Unternehmen:Die neue Dreifaltigkeit

Lesezeit: 7 min

Der ökologisch wenig nachhaltige Lebensstil war eine der Ursachen der Krise. Doch das Problem wird nicht angegangen. Dabei schafft das Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und Sozialem neue Märkte.

Elisabeth Dostert

Es war nicht immer leicht für Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer. Aber die Männer sind nun einmal beseelt von ihrer Idee: Vor fast 20 Jahren, damals noch als Mitarbeiter eines Fraunhofer Instituts, haben sie sich auf die Suche nach einem Ersatz für Erdöl gemacht - und sie haben ihn gefunden. Die Rede ist von Lignin, einem nachwachsenden Rohstoff. Er steckt in jedem Baum, in jedem Strohhalm und in jedem Busch. Er sorgt dafür, dass die Zellwände verholzen.

(Foto: Illustration: h1-daxl.de)

Im Juni 1998 haben Nägele und Pfitzer die Firma Tecnaro gegründet. "Wir sind nach wie vor auf dem richtigen Weg, das spüren wir stärker denn je", sagt Pfitzer: "Erdöl ist endlich." Aus dem fossilen Energieträger werden nicht nur Treibstoffe wie Benzin oder Diesel hergestellt. Erdöl ist Grundlage von Lacken, Farben, Arzneien, Reinigungsmitteln, Dünger und Kunststoffen. "Egal ob die Erdölvorräte noch 30 oder 100 Jahre reichen, auf Dauer führt an erdölfreien Produkten kein Weg vorbei. Lignin ist der Stoff, der es ersetzen kann", sagt Pfitzer: "Aus Lignin lässt sich sogar Treibstoff entwickeln."

Tecnaro ist nicht allein. Immer mehr Unternehmen - Erfinder, Mittelständler und Konzerne - sind auf der Suche nach neuen Märkten und Produkten. Der demografische Wandel, Urbanisierung, Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und die Endlichkeit vieler Rohstoffe - nicht nur die von Erdöl - zwingen dazu. Neue Märkte entstehen, alte wandeln sich.

14 nachhaltige Zukunftsmärkte hat das Kölner Beratungsunternehmen "z_Punkt" in einer Studie für das Expertenforum Mittelstand ausgemacht: dezentrale Energieversorgung, erneuerbare Energien, Green IT, nachhaltige Wasserwirtschaft, neue Antriebstechnologien und Kraftstoffe, effiziente Fahrzeugtechnologien, neue Bildungsmärkte, seniorengerechte Produkte und Infrastrukturen, individuelle Gesundheitsprävention, Gesundheitskonzepte für Entwicklungsländer, Green Buildings, Versorgungsinfrastrukturen für Megacities, Social Commerce, also eine Art interaktiver Konsum mit einem Mitspracherecht des Verbrauchers, sowie nachhaltige Produktions- und Kreislaufwirtschaft.

"Es sind Märkte mit hohem ökologischem, ökonomischem und sozialem Potenzial. Die neue Dreifaltigkeit", sagt z_punkt-Gründer Klaus Burmeister. Innerhalb der westlichen Gesellschaften vollziehe sich seit Jahren ein elementarer Wandel des Konsumverhaltens. An die Stelle eines materiell orientierten Kaufverhaltens rücke zunehmend ein an nachhaltigen Aspekten ausgerichteter Lebensstil: Die eigene Gesundheit, soziale Verantwortung und Umweltschutz bestimmen die Kaufentscheidungen des neuen Konsumenten. "Die ökologische Bewegung der 80er Jahre ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so wie die Grünen." Aber sie sei weniger ideologisch geprägt als damals in den Gründungsjahren der Umweltpartei.

