Uiguren:Deutsche Firmen unter Zwangsarbeit-Verdacht

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Viele Menschen auf den Baustellen und in den Fabriken Chinas sind Wanderarbeiter – meist freiwillig, doch es gibt auch Zwangsarbeit. Betroffen davon sind Mitglieder der politisch verfolgten muslimischen Minderheit der Uiguren. (Foto: ALY SONG/REUTERS)

Mehrere Unternehmen sollen von der Ausbeutung uigurischer Zwangsarbeiter profitiert haben. Zu diesem Ergebnis kam nun eine Studie - die aber große Mängel aufweist.

Von Christoph Giesen, Hongkong, und Frederik Obermaier

Ein Paar Turnschuhe aus China, genäht mit Garn, das Zwangsarbeiter gesponnen haben? Autos, ja ganze Schnellzüge, mitgebaut von Uiguren gegen ihren Willen? Das Australian Strategic Policy Institute (ASPI) wirft in einer Studie 27 chinesischen Firmen vor, Arbeiter der muslimischen Minderheit auszubeuten. Das ASPI schätzt, dass zwischen 2017 und 2019 mehr als 80 000 Uiguren zur Arbeit aus ihrer Heimat, der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas, in den Rest des Landes verschickt wurden. 83 internationale Konzerne sollen angeblich zu den Endkunden gehören und womöglich von der Zwangsarbeit profitieren, darunter auch sieben deutsche Unternehmen. Ein schwerer Vorwurf.

In Xinjiang haben die Behörden in den vergangenen Jahren einen Polizeistaat aufgebaut, der wohl einmalig auf der Welt ist, in Lagern werden Hunderttausende Uiguren weggesperrt und umerzogen. Ende November veröffentlichten internationale Medien, darunter auch die SZ, interne Dokumente der Kommunistischen Partei, die das Ausmaß des Lagersystems dokumentieren. Für die meisten deutschen Firmen war Xinjiang damals weit weg. Nun aber gibt es die ASPI-Studie, die sich auf Satellitenbilder, öffentlich zugängliche Dokumente und Medienrecherchen vor Ort stützt - und plötzlich stehen im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Uiguren weitere Firmen im Fokus.

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Viele westliche Unternehmen haben hehre Vorgaben, was die Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Lieferanten angehen. Ob die Richtlinien auch eingehalten werden, ist eine andere Frage. Selbst wenn eine Firma keinen Standort in Xinjiang hat, kann es durchaus sein, dass sie Waren von dort bezieht. So ist China einer der größten Baumwollproduzenten der Welt - und mehr als drei Viertel der chinesischen Baumwolle kommen ausgerechnet aus Xinjiang.

Einer der größten Garn-Produzenten ist die Firma Huafu Top Dyed Melange Yarn Co. 2017 sollen Hunderte Uiguren in Werke in der zentralchinesischen Provinz Anhui verlegt worden sein. Zulieferer des Sportartikelherstellers Puma verwenden das Garn. Puma selbst habe "keine direkte Beziehung" zu dem Unternehmen, teilte eine Sprecherin mit. "Die Vorwürfe sind in der Tat sehr schwerwiegend, weshalb wir den Fall genau beobachten und weitere Untersuchungen anstellen."

Adidas erklärte auf Anfrage von NDR und SZ: "Das Unternehmen hat bis zum Frühjahr 2019 Vorprodukte für einen unserer Sublieferanten geliefert und war damit ein sogenannter Tier 3-Lieferant. Wir haben unsere Zulieferer bereits im Frühjahr 2019 ausdrücklich aufgrund der damals publik gewordenen Vorwürfe angewiesen, kein Garn aus der Region Xinjiang zu beziehen und keine Aufträge an Huafu zu vergeben." Im Fall von zwei anderen Firmen bestreitet Adidas ausdrücklich, dass es sich um Zulieferer handelt.

Tatsächlich hat der Report des australischen Instituts, über den nun Medien weltweit berichten, methodische Schwachstellen. So wird etwa der Verdacht erweckt, dass Adidas mit der Firma Haoyuanpeng Clothing Manufacturing zusammenarbeite, die wiederum uigurische Arbeiter beschäftigt. Als Beleg wird angeführt, dass Haoyuanpeng auf seiner Homepage behauptet, für Adidas zu fertigen, und an einer Fabrikfassade in Kashgar ein Adidas-Logo angebracht hat. In einem Land, in dem immer noch viele Produkte gefälscht werden, muss das aber noch nichts heißen. Adidas jedenfalls bestreitet, mit Hayouanpeng zusammenzuarbeiten.

Missverständnisse dieser Art hätten sich wohl ausräumen lassen, wenn viele der Unternehmen nicht erst kurzfristig vor Veröffentlichung der Studie informiert worden wären. Nicht allen Firmen blieb genügend Zeit, die Vorwürfe zu überprüfen, zumal viele Büros wegen der Corona-Epidemie in China gerade sehr spärlich besetzt sind. Bosch etwa landete auf der Liste, weil ein chinesischer Unternehmer sich in einem Zeitungsinterview damit brüstete, an den Konzern aus Stuttgart zu liefern. "Wir haben aktuell keine Kenntnis über ein Kooperations- oder direktes Lieferantenverhältnis zu dem angesprochenen Unternehmen", sagt ein Bosch-Sprecher.

Dabei sind die ASPI-Rechercheure auf viele Ungereimtheiten gestoßen, die einer Überprüfung bedürfen. Beispiel Siemens: Ein Zulieferer in der Provinz Jiangsu beschäftigt offenbar Uiguren. "Die KTK Group ist ein Lieferant der Siemens AG. Bis zum Erscheinen des Berichts hatten wir keine Kenntnis von den genannten Vorwürfen", teilt Siemens mit. Alle Zulieferer müssten einen Code of Conduct unterzeichnen, der Zwangsarbeit ausschließt. Bei Verstößen, die nicht abgestellt werden, streiche Siemens "das Unternehmen von der Lieferantenliste".

Für Volkswagen sind die Vorwürfe besonders heikel

Auch die Autokonzerne BMW, Daimler und Volkswagen tauchen in dem ASPI-Report auf. So wurden laut chinesischen Medienberichten Uiguren 2017 nach Anhui gebracht, um dort für die Firmen Highbroad Advanced Material und Hefei Fuying Photoelectric Co. zu arbeiten. BMW teilte mit, "keine inhaltlichen Aussagen" zu der australischen Studie machen zu können. Sowohl Daimler als auch Volkswagen erklärten schriftlich, dass es sich bei den Firmen nicht um "direkte" Lieferanten handele. Was nicht ausschließt, dass die Firmen aus Anhui Sublieferanten sind und es in der Tat nicht auszuschließen ist, dass von Uiguren - womöglich unter Zwang - gefertigte Teile in Fahrzeugen von BMW, Daimler und Volkswagen verbaut wurden. Man werde überprüfen, ob alle Standards eingehalten werden, heißt es wohl auch deshalb etwa bei Volkswagen.

Für den Konzern aus Wolfsburg sind die Vorwürfe besonders heikel. Das Unternehmen betreibt seit 2013 zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern SAIC ein Werk in Urumqi, der Hauptstadt Xinjiangs. Vor einigen Monaten wurde durch Recherchen von SZ, NDR und WDR bekannt, dass das Joint-Venture eine Kooperation mit der Bewaffneten Volkspolizei unterhält: jener Organisation also, die unter anderem für die Bewachung von Internierungslagern in Xinjiang verantwortlich sein soll.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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