Urheberrechts-Debatte:Was soll Kunst im digitalen Zeitalter kosten?

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Der Online-Wutausbruch des Ex-Guns-N'-Roses-Bassisten Duff McKagan zeigt: In der Debatte um ein zukunftstaugliches Urheberrecht geht es nicht nur um unterschiedliche Interessen, sondern auch darum, was eine Gesellschaft als gegeben betrachtet.

Dirk von Gehlen

Was ein Grundrecht ist, kann man im Grundgesetz nachlesen. Es bestimmt sich aber auch aus dem Gefühl dessen, woran man in einer freien Gesellschaft gewöhnt ist. Schließlich ist der Mensch, das hat der Science-Fiction-Autor Douglas Adams mal behauptet, so konstruiert, dass er seine Werte und seine Moral aus dem entwickelt, was ihm als gegeben erscheint.

Duff McKagan (2. v. links) mit Guns 'N Roses 1992: "Aktiver Musiker, der gesehen hat, wie seine Industrie auf den Kopf gestellt wurde." (Foto: AP)

Norm wird, was normal ist. Was dem widerspricht, weil es neu und anders ist, wirkt bedrohlich und vor allem moralisch gefährlich. So ist das Internet eine vergleichsweise neue Erfindung, mit deren Folgen wir noch zu kämpfen haben, besonders auf dem Gebiet der Grundrechte und der Moral.

Was das konkret bedeutet, haben die beiden Musiker Duff McKagan und Jonathan Coulton in den vergangenen Tagen anschaulich am Beispiel des sogenannten Stop Online Piracy Acts (SOPA) vorgeführt.

Dabei handelt es sich um einen mittlerweile verschobenen Plan des amerikanischen Repräsentantenhauses, im Kampf gegen Internetpiraterie so stark durchzugreifen, dass amerikanische Behörden sogar Webseiten außerhalb der USA hätten sperren können. Eine breite Netzbewegung stellte sich gegen die Pläne und kritisierte sie als unverhältnismäßig. Eine vergleichbare Auseinandersetzung wird in den nächsten Wochen auch über das ähnliche ACTA-Abkommen erwartet, was für Anti-Counterfeiting Trade Agreement steht und auch auf europäischer Ebene verhandelt wird.

"Hört auf über SOPA zu jammern"

Duff McKagan war Bassist bei Guns'n'Roses und kann als Rockstar alter Schule bezeichnet werden. Jonathan Coulton bezeichnet sich selber als "Internet-Superstar" und liegt damit vermutlich ebenfalls nicht falsch: Coulton ist ein ehemaliger Programmierer, der nun als Musiker erfolgreich ist. Die beiden Künstler legten in ihren Äußerungen zu den umstrittenen Plänen die Grundzüge einer Debatte offen, die auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit den Folgen der Digitalisierung geführt werden muss.

Es geht um die Abwägung zwischen Grundrechten. Denn der Graben verläuft erstaunlicher Weise nicht zwischen Alt oder Jung, sondern zwischen Künstlern, die auf beiden Seiten von ihrer Kunst leben wollen - aber abweichende Vorstellungen von Grundrechten und Freiheit haben, weil sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.

" Hört auf über SOPA zu jammern" schimpfte der ehemalige Guns'n'Roses-Bassist, als das Netz sich zum SOPA-Protest zusammenschloss. "Als aktiver Musiker, der gesehen hat, wie seine Industrie auf den Kopf gestellt wurde, und der sieht, wie Piraterie jeden Künstler vom Chart-Stürmer bis zum Indie-Anfänger trifft", empfinde er das Gejammer über die Anti-Pirateriepläne der USA "als Schlag ins Gesicht".

Er frage sich, warum niemand protestiert habe, als Menschen anfingen, ohne Bezahlung Musik im Netz zu nutzen. "Wo waren Google, Facebook und Wikipedia", die während des Blackout-SOPA-Days den Protest unterstützten, "als Musiker, Schauspieler und Autoren bestohlen wurden? Entschuldigt, aber wo wart Ihr alle?", fragte er, erkennbar wütend: "Warum seid Ihr damals nicht aufgestanden? Kostenlose Musik war zu toll, oder?"