Während die Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre der Ökologie wieder Grenzen setzte, habe die jüngste Krise den Druck zum Wandel verschärft. "Die Sehnsucht der Menschen nach nachhaltigen Wirtschaftsformen und neuen Maßstäben für Wachstum und Wohlstand ist so ausgeprägt wie nie zuvor. Sie lässt sich nicht mehr bremsen", sagt Burmeister: ,,Aber nicht alle Märkte besitzen das gleiche Potenzial und sie entwickeln sich nicht im gleichen Tempo."

Wirtschaftlich lukrativ ist das Thema Energie. Das belegt auch die Vielzahl der Unternehmen und Verbände, die sich auf diesem Feld tummeln. In einer Studie, für die 1200 Firmen befragt wurden, beziffert das Bundesumweltministerium allein die Zahl der Beschäftigten in der Branche Erneuerbare Energie auf 340000 im vergangenen Jahr. Damit hat sie sich binnen fünf Jahren verdoppelt.

Ein beschwerlicher Weg

Postfossile Ressourcen wie Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie gewinnen durch den Klimawandel an Bedeutung, so Burmeister. Das Thema Energie verdeutliche auch, dass sich kaum ein Markt isoliert betrachten lasse. Die Energie komme künftig nicht mehr nur über die großen zentralen Netze der Versorger, sondern auch aus kleinen, privaten Blockheizkraftwerken, Solar- oder Biogasanlagen in der Nähe. Gut gedämmte Häuser und Werkshallen, effiziente Hausgeräte und Maschinen, sparsame Rechenzentren und Computer sorgten dafür, dass weniger Energie verbraucht werde. Kostbare Rohstoffe würden effektiver eingesetzt, wiedergewonnen und was wirklich übrig bleibt, thermisch verwertet. Die Möglichkeiten in Burmeisters Szenario sind grenzenlos. Wenn man lange genug in der Geschichte wühlt, scheint manche Idee nicht ganz neu. Sie geriet nur in Vergessenheit.

Der Weg ist manchmal beschwerlich, vor allem für Menschen wie Nägele und Pfitzer, die früh aufgebrochen sind. "Im ersten Geschäftsjahr haben wir keinen Cent umgesetzt", erzählt Pfitzer: "Im dritten waren es gerade mal 40 000 Euro. Da hätten wir leichter Bratwurst verkauft. Wir sind nicht in Urlaub gefahren, um uns einen Hubwagen für die Paletten kaufen zu können." Es klingt nicht eine Sekunde wehleidig. Ihr Granulat mit dem Namen Arboform kann Holz und Kunststoffe ersetzen. Die Suche nach Abnehmern war anfänglich mühsam. Tecnaro war nicht überall willkommen. Pfitzer erinnert sich, wie er vor vielen Jahren einen Hersteller von Holzblasinstrumenten besucht hat. Der habe ihn in seine Werkstatt geführt und gesagt: "Wenn ich künftig Ihr Produkt einsetze, müsste ich alle meine Schreiner entlassen, und ich hätte nicht mehr nur eine Handvoll, sondern 100 Wettbewerber. Jeder Spritzgusshersteller könnte das besser als ich."

Mittlerweile läuft das Geschäft, und es gibt unzählige Rezepturen von Arboform. In der Autoindustrie wird der Stoff in der Produktion von Keramikbremsen eingesetzt. Die Hersteller von Solaranlagen setzen es als Stapelhilfe beim Transport ihrer Paneele ein. "Die Verpackung kann in der Baugrube entsorgt werden, denn anders als Kunststoff verrottet Arboform schnell und ohne giftige Rückstände", sagt Pfitzer: "So schließt sich der Kreis." Der japanische Technologiekonzern Fujitsu hat eine Computertastatur auf den Markt gebracht mit einer Handballenauflage aus Arboform. Auch die Deutschen haben schon einmal eine komplette Tastatur konstruiert und betrachteten es als Ritterschlag, dass sie ein 40-Milliarden-Euro-Konzern als Lieferanten auswählt hat.

