Musterklage:VW hat seine Kunden nicht ernst genommen

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Stellen falsche Abgaswerte einen Schaden dar? Eine Frage fürs Gericht. (Foto: dpa)

Goliath steht vor Gericht: Die neue Klage-Form soll die Unwucht zu Gunsten der Kunden verbessern. Doch am Ende hängt viel von Volkswagen selbst ab.

Kommentar von Marc Beise

Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gerecht, hieß es schon bei den alten Griechen, und heute sagt man das gerne über die Justiz. Und das ist ja auch gut so: Wenn Richter über Menschen oder Firmen urteilen, ist Sorgfalt geboten. Der Nachteil dieses Systems aber ist, dass Sachverhalte häufig erst nach langer Zeit gerichtlich aufgearbeitet werden können. Wenn es noch dazu um Wirtschaftsverfahren geht, ist das alles extrem kompliziert. Besonders aufwendig wird es jetzt im beschaulichen Braunschweig, wo am Oberlandesgericht an diesem Montag ein Musterverfahren begonnen hat, bei dem geklärt werden soll, ob VW-Kunden im Dieselskandal Anspruch auf Entschädigung haben.

Der Autobauer aus Wolfsburg, der im Jahr sagenhafte 235 Milliarden Euro Umsatz macht, hat natürlich Mittel und Wege, die besten Anwälte aufzubieten, die versuchen werden, das Verfahren niederzubügeln. Auf der Gegenseite immerhin steht mit der Dachorganisation der Verbraucherverbände eine hoch motivierte und recht schlagkräftige Truppe. Das wird, kann man schon sagen, ein hartes Ringen werden, das Jahre dauert - zumal wenn es vermutlich eine weitere Runde am höchsten deutschen Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof, geben sollte.

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Diese Zeitspanne ist schwer zu ertragen, wenn man bedenkt, dass die Manipulation der Software wohl schon vor mehr als zehn Jahren ihren Ausgang nahm, und selbst die konkreten Vorgänge, die in anderen Verfahren den damals Verantwortlichen um Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn noch zum Verhängnis werden könnten, sich immerhin 2015 abspielten. Aber für das Recht ist es nie zu spät, und es geht ja auch nicht nur (was wichtig genug ist) um konkrete Forderungen von fast einer halben Million VW-Kunden, sondern es geht auch ums Prinzip. Es geht um David und Goliath, um die Frage, ob es überhaupt möglich ist, einen Konzern von der Größe und Unübersichtlichkeit wie VW zur Rechenschaft zu ziehen, oder ob doch am Ende der kleine Einzelne Opfer ist.

Deutsche VW-Kunden sehen neidvoll, dass in anderen Ländern andere Dinge möglich sind. In den Vereinigten Staaten wurden Kunden in großem Umfang entschädigt, und selbst in Australien hat sich VW mit Klägern auf einen Vergleich geeinigt. In Deutschland gucken Kunden bisher weitgehend in die Röhre - weil die Wolfsburger sich schlicht verweigern.

Scheinheilig beruft sich der Konzern auf unterschiedliche gesetzliche Regelungen, weshalb man in den USA einen Betrug im strafrechtlichen Sinne einräumt, für Deutschland aber darauf beharrt, sich gesetzeskonform verhalten zu haben - alles nur eine Frage der Auslegung. Es ist armselig, wie sich ein deutsches Traditionsunternehmen hinter dem komplizierten deutschen Zulassungsrecht verschanzt. Auch im weiteren Verlauf hat VW alles getan, nur nicht seine Kunden ernst genommen. So hat man versucht, sie mit einem zweifelhaften Softwareupdate abzuspeisen, das Internet ist voll von Beschwerden verärgerter Autobesitzer.

Dieser Konzern, in dem über Jahre unbestritten so viel schief gelaufen ist, hat erkennbar nicht den Mut, sich zu seinen Fehlern zu bekennen. Ein Mut, der ihn allerdings Millionen, wenn nicht Milliarden von Euro kosten würde. Aber wäre das Geld nicht allemal gut angelegt, um eigene Reputation zurückzugewinnen und das Vertrauen in die Marktwirtschaft wieder zu stärken?

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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