Verkehr - Wiesbaden:60 000 Verfahren von fehlerhaftem Bußgeldkatalog betroffen

Behörden
Andreas Scheuer (CSU) bei einem Termin. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Wiesbaden/Kassel (dpa/lhe) - Wegen eines Formfehlers im neuen Bußgeldkatalog des Bundes stehen Tausende Verfahren gegen Verkehrssünder in Hessen auf dem Prüfstand. Betroffen sind laut dem zuständigen Regierungspräsidium Kassel über 60 000 Fälle bei der Zentralen Bußgeldstelle, hinzukämen weitere bei Kommunen. "Laufende Bußgeldverfahren, die noch auf Grundlage des verschärften Katalogs geführt wurden, werden nun individuell geprüft, ob sie vollständig oder zumindest teilweise zurückgenommen werden können", sagte ein Sprecher des hessischen Innenministeriums am Donnerstag. Fahrer könnten also straffrei davonkommen. Zuvor hatte Hessenschau.de über das Thema berichtet.

Seit April galt bundesweit ein neuer Bußgeldkatalog, der unter anderem härte Strafen für Raser vorsieht. Es drohte ein Monat Führerscheinentzug, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell - zuvor galt dies bei Überschreitungen von 31 km/h im Ort und 41 km/h außerhalb. Diese Regeln waren aber umstritten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte angekündigt, diese Verschärfung rückgängig zu machen.

Der neue Katalog hatte auch einen Formfehler: In der Eingangsformel fehlte die Rechtsgrundlage für die neuen Fahrverbote. Deshalb hatte der Bund vergangene Woche die Länder aufgefordert, den alten Katalog anzuwenden. Das ist laut Innenministerium in Hessen geschehen. Doch ein Teil der Verfahren ist bereits rechtskräftig abgeschlossen. Wie mit diesen Fällen werden soll, darüber tauschten sich die Länder mit dem Bund derzeit aus. "Ziel ist es, eine einheitliche Lösung zu finden", sagte der Ministeriumssprecher. Bis dahin ruhten die abgeschlossenen Verfahren.

Laut dem Regierungspräsidium Kassel wurden alle betroffenen Verfahren bei der Zentralen Bußgeldstelle des Landes bereits eingestellt - sofern die Verwarnungsgelder noch nicht bezahlt und die Bußgeldbescheide nicht rechtskräftig wurden. Es handele sich um über 38 000 Bußgeldverfahren mit einer Geldbuße über 55 Euro und über 24 000 Verfahren mit einer Geldbuße bis 55 Euro. Bürger müssten nicht tätig werden, die Behörden regelten die Angelegenheit von Amts wegen.

Der ADAC Hessen-Thüringen empfiehlt Autofahrern, genau hinzugucken, wenn sie einen Bußgeldbescheid bekommen haben: "Hier lohnt die Prüfung, ob die vorgeworfene Tat von den Änderungen betroffen war", sagte Sprecher Oliver Reidegeld. Werde eine Strafe nach neuem Recht verhängt, sollte Einspruch eingelegt werden. Sei der Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig, sei eine Überprüfung und Neufestsetzung grundsätzlich ausgeschlossen. Es könne allerdings ein Gnadengesuch gestellt werden, um ein Absehen vom Fahrverbot aufgrund besonderer persönlicher Härten zu erreichen.

Auch wenn der Führerschein schon abgegeben worden sei, bestehe die Möglichkeit des Gnadengesuchs. "Da dieses Verfahren jedoch zeitintensiv und individuell ist, kann es passieren, dass bis zur Entscheidung der Behörden die Fahrverbotsfrist bereits abgelaufen ist." Der ADAC fordert, mit der Überarbeitung des neuen Bußgeldkatalogs Sanktionen wieder verhältnismäßig zu machen. "In dem Dilemma liegt die Chance, zu einem ausgewogenen Verhältnis von Delikt und Sanktionen zu kommen und ein stärker abgestuftes System zu entwickeln."

Die Verkehrsminister der Länder verlangten am Donnerstag schnelle rechtliche Sicherheit im Umgang mit dem Bußgeldkatalog. "Das Bundesverkehrsministerium muss jetzt umgehend einen Vorschlag vorlegen, der Klarheit und Rechtssicherheit schafft", sagte die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Saarlands Ressortchefin Anke Rehlinger (SPD), nach einer Telefonkonferenz mit ihren Kollegen.

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