Folgen des Krieges in der Ukraine:Der Kampf gegen die Klimakrise darf nicht vergessen werden

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Cem Özdemir hat es bisher nicht geschafft, die Tierhaltung zu reformieren. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Betriebe brauchen Hilfe - aber es wäre ein Fehler, den ökologischen Umbau der Landwirtschaft aus den Augen zu verlieren.

Kommentar Josef Kelnberger

Es sind aufschlussreiche und zugleich schmerzliche Lektionen, die der Krieg in der Ukraine den Menschen in Deutschland und ganz Europa erteilt. Die Lehren reichen, jenseits der schrecklichen Bilder von Tod, Flucht und Zerstörung, hinein in den Alltag. So wie es ein politischer Akt ist, die Heizung aufzudrehen, das Licht anzuschalten oder das Auto zu betanken, so ist auch diese Frage politisch: Wie viel Fleisch kommt auf den Tisch? Sie hat in diesen Tagen mit dem Hunger in der Welt zu tun.

Wenn Wladimir Putin mit seinem Krieg die "Kornkammer" Ukraine lahmlegt und dadurch Futtermittel-Lieferungen ausbleiben, leiden darunter auch deutsche Landwirtinnen und Landwirte. Aber die Konsequenzen reichen noch weiter. Deutsche Fleischesser treten, mehr noch als bislang schon, in Konkurrenz zu Menschen in Afrika und im Nahen Osten, die auf Lebensmittellieferungen aus der Ukraine angewiesen sind. Es drohen Hungersnöte und neue Fluchtbewegungen Richtung Europa.

Der Ausbau einer nachhaltigen Landwirtschaft ist in Gefahr

So stellt der Ukrainekrieg die Grundlagen des westlichen Lebensstils infrage, ganz akut. Langfristige Antworten gibt die Europäische Union unter der Überschrift "Green Deal", der Klimaschutz und Versorgungssicherheit kombiniert. Der Umstieg auf erneuerbare Energien gehört ebenso dazu wie eine nachhaltige Landwirtschaft. Das entsprechende Programm heißt "Farm to Fork", vom Bauernhof auf den Teller. Weniger Dünger, weniger Pestizide und auch mehr Tierwohl - am Ende käme weniger, aber besseres Fleisch auf deutsche Teller. Die Frage ist nun, ob die langfristigen Strategien standhalten im Sturm der Ukraine-Krise.

Der Staat muss in Krisen steuernd eingreifen, um den Menschen zu helfen. Allerdings darf er dabei seine langfristigen Ziele dafür nicht aufgeben.

Die Europäische Union hat bereits reagiert. Der Einsatz von mehr Kohle und die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken gelten als legitim, um die Zeit zu überbrücken, bis die erneuerbaren Energieträger russisches Gas und Öl ersetzen. Doch die Gefahr ist groß, dass viele Mitgliedsländer diese Krise nutzen werden, um das Provisorium zur Dauerlösung zu machen, weil es schlicht bequemer zu sein scheint, am Altbekannten festzuhalten. Derselbe Konflikt zeichnet sich in der Landwirtschaft ab.

Die Bundesregierung kommt deutschen Erzeugern entgegen

Der polnische Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat schon angedeutet, er halte Farm to Fork für möglicherweise nicht mehr zeitgemäß. Von den europäischen Christdemokraten kommen Forderungen, weniger Flächen als geplant stillzulegen, oder zumindest kurzfristig Pflanzenschutzmittel auf Ökoflächen zu erlauben, um die Futtermittelknappheit zu bekämpfen. Sie tragen zwar die ökologischen Ziele für die Landwirtschaft grundsätzlich mit, fürchten aber, die europäischen Betriebe könnten ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren. Nun üben sie den Schulterschluss mit den Landwirten, die Angst vor dem Wandel haben.

Es war eine kluge Entscheidung des Landwirtschaftsministers Cem Özdemir, die G-7-Kollegen zum Krisentreffen zu laden, um als Grüner federführend die Ukraine-Hilfe zu koordinieren. Der deutschen Landwirtschaft kommt er mit einem Sofortprogramm entgegen. Er gibt bestimmte ökologische Vorrangflächen zum Anbau von Futtermitteln frei, um die steigenden Preise zu mildern. Es gäbe weitere Möglichkeiten, die Krise zu entschärfen. Der Staat könnte es zum Beispiel fördern, wenn Landwirte kurzfristig ihre Tierbestände abbauen. Langfristig wird daran ohnehin kein Weg vorbeiführen.

Die Ukraine-Krise mag vieles infrage stellen und Kompromisse erfordern, aber sie verlangt auch Standfestigkeit. Es wäre fahrlässig, den Krieg gegen die Klimakrise auszuspielen. Denn der Krieg wird lange vorbei sein, da werden Klimawandel und Artenkrise die Welt immer noch beschäftigen.

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