Wie klassische Atomkraftgegner sehen die vier Herren auf dem Podium nicht aus. Anzug, Krawatte, schmale Brillen - Gert Wagner sitzt da, der neue Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), neben ihm zwei Ökonomen und ein Geophysiker. Auch der Titel der Veranstaltung kommt harmlos daher: "Katastrophenschutz - Versicherungspflicht gegen Naturkatastrophen".
Das Atomkraftwerk Biblis ist eine von sieben Anlagen, die auf Geheiß der Kanzerlin in Reaktion auf Japan abgeschaltet wurden. Eine Privatisierung des finanziellen Risikos der Atomkraft hätte die gleiche Wirkung, sagen Ökonomen.
(Foto: dpa)Doch hinter der eher drögen Überschrift verbirgt sich mehr. Die Forderungen, die die Wissenschaftler von DIW und Helmholtz-Zentrum erheben, würden letztlich auf die Abschaltung von Kernkraftwerken hinauslaufen.
So deutlich drücken das die Wirtschaftswissenschaftler natürlich nicht aus, wenn sie über eine Ausweitung der Haftpflichtdeckung für Kraftwerksbetreiber sprechen. "Gegenseitige Garantiezusagen haben nicht die Signalwirkung einer verpflichtenden Haftpflichtversicherung", sagt Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum. "Wenn die Kernenergie im Einzelfall unversicherbar wird, ist das hinnehmbar." Und: "Ökonomische Instrumente sind weicher, lassen sich eher durchsetzen."
Im Klartext: Es geht darum, wer zahlt, wenn ein Super-GAU passiert. Wenn sich die Stromkonzerne statt der jetzigen weicheren Regelungen verpflichtend gegen die immensen Schäden versichern müssten, würden sie womöglich keine Versicherung dafür finden. Dann müssten sie selbst zahlen, und dann würde sich Atomkraft für sie nicht mehr rentieren.
"Deckungssatz viel zu gering"
Derzeit regelt die Pariser Konvention, wie die Betreiber von Atomkraftwerken im Schadensfall haften. Das Abkommen sieht für die Unterzeichner eine Deckungspflicht zwischen 70 und 700 Millionen Euro vor. In Deutschland ist das Fünffache dieses Betrags vorgeschrieben; seit 2001 gilt eine Deckungsvorsorge von zweieinhalb Milliarden Euro. 255,6 Millionen werden über eine Haftpflichtversicherung abgedeckt, der Rest über gegenseitige Zusagen der Betreibergesellschaften. Eingeschlossen ist dabei auch die Gefährdungshaftung - für Schäden also, die wie im Fall Fukushima-1 nicht vom Betreiber selbst verursacht werden.
Mit der hohen Deckungssumme gehöre Deutschland zu den Vorreitern, sagen Schwarze und seine Kollegen. Und trotzdem "erscheint der Deckungssatz angesichts eines möglichen Schadens viel zu gering". Die Schäden nach der doppelten Naturkatastrophe in Japan werden derzeit auf mindestens 100 Milliarden Euro geschätzt - die Folgen eines möglichen GAUs nicht eingerechnet.
Der Wirtschaftswissenschaftler Tilman Brück forscht eigentlich über die Ökonomie des Wiederaufbaus nach Kriegen und über die Ökonomie des Terrorismus. In Sachen Japan hat er sich aber mit der Wechselwirkung von physischer Zerstörung und Angst beschäftigt - Angst nach dem Beben und vor der Atomwolke. "Das erhöht den Grad der Unsicherheit massiv", sagt Brück, und dies beeinflusse das ökonomische Handeln. Die zerstörerischen Folgen für die Wirtschaft nähmen aufgrund dieser enormen Unsicherheit enorm zu.
Hinzu kommt in Japan die Vernetzung mit den weltweiten Finanzmärkten. Auch diese seien von irrationaler Sorge getrieben, sagt Brück - eine Prognose der wirtschaftlichen Folgen werde dadurch fast unmöglich: "Wir wissen nicht, was passiert." Entsprechend werden die Schäden im Fall eines nuklearen Super-GAUs in Deutschland ebenfalls höchst unterschiedlich beziffert.
Eine Studie, die das Prognos-Institut 1992 im Auftrag des Bundeministeriums für Wirtschaft erstellt hat, nannte eine Schadenssumme von damals 10 Billionen Mark. Andere Schätzungen liegen weit darüber.