Zu allem Überfluss drohe auch noch die Schließung des Nirosta-Edelstahlwerkes von Thyssen-Krupp mit 450 Beschäftigten. Das fürchten sie hier. Der Essener Konzern hat sich mit einem Stahlwerk in Brasilien übernommen und macht Milliardenverluste. "Noch hält der große alte Mann die Hände über uns." Kleinebrahm meint damit Berthold Beitz, der noch immer das entscheidende Wort in dem Traditionskonzern hat. Aber der ist 98 Jahre alt. "Irgendwann kommt der Tag . . .", sagt sie und bringt den Satz nicht zu Ende. Sie hat nasse Augen. Die Stahlwerke von Thyssen-Krupp in Brasilien, "die reißen uns hier mit", sagt Kleinebrahm bitter.
Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz muss Investoren in die Region zu locken. Doch die Menschen sind mürbe.
(Foto: dpa)Aber sofort hat sie sich wieder im Griff. Es sei ja nicht alles schlecht hier, der Standort habe noch immer einiges zu bieten. "Bochum hat einen guten Industriemix", sagt sie, viele Mittelständler und Familienbetriebe. Erfolgreiche Unternehmen allesamt, manche seien weltweit führend.
Kleinebrahm ist in Duisburg geboren, aber ihre Wahlheimat findet sie einfach klasse. "Hier ist doch tausendmal mehr los als woanders", schwärmt sie. Hier gebe es den "Starlight Express", das Rollschuh-Musical von Lloyd Webber, das seit 22 Jahren eine eigene Halle füllt. Jeder kenne das Schauspielhaus und, nicht zu vergessen, "das Bermuda-Dreieck", das Kneipenviertel von Bochum. Doch es gibt auch noch eine Realität, die die resolute Gewerkschafterin nicht schönreden kann. "Wir konnten die Jobs nicht wieder aufbauen, die wir verloren haben."
Detroit entscheidet über die 380.000-Einwohner-Stadt
Investoren in die Region zu locken, das ist Aufgabe von Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, 63. Zum Thema Krise kann die zierliche Frau mit der randlosen Brille viel erzählen. Es war 2004, ihr erster Arbeitstag als OB, morgens um neun. Da kam die Nachricht, General Motors wolle das Opel-Werk in Bochum schließen. Die Empörung war groß, und es gab einen riesigen Protestzug, "der ging vom Werk bis zum Schauspielhaus". Mehr als 20.000 Leute waren für die Opel-Arbeiter auf die Straße gegangen. Damals konnten sie den Eigentümer General Motors beeindrucken. Und jetzt? "Wir werden am 28. Juni hören, wie Detroit entschieden hat." Bochum wartet.
Dabei war Scholz gerade noch froh gewesen, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt unter die Zehn-Prozent-Marke gerutscht war. Für die Region ein guter Wert, aber die Freude darüber wird von kurzer Dauer sein. "Was bei Opel passiert, das drückt auf die Stimmung", sagt die Oberbürgermeisterin. Vor acht Jahren seien die Menschen noch kämpferisch gewesen. Heute sei das anders. Die ständige Sorge um die Jobs "macht die Menschen mürbe". Das Schlimmste sei das Verlierer-Image der Stadt. Das müsse man bekämpfen. Es ergebe sich doch immer etwas Neues, und manchmal könne man einfach nichts machen. "Glauben Sie mir", sagt sie, "man kann sich sogar an Katastrophen gewöhnen."
"Wir haben viele Potenziale in der Stadt"
Manchmal schaut die SPD-Politikerin im Gespräch suchend auf den Boden in ihrem Büro oder hinaus aus dem Fenster, als wären dort Lösungen zu finden. Einmal rutscht ihr das "Sch . . ."-Wort heraus, es ist ihr keine Sekunde peinlich. Und dann sagt sie trotzig: "Wir haben viele Potenziale in der Stadt." Die Stadt habe schon viel verkraftet.
Sie redet vom Theater und vom neuen Gesundheitscampus NRW, für den die Stadt den Zuschlag erhielt und der Arbeitsplätze bringt. Und natürlich spricht sie von der Universität. Die ist jetzt der größte Arbeitgeber der Stadt und deren große Hoffnung: Die Hochschule soll neue Unternehmen mit anspruchsvollen Jobs bringen.