Es gibt Geburtstagsgeschenke, die Freude machen und solche, die man am liebsten gleich wieder zurückgeben möchte. Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, ist da bestimmt keine Ausnahme. Das Präsent, das ihm Gegner des Freihandelsabkommens TTIP am 9. Dezember zum 60. Geburtstag schicken wollten, steht ganz sicher nicht auf seiner Wunschliste. Es ist ein Päckchen voller Probleme.
Eine Million Unterschriften haben die Organisatoren der Europäischen Bürgerinitiative "Stopp TTIP" in nur wenigen Wochen gegen das geplante Bündnis zwischen den USA und der EU gesammelt. Die nächste Million hat das Bündnis von 320 Organisationen bereits in Angriff genommen. Das macht die Sache für Juncker und seine Mannschaft nicht leichter - Zeit für eine Zwischenbilanz.
Die Erwartungen sind groß, als Vertreter beider Seiten im Sommer 2013 die Gespräche aufnehmen. Ihr Ziel ist es, Europa und die Vereinigten Staaten noch näher zusammenzubringen. Gemeinsam wollen sie den größten globalen Wirtschaftsraum schaffen, auch um dem mächtigen China besser Paroli bieten zu können. Das "Transatlantic Trade and Investment Partnership", so der sperrige Titel des Abkommens, soll den Geschäften zwischen Alter und Neuer Welt neuen Schwung verleihen. Wirtschaft und Politik versprechen 800 Millionen betroffenen Menschen mehr Wachstum und Jobs.
Nach sieben Verhandlungsrunden ist von der Anfangseuphorie wenig geblieben. Die Zweifel an den Versprechen wachsen. Die Geheimniskrämerei der Verhandlungsführer, die NSA-Spionageaffäre, der Streit um Sonderrechte für Konzerne und private Schiedsgerichte tragen ihren Teil dazu bei. In Brüssel und Berlin stehen die Verfechter des Freihandels inzwischen unter Dauerbeschuss. Der Widerstand hat sich zu einer Bürgerbewegung entwickelt. Rentner, Studenten, Arbeiter, Angestellte und Selbständige ziehen an vielen Orten gemeinsam auf die Straße. Vor allem in Deutschland, Frankreich, Österreich und Luxemburg formieren sich die Gegner.
EU-Kommission unter Beobachtung
Das Reizthema TTIP entwickelt eine Eigendynamik, die so manchem Politiker den Angstschweiß auf die Stirn treiben dürfte. Da werden Erinnerungen an Stuttgart 21 wach, jenes umstrittene Bahnprojekt, das die sonst eher friedliebenden Schwaben vor einigen Jahren auf die Barrikaden trieb. Der Aufstand gegen das milliardenteure Projekt löste ein politisches Erdbeben aus - und es verhalf Winfried Kretschmann zu seinem Posten als erster grüner Ministerpräsident eines Bundeslandes in Deutschland.
Die neue EU-Kommission und ihr Chef Juncker stehen bei den laufenden Freihandelsgesprächen unter strenger Beobachtung. Das wurde bereits bei den Europawahlen im vergangenen Frühjahr deutlich, als TTIP unerwartet auf der Wahlkampf-Agenda landete, was konservative Kräfte gern verhindert hätten. Doch wie konnte es so weit kommen?
Verantwortlich dafür ist nicht allein das geplante Abkommen mit den USA. Die Wurzeln liegen tiefer. Das Paradigma, dass freier Handel automatisch mehr Wohlstand für alle bedeutet, ist ins Wanken geraten. Die Finanz- und Euro-Krisen der vergangenen Jahre haben das Vertrauen vieler Europäer in den Freihandel und die Globalisierung erschüttert. Selbst eineinhalb Jahre nach Beginn der Gespräche ist wenig über den genauen Inhalt und die Verhandlungspositionen der TTIP-Macher bekannt. Das schürt Misstrauen und weckt Ängste - ganz egal, ob die nun berechtigt sein mögen oder nicht.
Die neue Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Makel zu beseitigen. Regierungschef Juncker verspricht mehr Transparenz und Aufklärung über den Fortgang der Gespräche. Die neue Handelskommissarin, die Schwedin Cecilia Malmström, muss das nun umsetzen - und zugleich die amerikanischen Verhandlungspartner besänftigen, die den Proteststurm gegen TTIP in Europa mit zunehmendem Argwohn beobachten. Keine leichte Aufgabe, Juncker und Malmström werden sich an diesem Versprechen messen lassen müssen.
Milliardenschwere Klagen auf Schadenersatz
Der erste große Stresstest steht bevor. Die nächste Verhandlungsrunde ist vom 2. bis 6. Februar in Brüssel angesetzt. Dann sollen unter anderem die besonders umstrittenen Investorenschutzregeln zur Sprache kommen, die einige EU-Länder wie Frankreich oder Österreich am liebsten ganz aus dem Vertrag verbannen würden. Die Bundesregierung sieht die Klauseln zwar kritisch, ist aber zögerlich. Konzerne könnten damit Staaten vor private Schiedsgerichte zitieren und auf milliardenschweren Schadenersatz verklagen, zum Beispiel dann, wenn sie ihre Gewinne durch schärfere Umweltgesetze gefährdet sehen. Die amerikanische Seite hat deutlich signalisiert, dass sie auf diese Regeln nicht verzichten wird.
Doch solche Verfahren können teuer werden für die Steuerzahler, wie eine neue Studie des Netzwerks Friends of the Earth Europe offenlegt. Insgesamt 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz mussten EU-Länder demnach in den vergangenen 20 Jahren an Investoren und Konzerne zahlen. In 60 Prozent der Fälle ging es um Umweltfragen. Basis dieser Klagen waren Investorenschutzregeln in früheren Freihandelsabkommen.
Die Risiken sind schwer kalkulierbar. Friends of the Earth warnt vor einem enormen Anstieg solcher Investorenschutzklagen, sollten die Klauseln auch im europäisch-amerikanischen Abkommen verankert werden. US-Unternehmen sind bekannt für ihre Streitlust. Europäische Konzerne gelten ebenfalls als nicht gerade zimperlich. Das zeigt die Klage gegen den deutschen Atomausstieg. Der schwedische Konzern Vattenfall fordert nach neuen Erkenntnissen knapp fünf Milliarden Euro Schadenersatz von Deutschland, bis vor kurzem war nur von 3,7 Milliarden Euro die Rede. Selbst im Berliner Wirtschaftsministerium räumt man ein, dass dieser Fall ein Paradebeispiel für ein schlechtes Schiedsgerichtsverfahren sei.