Tote bei Generalstreik in Athen:So weit der Zorn sie trägt

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Wut, Angst und die Dummheit autonomer Randalierer vermengen sich zu einem tödlichen Cocktail. Drei Menschen sterben bei dem Generalstreik in Athen. Viele Griechen fürchten nun, die Gewalt könnte sich über das ganze Land ausbreiten.

Kai Strittmatter, Athen

Jeder erwarte die Revolution, zumindest eine Explosion, hatte zuvor noch eine der Demonstrantinnen im Zug des Linksbündnisses Syriza gesagt. "Und jeder wundert sich, warum sie noch nicht passiert ist." Da waren Zehntausende Menschen unterwegs zum Syntagma-Platz, ins Herz von Athen, wo die Protestzüge sich sammeln wollten. Dann verabschiedete sie sich, wollte nach Hause: "Ich habe das Gefühl, ganz Griechenland ist heute hier. Aber ich habe auch Angst. Als ob die Explosion bevorstünde."

Die Wut der Griechen entlädt sich in gewalttätigen Protesten: In Athen kam es zu schweren Zusammenstößen. (Foto: Foto: AFP)

Eine Stunde später waren drei Menschen tot. Verbrannt in der Filiale einer Bank nahe dem Omonia-Platz, auf die vermummte Randalierer Molotowcocktails geworfen hatten. Die Demonstranten hatten sich da längst zerstreut.

War das die Explosion? Wenn es denn eine war, dann war es keine des Volkszornes, sondern eine der Dummheit und der Menschenverachtung. Autonome Randalierer, meist aus dem Stadtviertel Exarchia, tummeln sich im Windschatten jeder Demonstration in Athen, nicht mehr als ein paar Dutzend meist. Sie werfen Steine, werfen Molotowcocktails, liefern sich Schlachten mit der Polizei.

Die Agenda der friedlichen Protestierer und die Bilder der ausländischen TV-Nachrichten kaperten sie dabei noch jedes Mal. Ihr größter Coup waren bislang jene Dezembernächte im Jahr 2008, als sie Athen in Brand steckten - damals unter dem heimlichen Beifall vieler Passanten. Menschen aber hatten die Vermummten nie getötet. Bis zu diesem Mittwoch. Augenzeugen berichten, die Autonomen hätten die Feuerwehrleute angegriffen und am Löschen gehindert. Am Ende stand auch ein Feuerwehrwagen in Flammen.

Hochkonjunktur für gefälschte Ware

Dabei begann der Tag so ruhig. Das Land lahmgelegt? Gut, die Flüge fielen aus, die Fähren streikten, und die Ärzte machten nur Notdienst. Wer aber nicht krank war und wer nicht ins Ausland wollte, der konnte sich an diesem Mittwoch halbwegs bequem durch Athen schlängeln. Die meisten Cafés und Restaurants hatten Tische auf die Gehsteige gestellt, die meisten Läden empfingen wie gewöhnlich Kunden, und Taxis und U-Bahnen wechselten sich ab mit dem Transport der Passagiere: Erst streikten die Fahrer der U-Bahnen, ab zehn dann die der Taxis.

Am Rande des Syntagma-Platzes hatte das McDonald's vor dem Eintreffen des autonomen Blocks wohlweislich seine Läden verrammelt Imperialismusverdacht!), der griechische Sandwichladen nebenan servierte den Demonstranten Snacks wie gewohnt. Ein paar Schritte von den Megaphonen des kommunistischen Trupps entfernt verkauften fliegende Händler aus Afrika wie jeden Tag ihre gefälschten Gucci-Handtaschen und Rolexuhren. "Die Geschäfte gehen nicht schlecht", sagt einer. "Jetzt, wo die Leute für das echte Zeug kein Geld mehr haben."

Rund 30.000 Menschen sollen der Polizei zufolge an den Demonstrationen in Athen teilgenommen haben. Die Angst und der Zorn, sie waren groß bei den Marschierenden. "Wir werden die Verlorenen sein", sagt ein Student der Polytechnischen Hochschule. "Wenn wir den Abschluss machen, bekommen wir keine Jobs - oder aber flexible Verträge, die alle Arbeiterrechte zunichtemachen, die hier in hundert Jahren erkämpft wurden." Sein Kommilitone wirft ein: "Wir haben die Asche gesehen, die der IWF in anderen Ländern hinterlassen hat." Viele fühlen sich betrogen.

