Abgas-Skandal:Star-Kanzlei attackiert Bundesregierung in Abgasaffäre

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Bis Anfang 2009 hätten die EU-Mitgliedsstaaten gesetzliche Vorschriften erlassen müssen, um "wirksame und abschreckende" Sanktionen gegen Automobilhersteller verhängen zu können, die etwa verbotene Abschalteinrichtungen verwenden. Die Bundesregierung hat das nicht getan. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • Die amerikanische Kanzlei Hausfeld hat bei der EU-Kommission nach SZ-Informationen Beschwerde gegen die Bundesregierung erhoben.
  • Sie habe jahrelang eine EU-Vorgabe missachtet, die "wirksame und abschreckende" Sanktionen gegen Automobilhersteller vorschreibt, die verbotene Abschalteinrichtungen verwenden.
  • Die mangelhafte Umsetzung dieser Vorgabe habe die Abgas-Schummelei bei VW und anderen Automobilherstellern begünstigt.

Von Markus Balser

Ein groß angelegter Betrug und kaum eine Strafe? Seit Monaten schon fragen sich Kunden und Kritiker, wie sich der VW-Konzern in Deutschland voraussichtlich ohne größere Strafen aus dem Skandal um manipulierte Bauteile ziehen kann. Denn in den USA sieht die Sache ganz anders aus: Dort musste VW für Strafen und Bußgelder Milliarden wegen illegaler Abschalteinrichtungen und zu vieler Abgase zurückstellen.

Die Kanzlei des amerikanischen Staranwalts Michael Hausfeld wirft diese Frage in der Affäre nun auch offiziell auf. Sie legt sich auf europäischer Ebene mit der Bundesregierung an. Die Anwälte haben nach Informationen der Süddeutschen Zeitung vor wenigen Tagen in Brüssel Beschwerde bei der EU-Kommission erhoben. Damit droht Deutschland im schlimmsten Fall ein Vertragsverletzungsverfahren.

Die Kanzlei, die für Tausende VW-Kunden in Europa um Entschädigungen ringt, ist auf eine Gesetzeslücke gestoßen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Denn Brüssel hatte das Betrugsrisiko bei Abgasen schon vor Jahren erkannt. Nach geltendem EU-Recht waren die Mitgliedsstaaten deshalb verpflichtet, bis Anfang 2009 gesetzliche Vorschriften zu erlassen und im eigenen Recht zu veranken, um "wirksame und abschreckende" Sanktionen gegen Automobilhersteller verhängen zu können, die etwa verbotene Abschalteinrichtungen verwenden. So geht es aus dem Artikel 13 der Verordnung 715/2007 hervor.

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Das Problem: Deutschland kam dieser Pflicht der Beschwerde zufolge über Jahre nicht nach. Die Verwendung von Abschalteinrichtungen ist zwar auch hierzulande verboten. Verstößt ein Hersteller jedoch wie im Fall Volkswagen gegen das Verbot, hat er bislang außer der Pflicht, die Autos nachzurüsten, nichts zu befürchten. "Dieses Politikversagen hat den Abgas-Skandal überhaupt erst ermöglicht", kritisiert der Deutschland-Statthalter der Kanzlei Hausfeld, Christopher Rother. "Hätte Volkswagen fürchten müssen, auch hierzulande hohe Bußgelder zahlen zu müssen, hätten es sich die Verantwortlichen bei VW wohl zweimal überlegt, ob sie "Schummelsoftware" einsetzen.

Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich am Dienstag nicht zu dem Vorwurf und der Beschwerde. Deutschland ist bei der mangelnden Umsetzung offenbar auch kein Einzelfall. Brüssel hat inzwischen in Berlin und anderen Hauptstädten per Brief nachgehakt und die Regierungen gebeten, doch zu erklären, welche Sanktionen man denn nun eingeführt habe, um Abgastrickser zu bestrafen.

Von 53 Dieselmodellen ist fast die Hälfte durchgefallen

Illegale Bauteile hat bislang nur VW eingeräumt. Doch getrickst haben bei Abgaswerten wohl auch andere. Als das Kraftfahrtbundesamt 53 Dieselmodelle testete, fiel fast die Hälfte durch. Weltkonzerne stehen auf einmal blamiert da: Sie konnten den Prüfern erhöhte Stickoxidwerte nicht erklären. Die Folge: ein beispielloser Rückruf. Audi, Porsche, Mercedes, Volkswagen und Opel müssen insgesamt 630 000 Fahrzeuge in die Werkstätten zurückholen und die Abgasreinigung nachbessern. Auch den anderen Herstellern droht daneben wenig.

Die Kanzlei will mit ihrem juristischen Vorstoß auch auf die schwache Position der Verbraucher in Europa aufmerksam machen, die mangels Sanktionen vor einem solchen Betrug kaum präventiv geschützt werden könnten. Die juristische Auseinandersetzung könnte für Deutschland unangenehm werden. Sollte die Kommission bei Prüfung der Beschwerde zum Ergebnis kommen, dass die Regierung tatsächlich ihre Pflicht nicht erfüllt hat, kann Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Berlin eröffnen. Theoretisch könnte die EU-Kommission so mit Strafen gegen Deutschland den Druck erhöhen, härtere Sanktionen einzuführen. Die EU prüft derweil den nächsten Schritt: die Einführung drakonischer Strafen für Verstöße. Möglich wären Geldbußen von bis zu 30 000 Euro pro Fahrzeug. Offen dürfte vor allem eins sein: ob die Mitgliedsstaaten das auch umsetzen.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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