Klimawandel:Der Wald ist in einem desolaten Zustand

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Seit 1984 erheben Forstleute und Behörden gemeinsam den Zustand des Waldes. Unter den 10 000 Bäumen, die sie dafür in Augenschein nehmen, fanden sie noch nie so viele, die abgestorben waren. Im Bild: der Stadtwald in Hagen. (Foto: Jonas Güttler/dpa)

Drei trockene Jahre haben den Bäumen schwer zu schaffen gemacht. Für deren Besitzer ist das mitunter auch ein existenzielles Problem.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Hans Carl von Carlowitz würde sich im Grab herumdrehen, er hat ja immer Angst davor gehabt. 1713, zur Leipziger Frühjahrsmesse, hatte er sein wichtigstes Werk vorgelegt: die "Sylvicultura oeconomica" . Deutschland drohe eine gefährliche Armut an Holz, sollte der Wald weiter geplündert werden - und sollte niemand darüber nachdenken, "wie solcher abgang zum förderlichsten wieder zu ersetzen beflissen seyn wird". Nötig sei "eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung", fordert Carlowitz.

Es war das erste Werk über die Nachhaltigkeit, geschrieben von einem Oberberghauptmann im Erzgebirge - in Sorge um den Brennstoff, mit dem sich aus Erz Silber, Zink und Blei gewinnen lässt. Carlowitz konnte nicht ahnen, wie sich die Dinge entwickeln würden. Dass später Kohle und Koks das Brennholz ersetzen würden. Dass noch später Erdöl auf den Plan treten würde. Und dass deren Verbrennung die Erderhitzung vorantreiben würde, die wiederum dem Wald nun so gefährlich wird wie einst der Holzeinschlag. Und mit seinen Gedanken zur "nachhaltenden Nutzung" hatte er ja sowieso recht, nicht nur mit Blick auf den Wald.

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Wie es Bäumen geht, zeigt ihre Krone. In geschädigten Bäumen ist sie weniger dicht

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett sich mit dem jüngsten Waldzustandsbericht befasst, einem schrecklichen Papier. Seit 1984 erheben Forstleute und Behörden gemeinsam den Zustand des Waldes, seinerzeit in Aufruhr versetzt durch das sogenannte Waldsterben. Doch unter den 10 000 Bäumen, die sie dafür in Augenschein nehmen, fanden sie noch nie so viele, die abgestorben waren. Drei trockene Jahre in Folge fordern ihren Tribut. "Unsere Wälder sind krank", sagt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die auch für den Wald zuständig ist. "Und der Bericht zeigt das ganze Ausmaß."

Wie es Bäumen geht, zeigt ihre Krone. In geschädigten Bäumen ist sie "verlichtet": Sie hat Äste verloren und ist damit weniger dicht geworden. Nach dem Zustandsbericht betrifft das 79 Prozent der Fichten, 80 Prozent der Kiefern und Eichen, und sogar 89 Prozent der Buchen. Fast bei allen hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verschlechtert. "Meine Prognose ist: Es wird nicht besser", sagt Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde. Sie koordiniert die Erhebung. Das Problem sei im Übrigen nicht auf Deutschland beschränkt, sondern treffe im Grunde ganz Europa.

Die Lage ist nicht nur für den Wald dramatisch, sondern auch für seine Besitzer. Die Trockenheit schwächt nicht nur die Widerstandskraft der Bäume. Sie begünstigt auch die Ausbreitung von Schädlingen. Seit 2009 konstatieren die Experten des Bundes eine Zunahme von Schädlingen; durch den Klimawandel wandern auch Schädlinge zu. Die geschwächten Bäume aber sind anfälliger für Stürme: Sie knicken um wie Streichhölzer. Das wiederum sorgt für so genanntes Schadholz, das die Preise auf dem Holzmarkt drückt.

Längst spricht der Waldeigentümerverband AGDW von einer "Jahrhundertkrise" im Wald. Der Deutsche Forstwirtschaftsrat beziffert den volkswirtschaftlichen Gesamtschaden mittlerweile auf rund 13 Milliarden Euro. "Und das ist leider nur eine Momentaufnahme", sagt Georg Schirmbeck, Präsident des Rates. Betroffene Unternehmen bräuchten mehr Hilfe.

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Der Bund hatte dafür im Konjunkturpaket im vorigen Sommer 700 Millionen Euro bereitgestellt - zusätzlich zu 800 Millionen Euro, die Bund und Länder schon 2019 veranschlagt hatten. Das Geld soll vor allem Waldbesitzern und Kommunen helfen, Schäden in ihren Forsten zu beseitigen und neue, widerstandsfähigere Wälder aufzubauen. Insgesamt müssen rund 277 000 Hektar Land neu mit Bäumen bepflanzt werden - eine Fläche von der Größe des Saarlands. So viele Bäume braucht es, dass es die Baumschulen überfordert. Es handele sich um eine "Generationenaufgabe", sagt Klöckner: "das größte Wiederaufforstungsprogramm in der Geschichte des Bundes".

Klöckner denkt schon darüber nach, aus der CO2-Speicherung eine neue Einkommensquelle zu machen

Auch gebe es das Geld aus dem Konjunkturprogramm nicht ohne Auflagen: Die geförderten Waldflächen müssen nachhaltig bewirtschaftet und entsprechend zertifiziert werden. Und das würde Hans Carl von Carlowitz dann wieder gefallen.

Aber sind es wirklich allein trockene Sommer, die den Waldbesitzern zu schaffen machen? Umweltschützer haben Zweifel. "Seit Jahrzehnten wird der Wald primär als Holzlieferant genutzt", sagt Susanne Winter, die sich bei der Umweltstiftung WWF mit dem Wald befasst. "Dadurch ist seine natürliche Widerstandskraft geschwächt." In Zeiten von Wasserknappheit und Wetterextremen räche sich das. "Und so steht der deutsche Wald kurz vor dem Klimakollaps."

Paradoxerweise trägt der Wald damit zum Klimawandel bei. Eigentlich könnten die Bäume durch ihr Wachstum auch Kohlendioxid speichern. Doch totes Holz speichert kein CO2, es gibt welches ab. "Der Wald ist selbst zum Emittenten geworden", sagt der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling. "Das wird in Berlin immer noch nicht begriffen."

Doch Klöckner denkt schon darüber nach, aus der CO2-Speicherung eine neue Einkommensquelle zu machen. Waldbesitzer ließen sich für diese Klima-Leistung schließlich honorieren. "Wir brauchen ein neues Einnahmesystem", sagt die Ministerin. Schließlich könnten die Waldbesitzer aus dem Verkauf ihres Holzes "nicht das stemmen, was sie für uns stemmen müssen".

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