaft lahmgelegt und dafür Mitstreiter im Internet angeworben, teilte die Polizei mit. Erst vor wenigen Tagen hatte die Polizei im Zusammenhang mit Internet-Angriffen von Unterstützern des Online-Portals Wikileaks einen 16-Jährigen festgenommen. Auf solche Aktionen steht in den Niederlanden eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren.

Auch der Protest auf den Straßen nimmt zu. Tausende Menschen demonstrierten am Wochenende in mehreren Ländern für die Freilassung von Assange. In der Kapitale Madrid sowie in anderen spanischen Städten wie Barcelona, Valencia und Sevilla gingen am Samstagabend Hunderte Wikileaks-Unterstützer auf die Straße. Sie skandierten "Freiheit für Assange!" und forderten, das Recht auf Informationsfreiheit zu achten. Ähnliche Demonstrationen gab es in Assanges Heimat Australien sowie in mehreren Städten in Lateinamerika.

Unterstützung erhielten Wikileaks und seine Unterstützer zudem überraschend von zwei klassischen Medien aus Frankreich und Norwegen. Die linksliberale Pariser Zeitung Libération erklärte ihren Lesern, sie werde sich im Namen der Informationsfreiheit als "Internet-Spiegel" für das Wikileaks-Archiv zur Verfügung stellen.

Das Blatt, das sich in den vergangenen Tagen überaus kritisch mit den Veröffentlichungen der US-Diplomatendepeschen auseinandergesetzt hatte, betont: "Wir haben uns entschlossen, das Unterdrücken der Wikileaks-Website zu einer Zeit zu verhindern, in der Regierungen und Unternehmen ihr Funktionieren ohne jegliche Justizentscheidung zu blockieren suchen."

Obama bedauert Enthüllungen

Die Zeitung habe daher "wie Tausende andere" beschlossen, sich dem Unterstützerkreis der Plattform anzuschließen und den Wikileaks-Inhalt unter der Adresse wikileaks.liberation.fr auf ihrem Server abzubilden. "Wir haben das getan, um zu verhindern, dass die von den Partner-Zeitungen ausgewählten Wikileaks-Informationen vom Netz verschwinden", betont die Zeitung in dem Hinweis an ihre Leser. Auch die norwegische Zeitung Dagsvisen reihte sich in den Unterstützerkreis ein. Sie bietet ebenfalls ein Abbild der Wikileaks- Website an.

Unterdessen richteten sich die neuesten inhaltlichen Veröffentlichungen vor allem gegen den Vatikan. Amerikanische Gesandte sähen einen schlechten Informationsaustausch im Heiligen Stuhl als einen Grund für PR-Pannen von Papst Benedikt XVI. wie seine Regensburger Vorlesung vor vier Jahren oder die Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Richard Williamson, berichtete die britische Zeitung Guardian. Kardinäle am Heiligen Stuhl werden in diplomatischen Botschaften als technikfeindlich beschrieben. Der innere Kreis von Papst Benedikt sei "Italien-zentriert" und sehe moderne Kommunikationsmittel mit Unbehagen. So besitze mit Papstsprecher Federico Lombardi nur ein hochrangiger Berater des Papstes einen Blackberry.

Zudem soll der Vatikan eine Kooperation bei der Untersuchung von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche in Irland verweigert haben. Die Anforderung von Informationen über die Missbrauchsfälle durch die Murphy-Kommission habe "viele im Vatikan verärgert", zitierte der Guardian aus einer Depesche. Der Vatikan forderte Zurückhaltung bei der Bewertung der Informationen.

Die US-Regierung, die mit den Veröffentlichungen in eine peinliche Lage gekommen ist, bemühte sich unterdessen weiter um Schadensbegrenzung. So war Wikileaks am Wochenende Thema bei einem Gespräch zwischen Präsident Barack Obama und seinem mexikanischen Kollegen Felipe Calderon sowie bei einem weiteren Telefonat mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan. Die Veröffentlichung sei bedauerlich, sagte Obama.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/Reuters/aum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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