Die Einsatzmöglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Der Rohstoff, das Lignin, ist im Überfluss vorhanden. "Jedes Jahr werden 20 Milliarden Tonnen Lignin neu gebildet, einfach weil Pflanzen wachsen und verholzen", sagt Pfitzer: "Dafür muss noch nicht einmal ein Baum gefällt werden." Bei der Herstellung von Papier und Zellstoff fallen weltweit jährlich 60 Millionen Tonnen Lignin an, sagt er: "80 Prozent davon werden einfach verbrannt." Bestenfalls werde daraus thermische Energie gewonnen, also schlecht verwertet, denn der Heizwert von Lignin sei weitaus schlechter als der von Heizöl. "Jetzt lohnt es sich, Bäume zu pflanzen." Sie binden CO2. Pfitzer triumphiert: "Es ist doch toll, wenn die Pflanze, die gut fürs Klima ist, auch Rohstofflieferant ist. Besser geht'nicht."

"Wenn sie heute mit Nachhaltigkeit kommen, stehen in den Unternehmen alle Türen offen", sagt Martin Schoeller, der gemeinsam mit seinem Bruder Christoph die gleichnamige Münchner Gruppe für Logistik, Verpackung und Umwelttechnologien führt mit zusammen gut einer Milliarde Euro Umsatz und 5500 Beschäftigten. Die frühen 80er Jahre haben Martin Schoeller geprägt. Er war damals Mitte 20. Die erste große grüne Welle schwappte übers Land.

"Damals galten Unternehmer als etwas ganz Schlimmes", erzählt Schoeller: "Das hat mir schon zu denken gegeben." Die Grünen seien jung und fundamentalistisch gewesen, aber nicht die ersten und einzigen, die auf einen ökologischen Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft drängten. Schon in seinem 1972 veröffentlichten Bericht habe der Club of Rome die Grenzen des Wachstums aufgezeichnet. 1987 wurde Klaus Töpfer Bundesumweltminister, erst der zweite in der Geschichte des Landes. Auf eine gewisse Art und Weise haben ihm die Schoellers eine ihrer erfolgreichsten Geschäftsidee zu verdanken: die grüne Mehrweg-Klappkiste.

Töpfer drängte die Hersteller zu Mehrwegsystemen. "Die schoben dann die Verantwortung auf den Handel", erzählt Schoeller. Die Brüder reisten nach Mühlheim zur Tengelmann-Eigentümerfamilie Haub, um sie für ihre Idee zu gewinnen. "Die Hersteller von Kartonagen haben damals mächtig Druck gemacht, weil sie um ihre Pfründe fürchteten, ", erinnert sich Schoeller.

Das war Anfang der 90er Jahre. Wenig später gründete er die Gruppe Ifco. Die Firma arbeitet nach einem einfachen Systems. Sie liefert die von einer anderen Schoeller-Tochter hergestellten Mehrwegkisten und Paletten an Erzeuger, die damit ihr Obst und Gemüse zum Lebensmittelhändler transportieren. Der zahlt Miete und Transport der Kiste. Im Handel holt Ifco die leeren Kisten ab, reinigt, repariert und sortiert sie. Über 100 Millionen Kisten seien weltweit in diesem Kreislauf unterwegs, erläutert Schoeller: "Und das ist erst der Anfang. Die Aufgabe ist noch lange nicht erledigt, denn Obst und Gemüse machen nur zehn Prozent des Handelswarenstroms aus. Weitere zehn Prozent entfallen auf Getränke."

Ein Dank an Al Gore

"Es braucht manchmal Zeit, bis sich gute Idee durchsetzen. Und die Stimmung in der Gesellschaft muss passen", sagt Zukunftsforscher Burmeister: "Die Konsumenten müssen nachhaltige Produkte verlangen und Handel und Industrie müssen entsprechende Produkte auch entwickeln und vermarkten." Aber die hatten, genau wie viele Konsumenten, Ende der 90er und Anfang des neuen Jahrtausends eher das schnelle Geld im Blick. Umweltschutz geriet aus und die Börse ganz groß in Mode. Die Schoellers brachten Ifco an die Börse, sind aber bis heute mit ein paar Prozent beteiligt.

