ThyssenKrupp:Der Ofen ist aus

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Die Sonne geht hinter dem Thyssenkrupp Stahlwerk Schwelgern unter. (Foto: dpa)

Der Konzern steckt in der Krise, fast könnte man nostalgisch werden. Internationale Spekulanten gefährden Krupps Erbe: einen verantwortungsvollen Kapitalismus.

Kommentar von Joachim Käppner

Als der Pott noch kochte, trugen weitsichtige Mitarbeiter einmal ein delikates Ansinnen an Alfried Krupp von Bohlen und Halbach heran. Das war in den frühen Sechzigern; es gab erste Warnzeichen, dass die Stahlindustrie vor dem Niedergang stand. Aber diese Zeichen sah nur, wer sie sehen wollte, und das waren nicht viele in jener Aufbauzeit, als die Feuer in den Stahlschmieden noch loderten. Alfried Krupp jedenfalls, dem alleinigen Inhaber des damals größten deutschen Industriekonzerns, wurde nahegelegt, problematische Unternehmensteile lieber rechtzeitig zu verkaufen. Der Alte gab zur Antwort: Dann könnten ja Leute ihre Arbeit verlieren. Wenn diese Sparten weniger Geld bringen, müssten andere Sparten eben mehr einnehmen; nur so bleibe die Einheit des Konzerns gewahrt.

Das mag heute weltfremd klingen, aber solcher Verantwortungssinn fehlt heute leider, wenn es um die Zukunft des zu Thyssenkrupp fusionierten, breit aufgestellten Industrieriesen geht. Dessen Stabilität ist schwer erschüttert, an der Börse wird schon auf seine Zerschlagung oder den Zerfall gewettet. Vorstandschef Heinrich Hiesinger und der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner haben angesichts aggressiver, unter Heuschreckenverdacht stehender Investoren die Flucht ergriffen.

Sie schieben die Schuld an der Krise ausgerechnet der Krupp-Stiftung zu, die das Erbe der Alten verwaltet, durchaus im Wortsinn. Vor seinem Tod 1967 verfügte Alfried Krupp per Testament, dass die Firma im Einvernehmen als Einheit erhalten wird und an die Stiftung geht. Dafür sorgte, an ihrer Spitze monarchengleich waltend, jahrzehntelang Krupps Intimus Berthold Beitz. Der letzte Ruhr-Patriarch, der den alten Kanonenkonzern in ein ziviles Unternehmen verwandelt hatte, starb erst 2013, kurz vor seinem 100. Geburtstag. Aber es fühlt sich bereits an, als liege seine Ära ein Menschenalter zurück.

Manager können das Weite suchen, die Thyssenkrupp-Beschäftigten können das nicht

Die Spekulanten wie der schwedische Großaktionär Cevian greifen an, und die Verteidiger stehen ohne Führung da. Manager können das Weite suchen. Die meisten Beschäftigten, bei Thyssenkrupp immerhin fast 160 000, können das nicht. Die Sozialpartnerschaft, das Einvernehmen mit den Gewerkschaften hatten Beitz stets am Herzen gelegen, seine besten Freunde waren nicht Bosse, sondern Vertreter der Arbeitnehmer - selbst wenn er harte Vorstandsentscheidungen mittrug, wie das Ende des defizitären Rheinhausener Werks 1993. Aber bei allem Strukturwandel: Thyssenkrupp ist immer noch da.

Von der Stiftung also, die noch 21 Prozent der Aktien und eine faktische Sperrminorität hält, fühlte sich Vorstandschef Hiesinger verlassen, als er kürzlich die Stahlsparte mit dem indischen Großkonzern Tata zusammenschloss. Es gab einzelne Nein-Stimmen im Aufsichtsrat. Sie kamen aber nicht von der Stiftung, der jetzt vorgeworfen wird, das Erbe von Beitz und Krupp zu verraten, weil sie nicht klar genug gegen Cevian und für die Einheit von Thyssenkrupp eingetreten sei. Das mochte so gewirkt haben, weil die Stiftung in der Öffentlichkeit von je her zurückhaltend auftritt und hier zu defensiv kommunizierte; die Einheit des Unternehmens aber stellt sie gewiss nicht infrage. Andererseits ist nicht jede Änderung ein Verstoß gegen Beitz' Erbe. Er selber hatte vor zwanzig Jahren die Fusion mit Thyssen betrieben (den Einstieg von Tata und Ähnlichen aber abgelehnt).

Der Erbstreit im Hause Thyssenkrupp ist destruktiv und von persönlichen Empfindlichkeiten geprägt. So wächst die Gefahr der "Zerschlagung" eines halbwegs stabilen, wenn auch an der Börse dümpelnden Großunternehmens. Ein solcher Ausverkauf wäre eine gute Nachricht für Aktienzocker, aber wohl eine schlechte für viele Arbeitnehmer. Das eigentliche Problem sind die nach Rendite gierenden neuen Investoren. Sie haben sich, was kaum zu verhindern war, im Konzern durch Aktienkäufe erhebliche Macht geschaffen und fordern "Umbau", was in anderen Fällen der Anfang vom Ende gesunder Betriebe war. Diese wurden zerlegt und profitabel verkauft, wie ein Mietshaus, aus dem der neue Eigentümer eine Familie verjagt und das er dann in teure Eigentumswohnungen aufteilt. So weckt das einträgliche Aufzugsgeschäft von Thyssenkrupp Begehrlichkeit. In dieser Lage wäre es eigentlich ein Glück, im Notfall eine Bastion wie die Stiftung zu haben, an der sich Geldherausnehmer den Kopf einrennen würden. Was die bisherigen Aktionäre nun brauchen, ist Geschlossenheit und eine gemeinsame Gegenstrategie.

So ändert sich die Welt. Krupp: Der Name hatte einst einen finsteren Klang, er stand für grenzenlose Macht des Kapitals. Noch 1960 beschrieb Heinrich Böll die Ruhrarbeiter als dessen Opfer, "Phantome, Verlorene, Verdammte". Heute stehen andere für Macht ohne Grenzen - die großen Player der Globalisierung. Und der alte Riese Thyssenkrupp verkörpert plötzlich etwas, das man wieder zu schätzen lernt: die soziale Marktwirtschaft. Noch hat sie den Kampf um Krupps Erbe nicht verloren, aber gut sieht es nicht aus.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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