Weltfinanzgipfel in den USA:Zurück in die Wirklichkeit

Lesezeit: 2 min

Die Mächtigen beraten in Washington die künftige Weltfinanzordnung - einige heikle Fragen werden allerdings nicht angesprochen.

Alexander Hagelüken

Ökonomen überall auf der Welt sind sich zunehmend einig: Was in diesen Monaten stattfindet, ist die schwerste Finanzkrise seit achtzig Jahren - verbunden mit einem konjunkturellen Einbruch in den Industriestaaten, der laut Internationalem Währungsfonds im nächsten Jahr so schlimm ausfallen wird wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Deshalb überlegen die Wissenschaftler seit längerem, wie sich das Finanzsystem verbessern lässt, um das Ausmaß der Krise zu dämpfen und solche Katastrophen künftig zu vermeiden.

Alltag in Tokio und der bange Blick auf die Kurstafel - wann ist die Finanzkrise ausgestanden? (Foto: Foto: dpa)

Über manche Vorschläge wird auf dem Gipfel in Washington diskutiert, über andere nicht - sie sind den Mächtigen der Welt zu heikel. Unstrittig ist mittlerweile, dass die Finanzmärkte auf Billionensummen angeschwollen sind und sich dabei von der realen Wirtschaft abgekoppelt haben. So fingen Investoren vor ein paar Jahren an, sich dagegen zu versichern, dass Anleihen in ihrem Besitz wertlos werden. Doch bald wurden diese Versicherungen, genannt Credit Default Swaps (CDS), zum Spekulieren benutzt. Ihr Volumen schwoll auf 27 Billionen Euro an, mehr als zehn mal so viel wie die deutsche Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres.

Problematisch ist dabei, dass sich bei CDS, bei zerstückelten US-Immobilienkrediten und anderen Finanzinnovationen Risiken anhäufen. Und oft werden diese Risiken so lange weitergereicht, bis viele den Überblick verloren haben. Am Ende straucheln Banken über Milliardenverluste. Fachleute fordern daher, dass Anbieter solcher Produkte einen Teil des Risikos behalten müssen. Das soll ihre Lust dämpfen, immer neue Papiere auf den Markt zu werfen.

Alles nur auf Pump finanziert

Ein weiteres Problem ist, dass manche Investoren in gigantischem Ausmaß auf Pump spekuliert haben. Für jeden Dollar, den sie investierten, borgten sie sich fünf bis 30 Dollar dazu. Wenn die Spekulationen dann schief gehen, rasen Banken wie Bear Stearns oder Lehman Brothers auf die Pleite zu und gefährden das ganze Finanzsystem. Deshalb wollen Wissenschaftler die Kredite für Spekulationen begrenzen. Generell sollen Banken für ihre Geschäfte mehr eigenes Kapital vorhalten, damit sie nicht so leicht zusammenbrechen, wenn die Finanzmärkte schwächeln.

Die Lust am Risiko wurde in den vergangenen Jahren auch dadurch gesteigert, dass Banker für kurzfristige Gewinne riesige Erfolgsprämien kassierten. Selbst wenn ein Geschäft sich im Nachhinein als schlecht erwies - den Bonus hatten die Banker ja kassiert und mussten ihn auch nicht zurückzahlen. Diese Einladung zur Unverantwortlichkeit wollen Fachleute abschaffen. Erfolgsprämien soll es nur noch geben, wenn Gewinne dauerhaft sind. Bisher wehrt sich die Branche allerdings gegen solche Verpflichtungen.

Kontrolle reicht nicht aus

Einig sind sich viele Wissenschaftler darin, dass große Teile der Finanzbranche in den vergangenen Jahren unzureichend kontrolliert wurden. Das liegt zum Beispiel daran, dass Hedgefonds keinen normalen Bankregeln unterworfen sind und häufig in Steueroasen residieren - allein auf den kleinen Cayman Islands haben sich Tausende Fonds niedergelassen. Wegen dieser Verschwiegenheit weiß niemand, welche Gefahren die Fonds beispielsweise für die Finanzmärkte bergen. Experten fordern nun einen neuen Grundsatz: Kein größeres Geldhaus auf der Welt soll mehr frei von staatlicher Kontrolle sein.

Die staatliche Aufsicht über die Finanzbranche steht aber auch vor dem Problem, dass immer mehr Akteure grenzüberschreitend agieren. Wer kümmert sich darum, wenn eine Bank oder ein Investor Geschäfte in vielen Staaten der Welt gleichzeitig betreibt? Das sollte eine globale Finanzaufsicht regeln, die allerdings politisch kaum durchzusetzen ist. Wissenschaftlern würde es schon genügen, wenn die nationalen Aufsichten in den einzelnen Ländern sich besser absprechen würden.

Überdies diskutieren Fachleute noch über weitere Punkte. Dazu gehört die Rolle der Ratingagenturen, die hochriskante Kreditpapiere lange mit besten Noten versahen - und die Vergabe von Krediten an Immobilienbesitzer, die sich gar keine Immobilie leisten können.

© SZ vom 14.11.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: