Wham-O:Die Jagd nach dem nächsten Hula-Hoop

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Der Hula-Hoop-Reifen ist viel mehr als ein Spielzeug. Der Plastikreifen verhalf im Jahr 1957 dem US-amerikanischen Hersteller Wham-O zum Durchbruch. Heute kämpft die Firma ums Überleben, weil Kinder immer öfter auf dem Handy und an der Spielekonsole spielen. (Foto: John Pratt/Getty)

Frisbee und Hula-Hoop-Ring: Die US-Firma Wham-O hat beides berühmt gemacht. Ihr Chef Todd Richards hofft nun auf das nächste große Ding.

Von Kathrin Werner, New York

Als Todd Richards ein kleiner Junge war, hat er sich ab und zu in die Spielzeug-Fabrik geschlichen. Er ist ein paar Meilen entfernt von der Firmenniederlassung des Herstellers Wham-O in Kalifornien aufgewachsen. Zusammen mit einem Freund radelte er zur Fabrik, stahl sich durch den Hintereingang hinein und durchforstete die Mülltonnen. Sie fanden buntes Gummi oder biegbares Plastik. "Wir haben uns ausgemalt, was daraus mal werden könnte", sagt Richards. "Und nun bin ich Präsident eines Unternehmens, bei dem ich vor 45 Jahren die Mülleimer ausgeräumt habe."

Richards ist 55 Jahre alt und dafür zuständig, dem alten Hersteller Wham-O neues Leben einzuhauchen. In den USA kennt seit mehr als 70 Jahren fast jeder den Namen der Firma. Im Rest der Welt kennt man zumindest die Produkte, vor allem Hula-Hoop-Reifen und Frisbees. Und dann sind da noch Super Balls, extrem hüpfende Flummis, Hacky Sacks, Stoffsäckchen, die man mit dem Fuß in die Luft kickt, und Boogie Boards zum Wellenreiten. Spielzeuge von Wham-O haben die Kindheit von Generationen rund um den Erdball geprägt. Sie sind mehr als Plastikreifen und -scheiben, sie sind kulturelle Phänomene, die in Menschen etwas auslösen: Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit. Nostalgie.

Es war ein großes Erbe, das Richards im Jahr 2015 übernommen hat - mit einer wechselvollen Geschichte. Im Jahr 1948 hatten Richard Knerr und Arthur Melin das Unternehmen gegründet. Die Jugendfreunde hatten eine Steinschleuder erfunden, die ihrer Ansicht ein Geräusch machte, das wie "Wham-O" klang, wenn sie das Ziel abschoss. Der ganz große Durchbruch war 1957 mit dem Hula-Hoop-Reifen gekommen. Plötzlich wollte jeder die Plastikreifen um die Hüften kreisen lassen. Binnen vier Monaten verkaufte Wham-O 25 Millionen Hula-Hoops.

Wham-O-Chef Todd Richards (Foto: OH)

Später folgten Hunderte andere Spielzeug-Kuriositäten, von denen die meisten floppten, wie etwa ein 1,5 Meter langer Gummibleistift, aber immer wieder einzelne zum Kassenschlager wurden. Die Firmengründer führten über 34 Jahre die Geschäfte und hatten keine Angst vor Fehlschlägen: Jeder Mitarbeiter durfte Ideen einbringen ohne Angst, etwas falsch zu machen. Wenn die Start-ups aus dem Silicon Valley von heute von einer "Kultur des Scheiterns" sprechen, könnte die alte Spielzeugfirma ein Vorbild sein. Wham-O war ständig auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, das alle süchtig macht. Es gab auch mal schlechte Jahre, in denen eine Modeerscheinung out und die nächste noch nicht gefunden war. Aber dann landete die Firma wieder einen Hit, alles war gut.

Doch heute spielen Kinder anders. "Die Welt um uns herum hat sich verändert", sagt Richards. Die Spielzeugindustrie leidet unter der Konkurrenz von Videospielen und Smartphones. Sogar einstige Kassenschlager wie Barbie, Puppen von American Girl, My Little Pony und die Actionfiguren Transformers verkaufen sich immer schlechter. Und welches Kind begeistert sich noch für Frisbees und Flummis? "Unsere ersten Gedanken, als wir die Firma übernahmen, drehten sich um die Frage, wie wir Kinder wieder dazu bringen, aus dem Haus zu gehen und zu spielen", sagt Richards, der selbst lieber draußen ist und Sport treibt, als auf das Handy zu starren. "Bildschirme haben all die alten Spiele der 60er- und 70er-Jahre ersetzt."

"Wie schwer es werden würde, konnten wir nicht ahnen", sagt Richards über seinen Job

Richards ist ein Mann wie ein Bär, breite Schultern, riesige Hände, fester Händedruck. Er hat früher Football gespielt, erst im College, das er sich mit einem Sport-Stipendium finanzierte, später bei dem Profi-Football-Team San Francisco 49ers. Doch die Sportkarriere war kurz, danach arbeitete er sich bei einem Anbieter für Sammelkarten hoch und später bei einer Spielzeugfirma. Einige Jahre lang war er Vertriebschef bei Wham-O, schmiss aber im Jahr 2005 den Job, als er sich über die neuen Eigentümer aufregte. Stattdessen verkaufte er Surfausrüstung, ein Traumjob für den Hobby-Surfer.

