Wall Street und Silicon Valley:Kulturkampf der Systeme

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Kreativität und Größenwahn: Das Silicon Valley bringt Amerika voran - und die Wall Street steht im Weg. Eigentlich sollten Gründerszene und Finanzmärkte zwei Seiten einer Medaille sein. Doch die zwei ökonomischen Zentren Amerikas sind kulturell nahezu inkompatibel.

Moritz Koch

Manchmal sagt ein Kleidungsstück mehr als tausend Worte. Als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vergangene Woche im Kapuzenpulli an der Wall Street erschien, saß den Investoren kein verträumter Tüftler gegenüber, der zu vertieft in seine Ideen war, um auf die Einhaltung der Kleiderordnung zu achten. Nein, da kam einer, der den Bankern zeigen wollte: Ich gehöre nicht zu euch.

Die Facebook-Zentrale in Kalifornien. Gründer Mark Zuckerberg erschien im Kapuzenpulli an der Wall Street, um zu signalisieren: Ich gehöre nicht zu euch. (Foto: Robyn Beck/AFP)

Wall Street und Silicon Valley sind die ökonomischen Zentren Amerikas. Aber sie stehen für fast inkompatible Kulturen und fundamental unterschiedliche Wirtschaftsmodelle. Die Wall Street - das ist der Hort der Finanzbranche, deren zerstörerisches Potenzial die jüngsten Milliardenverluste von JP Morgan wieder in Erinnerung gerufen haben. Silicon Valley dagegen - das steht für schöpferisches Unternehmertum, symbolisiert von Firmen wie Facebook. Beim Ökonomen Joseph Schumpeter heißt es, der Kapitalismus sei ein Prozess schöpferischer Zerstörung. Wenn man so will, gilt dafür in den USA eine klare Arbeitsteilung.

Bei aller Sorge vor einer neuen Spekulationsblase, die jetzt aufkeimt, da Facebook von Anlegern mit Milliarden überschüttet wird: Der Wettbewerb der Ideen im Silicon Valley bringt Amerika voran, nicht die Konkurrenz um Boni und Posten, die die Wall Street antreibt.

Eigentlich sollten Gründerszene und Finanzmärkte zwei Seiten derselben Medaille sein. Die Banken dienen der Realwirtschaft, so müsste es sein. Sie geben Firmengründern Geld, damit diese ihre Ideen verwirklichen, Jobs schaffen und Wachstum erzeugen. So weit die Theorie. Doch die Wall Street hat sich verselbständigt, und die Weltfinanzkrise hat daran nichts geändert, wie das Beispiel JP Morgan zeigt. Statt einen Überschuss von Kundeneinlagen zu nutzen, um mehr Kredite zu vergeben, wettete die Bank auf die Wertentwicklung von Firmenanleihen. Innerhalb weniger Wochen verzockte sie 2,3 Milliarden Dollar mit obskuren Kreditderivaten, sogenannten Credit Default Swaps. Der Verlust könnte noch größer ausfallen.

Dass JP Morgan diese Credit Default Swaps selbst erfunden hat, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Vor allem aber zeigt es: Die Schaffenskraft der Großbanken beschränkt sich darauf, Finanzprodukte von fragwürdigem Nutzen in die Welt zu setzen, verlässlich nur darin, die Boni ihrer Angestellten durch Scheinprofite aufzublähen. Es ist daher kein Wunder, dass Banker im Silicon Valley als überbezahlt und ahnungslos gelten.

Die Jungunternehmer halten sich von Finanzkonzernen fern und vertrauen lieber Business Angels und Risikogeldgebern, die selbst früher Unternehmen aufgebaut haben. Statt Papiergewinne abzuschöpfen, geht es im Silicon Valley darum, Zukunft zu gestalten. Ja, auch Firmengründungen sind hochriskant. Doch anders als Finanzwetten sind sie nie nur ein Nullsummenspiel. Selbst nach Tausenden Fehlschlägen bleibt die Bilanz positiv, wenn hin und wieder Betriebe wie Google, Twitter und Facebook entstehen, die die Kommunikation auf der Welt verändern.

Zugegeben: Silicon Valley steht nicht nur für Kreativität, sondern auch für Größenwahn. So spricht vieles dafür, dass Facebook maßlos überteuert ist. Das Verhältnis von Kurs zu Gewinn, ein beliebtes Instrument der Aktienanalyse, beträgt fast 100 - ein Wert, der an die schillernden Seifenblasen der New Economy erinnert. Doch letztlich gehen auch solche Übertreibungen auf das Konto der Finanzakteure. Wegen der niedrigen Zinsen reißen sich Anleger um jede lukrative Investitionsgelegenheit und treiben die Preise so in die Höhe. Zuckerberg kann das egal sein, so lange er das Geld, das Facebook an der Börse einsammelt, für die Umsetzung einer nachhaltigen Wachstumsstrategie nutzt. In jedem Fall ist er gut beraten, seine Distanz zur Wall Street zu wahren. Und sei es mit Auftritten im Kapuzenpulli.

© SZ vom 18.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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