Verantwortungseigentum:Die neue Art, ein Unternehmen zu führen

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Die Suche nach einer Nachfolge gestaltet sich für viele Firmengründer schwieriger als die Suche nach Problemen bei der Produktion. (Foto: Jessica Lichetzki/dpa)

Hunderttausende Firmeneigentümer suchen derzeit nach einer Nachfolge - und viele drohen zu scheitern. 22 Verbände werben nun für eine neue Rechtsform. Der Kern: Ein Unternehmen soll sich selbst gehören.

Von Lea Hampel

Am liebsten erklärt Jasmin Arbabian-Vogel, seit 2018 Vorsitzende des Verbands deutscher Unternehmerinnen, das Problem an Beispielen wie diesem: Der Eigentümer einer kleinen, erfolgreichen Lokalbrauerei habe einen Nachfolger gesucht. Die Frau, der er gern das Unternehmen übergeben hätte, hatte nicht genug Geld, sich einzukaufen. Jahrelang dachte er über Lösungen nach. Weil es aber rechtlich keine andere sinnvolle Möglichkeit gab, adoptierte er schließlich die Mitarbeiterin. Sie ist nicht nur Mitglied im Verband und auf Umwegen nun auch Tochter des Gründers, sondern mittlerweile eben Chefin der Brauerei. Das erfolgreiche Geschäft existiert also weiter, der Weg dahin aber ist: denkwürdig bis merkwürdig.

Unternehmensnachfolgen sind, sagt Verbandschefin Arbabian-Vogel, das zweitgrößte Problem neben dem Fachkräftemangel. Deshalb setzt sie sich derzeit lautstark dafür ein, dass Unternehmen eine sogenannte "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" werden können. Ihr Verband ist einer von 22 Verbänden, die an diesem Montag gefordert haben, die Unternehmensform rechtlich zu ermöglichen und sicherzustellen, dass das Vermögen wirklich dauerhaft im Unternehmen bleibt. Neben dem Unternehmerinnen-Verband setzen sich unter anderem der Bundesverband Digitale Wirtschaft und der "Startup-Verband" für das Thema ein, alle gemeinsam vertreten mehr als 100 000 Mitglieder.

Ein Unternehmen soll sich selbst gehören

Hintergrund der nun wieder aufflammenden Debatte ist eine Initiative des Berliner Unternehmers Armin Steuernagel. Für das Prinzip des Verantwortungseigentums wirbt der zweifache Gründer seit mehreren Jahren. Der Gedanke ist so simpel wie revolutionär: Ein Unternehmen soll sich selbst gehören. Wer es lenkt, trägt zwar die Verantwortung und hat unter Umständen Anteile, profitiert aber nicht von Gewinnen, kann also weder Wertsteigerungen aus dem Unternehmen rausziehen noch das Unternehmen eines Tages für viel Geld in Teilen oder ganz verkaufen.

Steuernagel sieht viele Faktoren, die die neue Unternehmensform nötig machen: Firmeneigentümerinnen, die ihr Lebenswerk weitergeben und sicher sein wollen, dass es auch von künftigen Nachfolgern erhalten wird. Oder Unternehmer, die gründen wollen, ohne zwangsläufig klassische Eigentümerstrukturen zu nutzen, wie etwa die Gründer des Berliner Start-ups Einhorn, das die Initiative unterstützt. All solche Menschen sind bisher darauf angewiesen, komplexe und oft teure juristische Konstruktionen zu schaffen. Der Bedarf, betont Armin Steuernagel, bestehe aber nicht nur beim Mittelständler, sondern beispielsweise auch bei Bauernhöfen und Sozialunternehmen und er sei groß. Das zeige sich daran, dass es bereits bekannte Beispiele gebe - etwa Bosch mit einer Doppelstiftungsstruktur und das Arzneimittelunternehmen Wala. Aus guten Gründen gibt es ähnliche Unternehmensformen bereits im Ausland, etwa in Großbritannien und Dänemark.