McKagan löste mit dieser rhetorischen Frage einen Sturm der Entrüstung aus. Nutzer beschimpften ihn, und er fühlte sich dadurch in seiner Haltung bestätigt. Das Recht, mit Musik Geld zu verdienen, so McKagan, sei nichts Gestriges, sondern eine Errungenschaft, die man verteidigen müsse. Notfalls auch auf Kosten des freien Flusses der Informationen. Denn mit diesem wollten die Akteure Google oder Facebook doch schließlich auch nur Geld verdienen.

Dieser Haltung widerspricht Jonathan Coulton, der ebenfalls als Künstler sein Geld verdient. Für ihn ist die Freiheit des Netzes eine größere Errungenschaft als die Vergütung von Kunst - weil er das Internet als gegeben, als normal ansieht. "Auch wenn es sich verrückt anhört", schreibt er in seinem Blog, "aber mit Kunst Geld zu verdienen, ist kein Menschenrecht. Es hat sich so ergeben, dass wir eine Situation hatten, in der der Verkauf von Songs über Affen und Roboter ein brauchbares Business darstellt." Damit spielt er auf seinen Hit "Code Monkey" an und fährt fort: "Aber während der längsten Zeit der Menschheitsgeschichte haben die Leute nicht für Kunst bezahlt. Ich möchte nicht, dass es wieder dazu kommt, ich wäre sogar sehr traurig, wenn es wieder so wäre, aber es liegt nicht an mir, das zu entscheiden."

Coulton rückt damit die gesellschaftliche Realität der Digitalisierung in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Ob man mit dieser einverstanden ist oder nicht, stellt für ihn keine relevante Frage dar. Er nimmt sie als gegeben und versucht, davon ausgehend neue Modelle zu entwickeln.

Damit positioniert er sich gegen Duff McKagan. McKagan bemisst der Bezahlung von Kunst im Zweifel einen höheren Wert bei als der Freiheit des Netzes, die man - so Coulton - notwendigerweise einschränken muss, um restriktiv gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Man muss also abwägen. "Ich glaube an das Urheberrecht", schreibt der 41-jährige Coulton. "Ich profitiere davon und ich will nicht, dass es verschwindet. Aber wenn ich eine Sache aufgeben müsste, wenn ich mich zwischen Urheberrecht und dem Internet entscheiden müsste: Ich würde mich fürs Internet entscheiden. Jederzeit."

Es gibt keine einfachen Antworten

Ist der Musiker Jonathan Coulton verrückt? Versteht der Musiker Duff McKagan die moderne Welt nicht? Beide Fragen haben eine gewisse Berechtigung, auch weil sie vor allem die Möglichkeit einer einfachen Antwort vorgaukeln. Die aber gibt es genauso wenig, wie es eine einfache Lösung für die Frage nach einem zukunftsfähigen Urheberrecht gibt.

Um dieses zu finden, wäre es vermutlich nötig, Coultons und McKagans Position zu versöhnen. Denn die entscheidende Frage ist nicht, ob man zwischen dem freien Internet und dem Copyright wählen muss, sondern die, ob es einer Gesellschaft gelingt, beides zu garantieren: das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf angemessene Vergütung.

Alle müssen nach Lösungen suchen

Hier sind kreative Menschen für kreative Lösungen gefragt. Vielleicht liegt ein Ansatz in pauschalen Abgabemodelle (wie bei der Einführung der Musikkassette) oder in der Reform der Verwertungsgesellschaften, die die Interessen der Kreativen vertreten sollen.

In jedem Fall sollten diese sich an der Suche nach Lösungen beteiligen, denn sonst tun dies geschäftstüchtigere Menschen. Apple, Facebook, Google und Amazon arbeiten derzeit genau daran, Modelle zu präsentieren, die aber zunächst ihnen und nicht den Kreativen nützen. Und wenn sie sich damit durchgesetzt haben, werden diese als normal gelten - und somit Normen setzen.

© SZ vom 06.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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