Professor Markus Voeth leitet den Lehrstuhl für Marketing der Universität Hohenheim in Stuttgart: Bereits zur WM 2006 untersuchte er, welche Auswirkungen das Großereignis auf die deutsche Wirtschaft hat. Damals kam er auf eine Einbuße von 0,4 Prozent des Sozialproduktes. Bei der Studie zur aktuellen WM in Südafrika fällt dieser Wert mit 0,27 Prozent geringer aus. Allerdings beinhalten beide Messgrößen nur die negativen Effekte - die langfristigen positiven Auswirkungen sind nicht quantifizierbar.
Fan-Fest in Hamburg: Im Fußball haben die Deutschen eine neue Leichtigkeit entdeckt. "Das schafft eine Stimmung, die eine Langfristwirkung hat", sagt der Ökonom Markus Voeth. Die Folgen seien eine verbesserte Stimmung in Unternehmen und eine höhere Motivation sowie höhere Loyalität der Mitarbeiter.
(Foto: dpa)sueddeutsche.de: Herr Professor Voeth, wenn Deutschland gegen England oder gegen Argentinien spielt, dann steht das ganze Land still. Sie haben die wirtschaftlichen Auswirkungen der Fußball-Weltmeisterschaft untersucht. Was überwiegt, die positiven oder die negativen Konsequenzen?
Markus Voeth: Es gibt sicherlich widerstreitende Aspekte dabei. Wenn Sie nur auf die Produktivität abzielen, dann ist so eine WM sicherlich in vielen Bereichen produktivitätsvernichtend, weil die Menschen Teile ihrer Arbeitszeit schlichtweg für andere Dinge verwenden als dies eigentlich ihr Job ist.
sueddeutsche.de: Wie hoch ist die Verlustquote einzuschätzen?
Voeth: Wir haben gefragt, ob für das Thema Fußball am Arbeitsplatz Arbeitszeit draufgeht, ohne dass diese Arbeitszeit nachgearbeitet wird. 51 Prozent der Befragten haben geantwortet: Jawohl, während der WM ist es klar, dass wir uns mit Kollegen innerhalb der Arbeitszeit und nicht neben der Arbeit, sondern anstatt der Arbeit über das Thema Fußball austauschen. Das ist auch großteils vom Arbeitgeber akzeptiert, führt aber zweifelsohne zu einem Produktivitätsverlust.
sueddeutsche.de: Arbeitet denn gar niemand die verlorene Arbeitszeit nach?
Voeth: Ein Viertel der Mitarbeiter, die sagen, dass am Arbeitsplatz über Fußball geredet wird, geben an, dass sie die entgangene Arbeitszeit nachholen würden. Das bedeutet aber auch, dass drei Viertel der Beschäftgten die Arbeitszeit nicht nachholen. Dass dieser Wert realistisch ist, haben unsere Studien schon 2006 gezeigt.
sueddeutsche.de: Wie geht die Arbeitszeit verloren: Nur durch Fachsimpeleien?
Voeth: Das können Kollegen sein, mit denen man morgens erst einmal eine viertel Stunde spricht, weil man mit ihnen ein Tippspiel macht. Das können aber auch Kollegen sein, die nicht deutscher Nationalität sind und mit denen man erst einmal über deren Nationalmannschaft spricht. Es wird einfach ein Stück weit Arbeitszeit vergeudet.
sueddeutsche.de: Wird denn am Arbeitsplatz Fußball direkt angesehen? Viele Spiele finden ja schon am Nachmittag statt.
Voeth: Das ist nur bei einem geringen Anteil der befragten Arbeitnehmer der Fall, also bei unter zehn Prozent. Das ist auch etwas, was großteils von den Arbeitgebern nicht akzeptiert wird, wohingegen bei anderen Dingen wie Austauschen über Ergebnisse, Ergebnisse im Internet verfolgen, Tippspiele, die mit Kollegen gemacht werden, ein relativ großes Wohlwollen bei vielen Arbeitgebern zu beobachten ist.
sueddeutsche.de: Wissen das die Arbeitnehmer auch?
Voeth: Interessanterweise sehen die Mitarbeiter ihre Chefs an der Stelle kritischer als diese Chefs sich selber einschätzen. Sprich: Die Mitarbeiter wissen, der Vorgesetzte sagt nichts, sie denken aber, er findet es nicht gut. Der Chef denkt wiederum: Ich sage ja nichts und glaubt daher, bereits das Signal auszusenden, dass er das zumindest in Teilen akzeptieren würde.
sueddeutsche.de: Letztendlich siegt aber die Neugier auf den Fußball. Haben Sie quantifiziert, welche Einbußen die deutsche Wirtschaft dadurch unter dem Strich erleidet?
Voeth: Ja, wir sind auf einen Verlust von 0,27 Prozent des Bruttosozialprodukts gekommen. Ausgedrückt in Euro, bedeutet dies eine Einbuße von 6,6 Milliarden Euro, wenn man der aktuellen Wachstumsprognose der Bundesbank für 2010 glaubt. Für uns ist das zunächst aber nur eine Messgröße, die sich aus 15 Minuten ergibt, die pro Mitarbeiter während der WM in Durchschnitt täglich verlorengeht.
sueddeutsche.de: Verändert sich denn dieser Messwert, je nachdem wie lange Deutschland im Turnier bleibt?
Voeth: Natürlich: Wenn Deutschland nach der Vorrunde wieder nach Hause gefahren wäre, dann wäre dieser Effekt sicherlich kleiner ausgefallen. Und wenn sich Deutschland spektakulär auf den Titelthron vorkämpft, dann ist dieser Effekt wahrscheinlich größer.