Dass heute wieder jeder über Ökologie rede, sei maßgeblich Al Gore, Friedensnobelpreisträger und Vize des ehemaligen US-Präsident Bill Clinton, zu verdanken, sagt Schoeller. "Gore ist es gelungen, die Komplexität des Klimawandels auf einen einzigen Nenner zu bringen: CO2." Und anders als früher dürfe Umweltschutz heute auch etwas kosten, weil er gut fürs Image ist. "Für uns ist Umweltschutz eine langfristiger Trend, mit dem sich Geld verdienen lässt. Das eine schließt das andere nicht aus und macht es nicht schlechter", sagt Schoeller.

Mehr denn je denkt der Mann in Kreisläufen, und viele sind noch lange nicht geschlossen. Er hat neue Ideen. Die eine - das Recycling von PET-Flaschen - lag nahe, weil Schoeller schon seit Jahrzehnten Mehrwegkisten für die Getränkeindustrie produziert. Die andere Idee - erneuerbare Energien - war eher ein Abfallprodukt. Beide Sparten steuern zusammen nicht einmal 50 Millionen Euro zum Gruppenumsatz bei. Vor vier Jahren hat Schoeller in der Nähe von Limburg sein erstes Recycling-Werk für PET-Flaschen eröffnet, "da können die Getränke-Konzerne sehen, wie es geht". Die alten PET-Flaschen werden in mehreren Schritten zu Granulat verarbeitet, aus dem dann wieder PET-Flaschen hergestellt worden. "Fast 300 Milliarden PET-Flaschen werden weltweit verbraucht. 100 solcher Fabriken wären nötig, um nur zehn Prozent davon zu recyceln", rechnet Schoeller vor.

Wie der Urgroßvater

Die Technik für das Recycling hat die kleine Firma OHL entwickelt, die Schoeller 2005 aus der Insolvenz herauskaufte. "Ursprünglich wollten wir die Sparte Komponenten für die Energieerzeugung verkaufen", erzählt Schoeller. Aber dann hat er sie behalten und sie liefert die Technik für das zweite neue Geschäftsfeld: Renewables, erneuerbare Energien. Die neue Sparte entwickelt schlüsselfertige Solarparks und liefert Komponenten für Solarwärmekraftwerke wie das im spanischen Andasol. Schoeller ist auch assoziiertes Mitglied der DII GmbH, der Planungsgesellschaft für das Wüstenstrom-Vorhaben Desertec.

Die Brüder Schoeller wären nicht die ersten in der Familie, die ihr Glück mit erneuerbaren Energien machen. Ihr Urgroßvater Oskar von Miller, Gründer des Deutschen Museums, trieb in Bayern den Ausbau von Wasserkraftwerken voran und den Aufbau des nationalen Verbund-Stromnetzes. In ihrer Broschüre für die neue Sparte werben die Schoellers mit ihrem Vorfahren. Auf der zweiten Seite ist ein Schwarz-Weiß-Foto abgedruckt. Es zeigt zwei alte Männer in Korbstühlen Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der eine ist der US-Erfinder Thomas Alva Edison, der andere Oskar von Miller.

Über dem Foto steht ein Zitat von Edison: "Ich habe mein Geld in die Sonne und Solarenergie gesteckt. Was für eine Energiequelle! Ich hoffe, wir müssen nicht warten, bis Öl und Kohle ausgehen, bevor wir das anpacken." Millers Antwort ist nicht überliefert. Edisons Hoffnung hat sich jedenfalls nicht erfüllt. "Es braucht viel Kraft, um den Widerstand alter Systeme zu überwinden", so Schoeller: "Das sieht man am Widerstand der Autoindustrie gegen Elektromobilität. Neues kostet Kraft. Aber am Ende kommt es doch."

© SZ vom 14.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: