Whistleblower:Der größte Lump im ganzen Land ...

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"Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant", reimte Hoffmann von Fallersleben Mitte des 19. Jahrhundert: "Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt - das ist das gewöhnliche Schicksal desjenigen, der sich im Interesse von Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt", so beschrieb der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling einmal den Status der Whistleblower in Deutschland.

Während deutsche Behörden von oft zweifelhaften Gestalten für Millionen Steuer-CDs kaufen, haben aber private Hinweisgeber in Deutschland immer noch kaum rechtlichen Schutz. Berühmt wurde der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die Missstände in einem Pflegeheim anzeigte. Heinisch wurde gefeuert und gefeiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab ihr später recht, brummte der Bundesregierung eine Schadensersatzzahlung von 10.000 Euro auf und mahnte mehr Schutz für den privaten Bereich der Arbeitswelt in Deutschland an. Bislang vergeblich. Immerhin hat im vergangenen Jahr nach langem Rechtsstreit das Landesarbeitsgericht Berlin einen Vergleich mit Heinisch geschlossen. Die Altenpflegerin erhielt von einem Klinikkonzern 90.000 Euro. Die fristlose Kündigung wurde in eine ordentliche umgewandelt, und es gab sehr spät ein anständiges Zeugnis.

In anderen Ländern wie Japan, Neuseeland und Frankreich werden Hinweisgeber arbeits- und dienstrechtlich viel besser geschützt. Insbesondere Großbritannien gilt als Musterschüler in Bezug auf Gesetze, die Whistleblower vor Repressalien schützen soll. Der Public Interest Disclosure Act ("Gesetz über Enthüllungen im öffentlichen Interesse") schließt arbeitsrechtliche Schritte oder Schadensersatzforderungen des Unternehmens gegen Mitarbeiter aus, die in gutem Glauben für das öffentliche Interesse bedeutsame Meldungen gemacht haben; bei Rufmord oder Querulantentum findet das Gesetz keine Anwendung.

Unternehmen müssen Möglichkeiten zur anonymen Hinweisgabe schaffen

Das Gesetz orientiert sich am Begriff der "geschützten Enthüllung", von der ein Whistleblower "vernünftigerweise" ausgehen dürfe, und zwar wenn er meldet, dass etwas "gerade begangen worden ist, gerade begangen wird oder wahrscheinlich begangen wird".

In den USA gibt es eine Reihe bundes- und einzelstaatlicher Regelungen zum Whistleblowing und auch ein Schutzprogramm beim Arbeitsministerium in Washington. Die Vorschriften sollen vor allem willkürliche Degradierungen, Entlassungen oder andere Formen der Nötigung verhindern. Börsennotierte Unternehmen müssen interne Informationskanäle aufbauen, über die auch anonym auf Ungereimtheiten hingewiesen werden kann.

Die große Mehrheit der Gerichte der US-Bundesstaaten hält die Kündigung eines Whistleblowers für unzulässig, wenn er sich weigert, eine illegale oder gar strafbare Handlung zu begehen oder an einer solchen mitzuwirken.

Unter Umständen wird Whistleblowern in den USA auch, quasi als Kompensation, ein Teil des durch die Meldung verhüteten Schadens zugesprochen: Ein seit dem Jahr 2006 bestehendes Whistleblower-Programm sieht für Tippgeber einen Anteil an eben der Summe vor, welche die Steuerbehörden nach der Aufdeckung von Delikten eintreiben. Zivilcourage soll sich lohnen, das ist die Botschaft.

Auch in den USA kann Hinweisgebern Unheil drohen

Im vergangenen Jahr sorgte der Fall des früheren Kundenbetreuers der Schweizer Großbank UBS, Bradley Birkenfeld, für Aufsehen, der von der amerikanischen Steuerbehörde IRS 104 Millionen Dollar erhielt, weil er entscheidende Informationen geliefert hatte, um Steuerdelikte bei seinem früheren Arbeitgeber aufzudecken. Einen beträchtlichen Teil der Prämie kassierten allerdings Birkenfelds Anwälte.

Aber auch in den USA, dem Land der Whistleblower, kann Hinweisgebern Unheil drohen, wenn ihre Identität bekannt wird. Der bekannteste Fall ist der Soldat Bradley Manning, der die Quelle für die spektakuläre und gesellschaftlich bedeutende Wikileaks-Veröffentlichungen über die Kriege im Irak und in Afghanistan war. Ihm wird nun der Prozess gemacht. Seine Ankläger werfen ihm vor, den "Feind unterstützt" zu haben, Manning droht lebenslange Haft.

Hat sich der Mut denn gelohnt? Der Whistleblower Stanley Adams, jener Unglückliche, der im Zug der Hoffmann-La Roche-Affäre seine Frau verlor, antwortete auf die Frage, ob er noch einmal genau so handeln würde: "Wenn ich den Tod meiner Frau beiseitelasse, dann würde ich ohne Zögern Ja sagen. Wenn du eine Geschichte zu erzählen hast, dann rate ich: Erzähl sie. Es ist besser, aufrecht zu sterben, als auf Knien zu leben."

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