Gipfelstürmer:Gefährlich zufrieden

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Die Wirtschaft in Baden-Württemberg ist extrem stark. Doch die Innovationskraft leidet, weil Studienabgänger lieber gut bezahlte Jobs in der Industrie annehmen als zu tüfteln. Jetzt aber kommt langsam Bewegung ins Ländle.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Winfried Kretschmann lässt seinen Blick über die Halle 5 der Stuttgarter Messe kreisen, erhebt dann die Stimme und legt los mit einer Hymne auf die Unternehmer in Baden-Württemberg: "Das Silicon Valley wird zu eng und teuer, London hat den Brexit vor der Tür, Berlin ist sexy, o. k., aber wir haben Substanz", verkündet der grüne Ministerpräsident des Landes. Und weiter: "Wir sind die innovativste Region Europas." Es ist Kretschmanns Botschaft an den ersten "Start-up-Gipfel", zu dem er und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) in die Landeshauptstadt geladen haben. 1200 Gründer sind gekommen, um ihre Geschäftsideen zu präsentieren. "Ich bin beeindruckt von dieser Vielzahl innovativer Gründer", sagt Kretschmann. "Der Aufbruch hat begonnen, heute wird er sichtbar." Das Publikum applaudiert kräftig.

Nur einer sitzt da und schüttelt leicht den Kopf. "Ein bisschen weniger Schulterklopfen und ein bisschen mehr Action wäre gut", sagt Uwe Horstmann. Der 31-Jährige mit Jeans, Sneakers, Pulli, Dreitagebart und Wuschelfrisur sieht eigentlich aus wie einer der 1200, die hier einen Investor suchen. Doch er ist einer der wenigen, die das nötige Geld haben und nach Jungunternehmen mit Potenzial fahnden. Horstmann ist Mitgründer und Manager des Risikokapital-Gebers Project A aus Berlin. Seine Firma ist zwar auch erst fünf Jahre alt - doch 2016 hat ihn das Magazin Forbes in die Liste der wichtigsten 30 Europäer unter 30 Jahren aufgenommen. 260 Millionen Euro verwaltet Project A derzeit, für 180 Millionen suchen sie noch Investitions-Möglichkeiten. Auch im Ländle - aber das ist leichter gesagt als getan.

Wenn Horstmann über Baden-Württemberg spricht, klingt er etwas anders als der grüne Landesvater. "Der Standort ist gefährdet", sagt Horstmann. Redet da ein Berliner Überflieger den Standort der bodenständigen Schwaben schlecht? Immerhin hat Baden-Württemberg erst neulich wieder Platz eins belegt beim Innovationsranking. In der Region gibt es die meisten Patente pro Einwohner. Hier wird - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - so viel in Forschung und Innovation investiert wie fast nirgendwo sonst in Europa. So schlecht kann es also doch nicht stehen ums Ländle, oder?

Doch, sagt Horstmann, der selbst aus dem oberschwäbischen Biberach stammt. Die große Wirtschaftskraft der Region sei auch ihr großes Problem. Weil Zufriedene oft zur Trägheit neigen. Aber auch, weil hier die meisten Uni-Absolventen gar nicht auf die Idee kommen, eine eigene Firma zu gründen. "Die guten Studenten gehen alle zu Daimler oder Bosch ins gemachte Bettchen", sagt Horstmann, "und im November sind sie schon im Skiurlaub, weil sie ihre Überstunden abfeiern."

Baden-Württemberg gehe es schlicht zu gut. Anstellung, Häuschen, 35-Stunden-Woche. Das seien die Prioritäten der Hochschulabgänger im Südwesten Deutschlands. Im Südwesten der USA dagegen, dem erweiterten Silicon Valley, wollen junge Gründer ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln, die Welt verändern. Und auch: die etablierten Konzerne in Germany attackieren, in denen die zufriedenen Gleichaltrigen sitzen.

