Autoindustrie:Mit Chuzpe zum Erfolg

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Wieder einmal wird die weitere Verwendung von VW-Chef Herbert Diess diskutiert: Wieso eine Vertragsverlängerung keine schlechte Idee ist.

Von Max Hägler

Es ist ein ziemlich abgedroschener Sinnspruch, zugegeben: "Katzen haben sieben Leben." Was heißen soll: Jene glückliche Menschen, die von einer gewissen Katzenartigkeit sind, können stolpern und fallen, aber irgendwie landen sie dann doch auf ihren Pfoten, also im Stehen - und machen einfach weiter. Nun ist es womöglich nicht statthaft, solch ein Bild auf die Wirtschaft anzuwenden. Aber bei Herbert Diess ist das anders. Weil er selbst gern mit Symbolen aus dem Reich der fantastischen Tierwelt arbeitet. Und weil bei ihm dieses Bild zutrifft.

Denn der Vorstandschef des Autobauers Volkswagen hat jetzt eine Vertragsverlängerung erhalten. Am Freitagabend vermeldete der VW-Aufsichtsrat: "Herbert Diess steht bis Oktober 2025 an der Spitze des Volkswagen-Konzerns". Damit hat sich der gebürtige Münchner nach Jahren des Ringens weitestgehend durchgesetzt in Europas größtem Industriekonzern - entgegen allen zwischenzeitlichen Annahmen. Und das ist auch für Volkswagen nicht das Schlechteste.

Diess hat Volkswagen aus seiner Bräsigkeit gerissen

An dieser Stelle sei daran erinnern, dass sich in Wolfsburg stets kurzweilige Schauspiele bieten, seitdem der ehemalige BMW-Manager 2015 zu VW wechselte. Von Beginn an gab es ständig Knatsch. Immer wieder zu berichten ist da aus seiner Zeit als VW-Markenchef, als er sich mit dem damaligen Betriebsratschef Bernd Osterloh zoffte und auch legendäre Sätze in die Öffentlichkeit getragen wurden, die das Wort "Hintern" beinhalteten. Osterloh war mächtiger, gestaltete den Sparplan nach eigenen Wünschen um, andere Chefs hätten da aufgegeben.

Aber Diess blieb - und putschte sich 2018 sogar an die Konzernspitze. Um dort den Kampf mit dem Betriebsrat weiterzuführen und später auch mit dem Aufsichtsrat: Dem warf er "Rechtsbruch" vor, weil Firmenprobleme dauernd nach außen getragen wurden. Nur seine Entschuldigung verhinderte den Rauswurf. Wenige Monate später, im vergangenen Dezember, stellte er erstmals laut die Forderung auf, um die es nun wieder geht: Man möge seinen Vertrag verlängern - oder er schmeißt hin. Diese Chuzpe so kurz nach einem Streit brüskierte Aufsichtsräte. Und abermals stand die Trennung kurz bevor - bis nach einer wochenlang währenden Machtprobe alle klein beigaben und weitermachten wie bisher. Ein paar Tage danach verschickte dieser Herr Diess schon wieder ein Video ganz nach seinem Geschmack: Im Batman-Umhang saß er am Steuer eines Konzernwagens und schaute recht fidel. Der einsame Kämpfer gegen das Unrecht, das war die Botschaft seines Neujahrsgrußes.

Es ist diese abseitige Frechheit und seine brutale Ungeduld, dieses laute Fordern und Drängen in allen Facetten, das Diess immer wieder Probleme bereitet - das aber Volkswagen aus der Bräsigkeit gerissen hat und das Unternehmen nach vorne bringt. Der 62-Jährige hat alles auf eine Karte gesetzt - vor den anderen etablierten Herstellern. Statt des Dieselskandals dominiert deshalb inzwischen die Elektromobilität das Image des Konzerns und der unbedingte Wille, auch die Software zu beherrschen, koste es, was es wolle. Der Börsenkurs ist dadurch wieder in sehr erfreulichen Regionen angekommen, zugleich stimmt der Gewinn beim gegenwärtigen Geschäft: Elf Milliarden Euro Vorsteuergewinn vermeldete VW just an diesem Freitag fürs erste Halbjahr. Und auch die Arbeitsplätze scheinen überwiegend sicher zu sein.

Eine Vertragsverlängerung über 2023 hinaus ist deshalb keine abwegige Idee. Sofern, und das ist wichtig, seine Umtriebigkeit weiterhin ein wenig eingehegt wird: durch die Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, Compliance-Vorständin Hiltrud Werner. Durch den menschenfreundlichen Audi-Kollegen Markus Duesmann. Durch den Teamspieler und Personalchef Gunnar Kilian. Oder durch die neue Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Denn auch künftig wird Herbert Diess mal ins Stolpern kommen.

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