In Deutschland hatte Steuernagel heftige Widerworte bekommen, als er 2020 mit seiner Idee aufs politische Parkett getreten war. Friedrich Merz, damals Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, sagte gar bei einer Veranstaltung: "Der Sozialismus kommt auf leisen Sohlen." Der Verband "Die Familienunternehmer" beispielsweise ließ damals verlautbaren, Unternehmen in einer möglichen neuen Rechtsform hätten Steuervorteile, die Unternehmer würden nicht hinreichend haften und es wurde gewarnt, sie bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu bevorzugen. Zum neuen Vorstoß heißt es vom Verband, zum Thema sei "alles gesagt", man sehe die Gefahr eines angestellten Unternehmers und verweist auf die Möglichkeit, Stiftungen zu nutzen. Auf Nachfrage heißt es in einem kurzen Statement, man "überlasse es nun dem Wettbewerb, welche Art von Eigentümerstruktur sich langfristig durchsetzen wird".

Denn dass eine neue Regelung kommt, ist wahrscheinlich. Seit dem Start der Debatte hat sich die Welt weitergedreht, Merz ist Oppositionsführer, die Ampel ist an die Macht gekommen und hat das Verantwortungseigentum in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Doch während sie andere Sorgen hatte - Stichworte Krieg, Inflation, Energiekrise - wurden die Zahlen drängender: 560 000 Firmen suchen derzeit laut einer Befragung der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis Ende 2026 nach einer geeigneten Nachfolge, 190 000 davon geben an, ohne eine Regelung aufgeben zu wollen, 70 000 Übernahmen könnten allein bis zum Ende dieses Jahres scheitern. Verbandschefin Arbabian-Vogel äußert deshalb die Sorge, "dass der Standort Deutschland in die Knie geht".

Einige rechtliche Fragen sind noch offen

Und so hat sich seit Beginn der Initiative zum Verantwortungseigentum einiges bewegt. Erstens scheint die Zahl der unterstützenden Firmen gestiegen zu sein. "Weil die Rechtsform etwas Neues ist, brauchen die Verbände auch immer ihre Zeit, wollen das verstehen, mit Experten diskutieren und so weiter", äußert Steuernagel Verständnis. Er geht aber davon aus, dass sich bald weitere anschließen. Zweitens sind mehr Politiker überzeugt. Zuletzt betonte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner auf dem Netzkongress Republica, man arbeite an der neuen Rechtsform. Auch aus dem ebenfalls FDP-geführten Justizministerium heißt es auf Anfrage, ein Eckpunktepapier solle zeitnah vorgestellt werden. Drittens hat sich auch die Initiative bewegt beziehungsweise ihre Ansätze klarer ausbuchstabiert. War anfangs von einer "GmbH in Verantwortungseigentum" die Rede, ist es nun eine "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen", also eine eigene Rechtsform, statt einer abgewandelten GmbH. In einem neuen, überarbeiteten Papier schlagen juristische Expertinnen unter anderem einen Aufsichtsverband mit Klagerecht vor. Allerdings sind aus Sicht mancher Befürworter wie Kritiker einige steuer- und europarechtliche Fragen offen. Nur ein Beispiel von vielen: Ist der steuerliche Vorteil, weil weniger Unternehmen aufgegeben werden oder das Land verlassen, größer als möglicherweise wegfallende Erbschaftsteuern? Oder, wie es beispielsweise aus dem Justizministerium heißt: Wie funktioniert eine solche Gesellschaftsform bei europarechtlich gewährter Niederlassungsfreiheit?

Bei der Präsentation des neuen Papiers waren sich die drei Ampel-Politiker dennoch in dieser Tage fast erstaunlichem Maße einig. "Jede Zeit braucht ihre Rechtsform. Und wir müssen einfach auch anerkennen, dass in einem digitalen Zeitalter die alte Idee dessen, wie man Unternehmen führt, durch eine neue ergänzt werden muss", sagte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion bei der Präsentation des Verbändepapiers. "Wir sind vollends dahinterstehend als SPD-Fraktion, als Ampel, dass wir da auch was gemeinsam umsetzen", betonte Verena Hubertz, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Und die bei Bündnis 90/Die Grünen zuständige Bundestagsabgeordnete Katharina Beck fasste zusammen, das sei mal ein "positiv gestaltendes Fortschrittsthema". Das, es wurde nicht nur an ihrem Tonfall deutlich, scheint dringend nötig.

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