Von der Korruption zur Kooperation:Siemens verhandelt mit Athen über Schuldendeal

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Siemens schmierte jahrelang griechische Beamte. So förderte der deutsche Konzern das korrupte System, das den Staat in den Abgrund zu reißen droht. Jetzt soll alles besser werden: Das Unternehmen könnte Griechenland Schulden erlassen - und Siemens' eigenes "FBI" im Land einsetzen.

Tasos Telloglou und Klaus Ott

Mindestlöhne werden gekürzt, Renten sowieso. Immer mehr Firmen gehen pleite, immer mehr Arbeitsplätze verschwinden. Kinder hungern, Erwachsene können sich die Miete nicht mehr leisten - die Krise in Griechenland, vor allem in der Hauptstadt Athen, wird von Tag zu Tag schlimmer. Was das Land jetzt braucht, sind Investitionen. Jedes Projekt zählt. Zum Beispiel der seit langem geplante Ausbau der Athener U-Bahn. Der deutsche Konzern Siemens soll das bewerkstelligen, im Rahmen eines großen Deals, der das Motto trägt: Die Vergangenheit abschließen, alle Streitigkeiten beenden - man schaut jetzt nach vorne, zum beiderseitigen Nutzen.

U-Bahn-Station in Athen: Siemens kann helfen, das Netz weiter auszubauen und so die eigene Schuld abtragen. (Foto: Bloomberg)

Die griechische Regierung und Siemens stehen kurz vor einem Vergleich, der sowohl Schadenersatz-Leistungen des Industriekonzerns für dessen frühere Schmiergeld-Delikte in Athen wie auch gemeinsame neue Vorhaben im Wert von insgesamt 170 Millionen Euro enthält. Hinzu könnte eine Aufbauhilfe von Siemens-Experten für saubere Geschäfte in Griechenland kommen, für eine Abkehr vom alten System aus Korruption, Selbstbedienung und Pfründenwirtschaft.

Seit Monaten wird verhandelt, und am Wochenende sah es so aus, als hätte man es fast geschafft. Man sei auf einem guten Weg und wolle jetzt "den Deckel drauf machen", heißt es aus Siemens-Kreisen. Ähnliche Töne sind aus der griechischen Regierung zu vernehmen, deren Kabinett dem Vertragsentwurf womöglich schon bei der nächsten Sitzung unter Vorsitz von Ministerpräsident Lukas Papadimos zustimmen wird.

Der Vergleich wäre ein Zukunftspakt und ein Lichtblick im zuletzt ziemlich belasteten deutsch-griechischen Verhältnis. Und ein Signal, wie die deutsche Industrie das Land stützen und so die eigene Schuld abtragen kann. Namhafte Unternehmen wie Siemens, Daimler, MAN und Ferrostaal haben nach Erkenntnissen von Staatsanwaltschaften über Jahre, wenn nicht sogar über Jahrzehnte hinweg, in Griechenland kräftig bestochen. Und auf diese Weise jenes korrupte System gefördert, das den Staat in den Abgrund zu reißen droht. Politiker wurden ebenso geschmiert wie Beamte, Direktoren und Staatsfirmen, Gewerkschafter und Betriebsräte.

Auf diese Weise gelang es, lukrative Aufträge für die Modernisierung des griechischen Telefonnetzes, für die Sicherheitstechnik bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen, für die Lieferung von U-Booten und Bussen und für diverse andere Projekte zu erhalten. Aufträge, die insgesamt mehrere Milliarden Euro wert waren und die überhöht abgerechnet werden konnten, weil die bestochenen Geschäftspartner mitspielten. Das steht alles in vielen Ermittlungs- und Gerichtsakten, denen zufolge Siemens mit Wahlkampfhilfen sogar sicherstellen wollte, dass die aus Sicht des Konzerns passenden Politiker ins Parlament kamen. Das lief auf Wahlmanipulation hinaus, ein Verbrechen an der Demokratie.

Um die Affäre Siemens kümmerte sich im Parlament ein Untersuchungsausschuss, dessen Chef schließlich verlangte, der Konzern solle zwei Milliarden Euro Schadenersatz zahlen. Das sei "lächerlich", schimpften Siemens-Leute, darüber rede man erst gar nicht. Auch die nächsten Forderungen aus Athen waren dem neuen Konzernvorstand in München unter Leitung von Peter Löscher noch viel zu hoch. Löscher und seine Mannschaft haben kräftig aufgeräumt, haben das Unternehmen umgekrempelt, haben Frieden geschlossen mit Argentinien und anderen Staaten, wo unter der alten Siemens-Garde kriminell agiert worden war. Nun steht der letzte große Vergleich an, mit Griechenland.

Auch dort ändert sich nun einiges, spät zwar, aber immerhin. Die neue Regierung von Lukas Papadimos will kein frisches Geld von Siemens haben, sondern Projekte mit Arbeitsplätzen. Der geplante Deal soll zeigen, dass Griechenland in Zukunft ein verlässlicher Partner sein kann, wo keine krummen Wege mehr gegangen werden müssen. Von einem "Integritätspakt" ist in Athen die Rede. Das liegt ganz auf der Linie von Siemens-Vorstand Peter Solmssen, einem US-Amerikaner, den Konzernchef Löscher vom Rivalen General Electric geholt hat, um nach dem weltweiten Schmiergeldskandal für eine "Selbstreinigung" zu sorgen. Solmssens Aufgabe ist es, für saubere Geschäfte zu sorgen. Sein Credo lautet, ein "Kartell der Guten" zu schaffen, mit einem "Schulterschluss gegen Korruption". Wenn Milliarden in dunklen Kanälen versickerten, könnten ganze Gesellschaften darben, weil das Geld dann für Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur fehle.

So wie in Athen, wo nicht einmal die neuen U-Bahn-Stationen der Linien 2 und 3 bedient werden. Die Signale von Siemens sind noch nicht installiert, wegen des Schadenersatz-Streites, der nun aber beigelegt werden soll. Am Wochenende hat ein Mitarbeiter von Finanzminister Evangelos Venizelos in Athen mit dem früheren US-Staatsanwalt Bob Sekelis getagt, der aus Griechenland stammt und nun für Siemens-Vorstand Solmssen arbeitet. Die beiden Unterhändler verstanden sich gut und legten letzte Hand an das Vertragswerk. Griechenland schuldet Siemens 150 Millionen Euro aus bislang unbezahlten Rechnungen, davon sollen 80 Millionen Euro erlassen werden. Eine Art Schuldenschnitt also. Über die verbleibenden 70 Millionen Euro, die noch von Olympia 2004 stammen, wird weiter vor einem internationalen Schiedsgericht in Paris gestritten.

Das stört aber nicht bei neuen Projekten im Wert von 90 Millionen Euro, die Teil des beabsichtigten Vergleichs sind. Und bei einer denkbaren Hilfe aus Solmssens Compliance-Abteilung bei Siemens, die Gesetzesverstöße verhindern beziehungsweise aufdecken soll. "Es ist fast so, als hätten wir unser eigenes FBI", hat Solmssen einmal stolz in Anspielung auf die gefürchtete US-Bundespolizei gesagt. Genau solche Experten sind jetzt in Griechenland gefragt. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen wieder aufgebaut werden - auch mit Hilfe der deutschen Industrie.

© SZ vom 27.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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