Wham-O beobachtete er weiter aus der Ferne. Und was er sah, ärgerte ihn. Über Jahrzehnte hatten die Eigentümer ständig gewechselt. Außerdem gab es Lieferverzögerungen, so dass Wham-O bei vielen Ladenketten aus dem Regal flog. Auch Mattel, dem Konzern hinter Barbie, gehörte Wham-O ein paar Jahre. Doch das Hauptproblem: Keiner der Investoren investierte in die dringend notwendige Entwicklung neuer Produkte. Immer fehlte Geld. Und es fehlten Ideen.

Schließlich kam im Jahr 2015 ein Anruf bei Richards. Ein Geschäftspartner von ihm aus Hong Kong wollte Wham-O kaufen und ihm die Führung übergeben. Er zögerte keine Sekunde. 100 Millionen Dollar Umsatz sollte die Firma fünf Jahre nach der Übernahme machen, nahm er sich vor. "Wir waren uns bewusst, dass es nicht leicht würde", sagt er heute. "Wie schwer es werden würde, konnten wir nicht ahnen."

Wie schwer, zeigen die vergangenen Jahre: Smartphone-Apps und Videospiele sind noch rasanter gewachsen als zuvor. Über Onlinehändler lohnt sich das Geschäft für Wham-O kaum. Der Versand kostet oft mehr, als das Spielzeug wert ist oder frisst zumindest die Gewinnmarge auf. Wham-O verkauft meist Sachen, für die Kunden nicht extra in den Laden gehen, sondern die sie mitnehmen, wenn sie ohnehin dort sind. Aber mit Toys'R'Us ist die größte Spielwarenkette der USA in die Pleite gerutscht, daneben kleinere lokale Ladenketten. "75 bis 80 Prozent unseres Marktes existieren nicht mehr", sagt Richards.

Er lässt sich dennoch nicht entmutigen. Richards stammt aus einer Arbeiterfamilie. "Ich habe von klein auf gelernt, hart zu arbeiten und dass sich harte Arbeit lohnt", sagt er. Helfen soll die Start-up-Kultur von früher. Richards hat es wieder zur Kernaufgabe der 125 Mitarbeiter in Los Angeles, Hong Kong und Shenzhen erklärt, Ideen zu sammeln. "Die alte Philosophie lebt wieder: Immer nach dem nächsten großen Ding suchen", sagt er. Die beste Quelle sind Crowdfunding-Internetseiten wie Kickstarter oder Indiegogo, auf denen Tüftler ihre Erfindungen präsentieren und um Geld dafür bitten. Wenn Richards' Leute etwas sehen, das sie für vielversprechend halten, kontaktieren sie die Erfinder und bieten Kooperationen an. Das Internet ist eine Brutstätte für verrückte Ideen, also genau Wham-Os Geschäft. Jede Woche bekommt die Firma außerdem 30 bis 40 Anrufe von Erfindern, die Wham-O ihre Einfälle verkaufen wollen - von Wasserballon-Lademaschinen über Schneeball-Wurfapparate bis zu Schaumbad-Containern. Manche liefern Prototypen, andere nur Zeichnungen, Wham-O hört jedem zu. Jeden Dienstag kommt das internationale Team per Skype-Konferenz zusammen und diskutiert alle Entdeckungen.

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"Wir hoffen ständig, dass sonst niemand die gleiche Idee hat", sagt Richards. "Passiert leider dauernd." Richards stellt die Ideen dann den Einkäufern der Spielzeugläden vor. Erst neulich ist er mit einer dicken Mappe mit Präsentationen zur Spielzeugmesse nach New York gereist. Vielleicht ist das Frisbee, das aussieht als würden vier Schweinchen sich an den Händen halten, der nächste Knüller. "Fliegende Schweine - witzig, oder?", sagt Richards. Er hat die Hoffnung nicht verloren, dass Kinder wieder mehr draußen spielen. "Mehr und mehr Eltern wird klar, dass das besser für ihre Kinder ist. Wir als Gesellschaft haben ein Problem. Wir haben Bewegung und Kreativität durch Auf-den-Bildschirm-Starren ersetzt."

Allerdings hat sogar Richards seinen Widerstand gegen Bildschirme teilweise aufgegeben. Wham-O bietet jetzt Apps an, in die man Bilder und Videos von Kunststücken mit Hula-Hoops hochladen kann. Auf sozialen Medien wie Youtube ist das Unternehmen auch vertreten. "Es ist alles ein bisschen anders als wir es wollten, aber so ist eben die Realität", sagt Richards. "Ich denke jede Nacht darüber nach, wie wir wichtig bleiben können."

Die größte Hoffnung setzt er auf ein neues Elektro-Fahrrad, das sich so klein zusammenfalten lässt, dass es in ein Rollköfferchen passt und trotzdem fast 25 Stundenkilometer schnell ist. "Macht irre Spaß", sagt Richards. Zwei Ingenieure haben es entwickelt und auf der Geldsammelseite Indiegogo veröffentlicht, wo Richards' Team auf sie stieß. Schon jetzt gibt es mehr als 20 000 Bestellungen. Es ist ein großer Schritt von Frisbees für 4,99 Dollar bis zu E-Rädern für 1400 Dollar, aber Richards macht das nichts aus. "Es gibt keine Grenzen, welche Art von Produkt Wham-O als nächstes macht. Das ist unsere Freiheit des Denkens."

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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