Vom Garagenboden hocharbeiten statt im Bürostuhl auf Flauschteppich niederlassen. Uwe Horstmann beschreibt die Gefahr so: "Bei uns wird die Leistung der letzten Jahre verwaltet, anderswo geben sie Vollgas." Er fordert ein Umdenken und liefert gleich den passenden Leitspruch dazu. In Anlehnung an Darwins Evolutionstheorie spricht er vom Überlebenskampf der Paranoiden. Im Silicon Valley lebten die Gründer nach dem Motto "Only the Paranoid survive". Nur die Paranoiden überleben? Im Ernst jetzt? "Ich würde sagen, wir sollten lieber zu paranoid sein als zu entspannt", sagt Horstmann. Mit Paranoia meine er die Angst, von Wettbewerbern ausgestochen und vom Markt verdrängt zu werden.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (zweiter von links) auf der Gründermesse in Stuttgart. (Foto: Uli Regenscheit)

In einem Start-up in den USA sei die Paranoia der Normalzustand, sagt Horstmann. "Sie wissen, dass alles schiefgehen wird, was schiefgehen kann." Und dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass ein Business-Plan auch in Erfüllung geht. Genau das sei die richtige Einstellung.

"Man muss schon kämpfen, dass die Besten einer Generation hierbleiben."

Horstmann kennt sich aus mit Businessplänen. Er ist bei Project A für die Auswahl neuer Geschäftsideen zuständig. "Wir kriegen 2000 Businesspläne pro Jahr." Davon schaue er sich 15 bis 20 genauer an. Am Ende steigt sein Unternehmen bei sieben bis zehn Firmen pro Jahr ein.

Das Geschäftsmodell geht so: "Wir helfen bei der Verwirklichung von Geschäftsideen, die kein Geld von der Bank bekommen, weil sie zu riskant sind." Project A kauft Anteile aussichtsreicher Start-ups. "Damit sitzen wir dann im gleichen Boot", sagt er, "aneinandergekettet". Bei Project A sind 100 Leute tätig, die die jungen Firmen mit Expertise unterstützen, zum Beispiel bei der Organisation, bei Steuern, Finanzierung, Marketing. "Und nach acht bis zehn Jahren verkaufen wir die Anteile - möglichst mit Gewinn."

2012 hatte Horstmann das Project A mit drei Freunden gegründet. Er brachte Geld und Wissen ein, das er in den fünf Jahren zuvor als Geschäftsführer bei Rocket Internet gesammelt hatte. "Nur zehn Prozent der Start-ups fliegen", sagt er, "dann aber richtig." Vor Kurzem verkaufte er die Firma Contorion, einen digitalen Marktplatz, an die Münchner Hoffmann-Gruppe. "Hoffmann hat verstanden", sagt Horstmann. "Die holen sich nicht nur Zahlen ins Unternehmen, sondern auch Fähigkeiten." Wichtige, zukunftsbringende Fähigkeiten. In Baden-Württemberg sähen viele Firmen den Bedarf noch nicht: Hier sind viele Mittelständler noch zurückhaltend bis skeptisch. "In München geht mehr, da ist mehr Dynamik drin. Die sind ein, zwei Umdrehungen weiter."

Auch für Project A hat sich der "Exit", so nennt man in der Start-up-Szene einen erfolgreichen Verkauf, gelohnt: Vor drei Jahren sind sie bei Contorion mit zwei Millionen Euro eingestiegen. Nun haben sie ihre Beteiligung für etwa 130 Millionen abgegeben. Kapital, das nun für Neues bereit- steht. "Ich würde gerne in Baden-Württemberg investieren", sagt Horstmann. Aber gefunden hat er noch nichts. Alle Hoffnungsträger bei Daimler und den großen Auto-Zulieferern untergekommen? Nein, mit einem Gründer ist Horstmann einig geworden. Aber der ist inzwischen nach Berlin gezogen.

"Die schlauen Köpfe sind extrem mobil und wollen an den spannendsten Projekten mitarbeiten", sagt Horstmann. Wenn Berlin oder Stanford lockt, könne man sich nicht darauf verlassen, dass die Elite "nur aus Heimatliebe" absage. "Man muss schon kämpfen, dass die Besten einer Generation hierbleiben." Das ist die Gefahr für Baden-Württemberg: Sollten die Fittesten weggehen, dann wird es nicht mehr lange das Land der Weltmarktführer sein. Sondern jenes der Ex-Weltmarktführer.