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Zoe M. ist eine auf Vertragsbasis angestellte Lehrerin. Sie arbeitet seit sechs Jahren für 350 Euro im Monat, immer in der Hoffnung auf die Festanstellung, die der Staat ihr versprochen hat. Nun hat sie erfahren: Erstens wird ihr Lohn gekürzt. Und zweitens fällt wohl bald ihre Stelle weg. Es waren Zoe M.s Kollegen, die am Montagabend in ein Studio des staatlichen Senders ERT eindrangen und die Elf-Uhr-Nachrichten kaperten. "Es gibt ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit", sagt sie: "Keiner von den Räubern, die uns in diese Lage gebracht haben, ist je ins Gefängnis gegangen. Keiner von denen hat je etwas zurückgezahlt. Und nun sollen die Armen noch ärmer werden."

Polizisten vor der ausgebrannten Filiale der Marfin-Egnatia-Bank in Athen: In dem Gebäude fanden nach ersten Berichten drei Menschen in den Flammen den Tod. (Foto: Foto: dpa)

Solche Sätze hört man dieser Tage überall in Athen. Und dennoch lasse man sich von den Bildern der Demozüge nicht täuschen: "Hier demonstriert nicht Griechenland", sagt einer, "hier demonstriert der öffentliche Dienst." Warum die anderen nicht dazustießen? Weil sich der Zorn der Mehrheit nicht nur gegen EU und IWF richtet, sondern auch gegen den aufgeblähten Staatsapparat und gegen die Gewerkschaften.

Der Staatsapparat ist in den Augen vieler das zentrale Übel im Land. Hier demonstrierten nicht bloß betrogene Lehrerinnen und Krankenschwestern, hier demonstrierten auch die Privilegierten - die, die das Land ausgesaugt hatten. "Wir werden keinen kleptokratischen Kapitalismus in diesem Land erlauben!", war ein Slogan der Beamtengewerkschaft Adedy. Die Griechen aber finden kleptokratische Gewerkschaften nicht besser. Ende letzter Woche ergab eine Umfrage, dass fast 80 Prozent der Griechen sich für harte Einschnitte im öffentlichen Sektor aussprachen, während 70 Prozent Gehaltskürzungen in der Privatwirtschaft ablehnen: Dort arbeiten die Leute härter und verdienen weniger.

Die Angst vor der Zukunft hat das ganze Land erfasst. "Die Oberschicht denkt, sie kann mit dem Druck umgehen, und sieht das als Chance, das Land neu zu organisieren", sagt der Unternehmer Konstantinos G. "Die kleinen Leute aber kämpfen ums Überleben. Es herrscht schreckliche Angst in der Unterschicht. Immerhin müssen jetzt schon die meisten Griechen mit 700 Euro im Monat auskommen."

"Wie eine ausgebombte Stadt"

Wer mit Athenern spricht, bekommt das Gefühl, dass die Leute den Ernst der Lage sehr wohl verstanden haben. Aber sie sind nicht nur zornig, weil sie die Lasten ungerecht verteilt sehen - sie fürchten vor allem, ihre Opfer könnten umsonst sein: dann, wenn das Sparpaket den Konsum abwürgt und die Rezession verschärft, sodass das Land in einen Teufelskreis gerät.

Viele glauben, dass die Demonstration vom Mittwoch erst der Anfang war. "Im Moment kommt mir Athen vor wie eine ausgebombte Stadt, in der man keine Ruinen sieht", sagte die Rechtsanwältin Theodosia Economidou am Vorabend der Ausschreitungen. "Bisher ist ja alles Gerede vom Sparen nur Gefühl, nur schöne Literatur. Aber bald werden die Leute wirklich im Geldbeutel merken, wie viel ihnen fehlt. Sie werden Freunde und Verwandte erleben, die ihren Job verlieren, die verarmen. Und dann wird es wirkliche Reaktionen geben." Sie machte eine Pause und sagte: "Ich habe Angst, ich glaube, es wird Gewalt geben."

Am Mittwoch streikten auch die griechischen Journalisten. Und doch verbreitete sich die Nachricht vom Tod der zwei Frauen und des Mannes in der Marfin-Bank schnell. Ein Schock, ein weiterer für dieses Land. "Mir fehlen die Worte", sagt Kostas Kalfopoulos, ein Kolumnist der Zeitung Kathimerini: "In der Krise ist der Verstand Mangelware."

Auf dem Syntagmaplatz stand am Mittwochmorgen ein junger Mann, den Motorradhelm unterm Arm, auf dem T-Shirt dieser Spruch: "Das Volk soll keine Angst vor der Regierung haben. Die Regierung soll Angst vor dem Volk haben." Und jetzt?

© SZ vom 06.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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