Stimmung in der Wirtschaft:Ja, aber

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Halbvoll oder doch eher halbleer? Zwar mehren sich die Anzeichen, das Schlimmste der Krise sei überstanden - aber so weit sind wir noch lange nicht.

Marc Beise

Den Deutschen wird häufig vorgeworfen, sie seien die größten Bedenkenträger auf dem Globus. Erfreuliche Situationen nähmen sie kaum wahr, während jede schlechte Nachricht zum Trend stilisiert werde. Ein zur Hälfte gefülltes Glas sei ihnen halbleer, während es anderen Nationen bezeichnenderweise halbvoll erscheine. Die Deutschen könnten nicht anders, als bestenfalls "Ja, aber" zu sagen.

Hang zum Negativen: Das Glas ist halbleer und nicht halbvoll. (Foto: Foto: dpa)

Ja, wir sind immer noch ein großes und wohlhabendes Land, aber wir müssen um unsere Zukunft kämpfen. Diese Aussage leuchtet nicht jedem ein. Schon gar nicht im Ausland, dort werden die Deutschen eher belächelt. "The German Angst" ist ein geflügeltes Wort in Ländern, die den Deutschen ihre Sorgen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung vorwerfen. Länder, die sich über ebendiese Zukunft eher wenig Gedanken machen; leider auch nicht darüber, wie ihr Lebensstil den Rest der Welt tangiert. Es ist schon ziemlich dreist, wie London und New York erst die Welt mit abenteuerlichster Finanzakrobatik an den Rand des Chaos gebracht haben, sich nun die Reparaturen von anderen Staaten kräftig mitbezahlen lassen - selbst aber schon wieder ziemlich guter Dinge sind; war was?

Die Deutschen dagegen nehmen die Krise ernst. Sie leiden an ihr, kämpfen mit ihr, quälen sich damit, Kontrollmechanismen zu ersinnen, die eine solche Krise in Zukunft verhindern würden. Selbst in Frankfurt und München, wo die deutschen Banker und Finanzjongleure sitzen, sind ein Jahr nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers, der die große Krise heraufbeschwor, noch reichlich Dosen an Zerknirschtheit und Selbstkritik wahrzunehmen. In den wichtigsten Finanzzentren der Welt dagegen, in New York und London, geht's weiter wie zuvor.

Derzeit mehren sich auch in Deutschland die Anzeichen, dass das Schlimmste der Krise überstanden sein könnte. Beinahe täglich kommen positive Konjunkturindikatoren herein. Die Auftragslage vieler Unternehmen verbessert sich wieder. Einige schreiben wieder Gewinn, selbst in der kriselnden Autoindustrie. Der Einzelhandel ist nicht so stark eingebrochen wie befürchtet. Die Konsumlaune ist weiter gut. Die Arbeitslosigkeit steigt nicht so schnell wie vorausgesehen. Der Export legt wieder zu. Ja, das ist schön. Aber dies alles ist eben nur ein Teil der Wahrheit.

Auf die Aussagen vieler Chefvolkswirte und Analysten darf man in diesem Zusammenhang nichts geben. Die Branche hat sich selbst demontiert. Aus dem großen Blick in die Zukunft ist ein Hecheln hinter den monatlichen Trends geworden. Schon rufen die ersten "Entwarnung" und beginnen die Wachstumsprognose für 2009 (im Schnitt minus sechs Prozent) nach oben zu korrigieren; dabei hat keine Aussage länger als vier Wochen bestand.

Wenn es jetzt überall einige Prozente aufwärtsgeht, geschieht dies doch von sehr niedrigem Niveau aus. Es heißt nur, dass wir - vermutlich - in der Talsohle der Krise angekommen sind. Es ist in diesem Zusammenhang chic geworden, in Buchstaben zu sprechen. In diesem Sinne kann es sein, dass der Konjunkturverlauf kein "U" sein wird: tief runter und lange unten. Erst recht vielleicht kein "L": tief runter und noch länger unten. Derzeit sieht es eher nach einem "V" aus: tief runter, aber auch verhältnismäßig schnell wieder hoch. Noch allerdings ist die Gefahr nicht gebannt, dass aus dem "V" ein "W" wird und den positiven bald wieder negative Nachrichten folgen.

Die wichtigeren Trends sind ohnehin längerfristig, sie korrigieren sich nicht alle paar Monate - und ausgerechnet sie sind weiterhin vorwiegend unerfreulich. Die Rekordverschuldung als Folge der Bankenrettung ist eine schwere Bürde für die kommenden Jahre. Die Weltkonkurrenz ist in der Aufholjagd um die besten Plätze in der Weltwirtschaft aus den Startblöcken heraus, China und Indien voran. Mit dem Anstieg der deutschen Arbeitslosigkeit auf bis zu fünf Millionen wird die Sozialversicherung unter Druck kommen. Der Arbeitslosenbeitrag, der von 6,5 auf 2,8 Prozent gesunken ist, wird wieder steigen. Die Krankenversicherungsbeiträge sind nicht zu halten. In der Pflegeversicherung schrumpft der Überschuss. Am Ende werden möglicherweise die Unternehmen bei den Beitragssteigerungen zuvorkommend behandelt; umso mehr trifft es dann die Privaten.

Damit aber ist es wieder vor allem die Mittelschicht, die zahlen muss - obwohl doch sie den nächsten Aufschwung bewerkstelligen müsste. Mit jedem Jahr steigt deren Steuer- und Abgabenbelastung, auch wenn Tarifsenkungen das Gegenteil suggerieren. Nur ein kleiner Teil der jetzt zur Bundestagswahl antretenden Parteien hat dieses Thema überhaupt auf der Tagesordnung. Und auch dort ist noch sehr die Frage, wie viel die Versprechen etwa von Steuerentlastungen wirklich wert sind.

Alles wird gut? So weit sind wir noch lange nicht. "Ja, aber" hat deshalb weder etwas mit pessimistischer Weltsicht zu tun noch mit ideologischen Scheuklappen. Nur wer Positives und Negatives sieht, ist überhaupt auf dem Weg zur bestmöglichen Lösung. In diesem Sinn wäre derzeit Entwarnung so ziemlich das Dümmste, was zu empfehlen wäre.

© SZ vom 10.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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