Weitere Artikel aus der SZ-Serie Gipfelstürmer finden Sie hier. (Foto: SZ-Grafik)

Die Politik hat das Problem erkannt. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hat deshalb einen Wagniskapitalfonds lanciert. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte das Land 20 Millionen Euro in den Fonds eingezahlt. Doch ihre Pläne wurden bei den Haushaltsberatungen auf fünf Millionen zusammengestrichen. Ob das reicht, um die Besten der Besten im Lände zu halten? Einige Unternehmen ziehen mit und zahlen in den Fonds ein. Andere Firmen wie Mahle, Trumpf oder EnBW haben ihre eigenen Risikotöpfe eingerichtet, um junge Gründer zu unterstützen. "Baden-Württemberg hat gute Unis, super Konzerne, gute Ideen und Talente", sagt Uli Huener, Leiter des Innovationsmanagements beim Karlsruher Energieversorger EnBW. Aber trotz des vorhandenen Geldes habe man es nicht geschafft, alle zusammenzubringen. "Wann kommt ein Student bei uns auf die Idee, Unternehmer zu werden?", fragt er. "Es gibt zu wenig Formate."

Daimler hat 2016 die Innovations-Plattform "Start-up-Autobahn" aufgebaut. Diese will - in Zusammenarbeit mit anderen namhaften Unternehmen - ambitionierte Gründungen anschieben. Ein Jahr nach dem Start spricht Daimler von der "größten Innovationsplattform Europas". Die Politiker sprechen von einer "exzellenten Förderlandschaft".

Daimler, Bosch - auch das waren einst sehr mutige Gründer

Aber Ministerpräsident Kretschmann räumt auch ein, dass es höchste Zeit zum Gasgeben ist: "Wir befinden uns in einem tiefen technischen und kulturellen Umbruch", sagt er auf dem Start-up-Gipfel. "Die erste Runde haben wir klar an die Amerikaner verloren. Aber wir haben wie keine andere Region die Chance, in der zweiten Runde in die Champions League aufzusteigen." Das werde aber nur gelingen, wenn die Unternehmen umdenken: "Wir müssen weg von der Fehlervermeidungskultur hin zur Innovationskultur", mahnt er. Das Risiko sei nicht, "etwas in den Sand zu setzen, sondern eine Chance zu verpassen". Kretschmann spricht von künstlicher Intelligenz und vom Internet der Dinge und betont: "Wir haben die Dinge." Er meint die Maschinen, die es beim Internet der Dinge zu vernetzen gilt. "Das ist unsere Chance, und ich will, dass wir sie nutzen." Wieder gibt es Applaus.

Diesmal widerspricht Uwe Horstmann nicht. "Ja, man könnte hier den nächsten Global Player bauen, wie es SAP vorgemacht hat." Der Walldorfer Software-Hersteller war 1972 eine Ausgründung von IBM, jetzt, nach 45 Jahren ist er das wertvollste Dax-Unternehmen Deutschlands. Vor Daimler. Und man erinnert sich: Gottlieb Daimler verließ einst die Kölner Gasmotorenfabrik Deutz, um seinen Traum vom Verbrennungsmotor zu verwirklichen. In der Gartenlaube hinter einem Wohnhaus. Robert Bosch fing mit einer Hinterhofwerkstatt in Stuttgart an und musste lange kämpfen. "Es waren mutige Gründer, die dieses Land zu dem gemacht haben, was es heute ist", sagt Kretschmann. Und Horstmann ergänzt, solche mutigen Leute brauche es nun, um den Status quo nicht zu verlieren. Aber welcher Top-Absolvent will sich das antun, wenn der Supervertrag mit dem Mercedes-Stern obendrauf auf dem Tisch liegt?

"Wir müssen den Spirit in die Jugend hineintragen", sagt Ministerin Hoffmeister-Kraut, "und die Lust aufs Gründen stärken." Wie man das schafft, hat sie sich auf einer Reise durch Israel angesehen. Mit dabei war auch Peter Kulitz, Präsident der IHK Ulm. Er sagt: "Früher wollten junge Israelis Kampfpiloten werden, aber jetzt Start-up-Unternehmer." Das liege vor allem an den erfolgreichen Vorbildern. Auf Baden-Württemberg übertragen, heißt das: Von jenen, die von einer Karriere bei Daimler oder Bosch träumen, muss man möglichst viele dazu bringen, eine viel riskantere Zukunft als Start-up-Unternehmer anzustreben. Da wird noch einige Überzeugungskraft nötig sein.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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