Die Guy-Fawkes-Maske, Erkennungszeichen der Hackergruppe Anonymous sowie der Occupy-Bewegung, hält Einzug ins polnische Parlament: Abgeordnete der linksliberalen Bewegung Palikot hielten sich am Donnerstag die bekannten Masken vor das Gesicht, um gegen die Unterzeichnung des umstrittenen "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" (ACTA) zu protestieren.
Die Reaktion ist heftig - und findet nicht nur im Warschauer Parlament seinen Ausdruck: Die ACTA-Ablehnung trieb in Städten im ganzen Land Tausende auf die Straße. Die wichtigsten Fragen zum Abkommen - und warum es ganz Europa betrifft.
Was regelt ACTA?
ACTA ist ein völkerrechtliches Abkommen, das von den USA und Japan inititiiert wurde und das 37 Nationen in Geheimverhandlungen vereinbart haben. Den Vertrag, der internationale Standards zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie setzen soll, haben inzwischen Kanada, Australien, Japan, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur, die USA sowie 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet.
Weshalb wird es so heftig kritisiert?
Kritiker bemängeln den intransparanten Verhandlungsprozess und die vagen Formulierungen. Verpflichtende Sanktionen wie das Three-Strikes-Law, die Sperrung der Internet-Anschlüsse von Filesharern, wurden zwar inzwischen aus den Entwürfen entfernt; dennoch fürchten Gegner, dass die Internet-Freiheit unter den Anti-Piraterie-Maßnahmen leiden könnte und Provider und Internet-Firmen gezwungen sein könnten, der Unterhaltungslobby weiter als bisher bei Maßnahmen gegen Filesharer entgegen zu kommen.
Ändert das Abkommen geltendes Recht?
Das ist umstritten: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betont auf Anfrage von Spiegel Online jüngst, dass ACTA das bislang geltende Recht nicht beeinflusse. "Der Vertrag sieht weder eine Verschärfung der Haftung für Internet Service Provider vor, noch berührt er die deutschen oder europäischen Datenschutzregelungen."
Dem widersprechen andere Politiker, so der US-Kongressabgeordnete Darreell Issa, der sich auch gegen das SOPA- und PIPA-Gesetz in den USA ausspricht. "Es gibt vor, keine bestehenden Gesetze zu ändern", sagte er laut BBC-Angaben, "aber einmal eingeführt, schafft es ein neues Vollstreckungssystem, gegen das der Kongress nichts tun kann."
Wer demonstriert in Polen?
In Polen gehen Linke und Rechte gemeinsam auf die Straße und finden im Parlament Unterstützung der linksliberalen Palikot-Partei. Hacker griffen Regierungs- und Parlamentsseiten an. Inzwischen haben 500.000 polnische Internetnutzer eine Petition gegen ACTA unterzeichnet, die Regierung setzt trotzdem ihre Unterschrift unter den Vertrag. Ministerpräsident Donald Tusk hat am Freitag allerdings signalisiert, dass das letzte Wort in Sachen ACTA noch nicht gesprochen sei und man gegebenenfalls die parlamentarische Ratifizierung stoppen werde. Der nationalkonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski fordert ein Referendum über ACTA.
Wie sieht es anderswo in Europa aus?
In Österreich protestieren mutmaßliche Anonymous-Mitglieder mit Hackerattacken gegen ACTA, für Samstag ist ein Aktionstag in verschiedenen Städten geplant. Unbekannte versuchten zudem, die Website des EU-Parlaments mit Distributed-Denial-of-Service-Attacken lahmzulegen. Inzwischen ist der ACTA-Berichterstatter der EU, Kader Arif (Sozialistische Partei Frankreichs), von seiner Position zurückgetreten. Er bezeichnet den ACTA-Verhandlungsprozess als undemokratische "Maskerade". In Deutschland wird der Protest derzeit vor allem über Blogeinträge und Twitter-Nachrichten artikuliert.
Wie geht es weiter?
Läuft alles nach Plan, wird ACTA am 29. Februar im federführenden Ausschuss für internationalen Handel (INTA) des EU-Parlaments behandelt werden. Im Juni soll dann darüber abgestimmt werden. Nach dem Rücktritt des EU-Berichterstatters könnte dieser Zeitplan allerdings ins Wanken geraten.
Der EU-Rat hatte bereits während des polnischen Vorsitzes in der zweiten Jahreshälfte 2011 den Beitritt zu ACTA abgesegnet. Die Bundesregierung hat die Unterzeichnung am 30. November 2011 beschlossen und den Bundestag informiert. Bislang wurde die Unterschrift einzig aus formalen Gründen nicht geleistet, eine Verabschiedung im Bundestag durch ein Ratifizierungsgesetz steht noch aus, gilt aber in der Regel als Formsache.