Sportwetten-Verbot:Verspäteter Faschingsscherz

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Justiz skurril: Westlotto darf keine Sportwetten mehr an Hartz-IV-Empfänger verkaufen - weil die Konkurrenz geklagt hat. Die Verfügung verstimmt. Und macht viele ratlos.

Verena Wolff

Kurioser Richterspruch: Westlotto darf nach einem Entscheid des Kölner Landgerichts vorerst keine Sportwetten an Hartz-IV-Empfänger verkaufen. Bei dem Entscheid handelt es sich um eine einstweilige Verfügung, die vom Gericht nicht begründet wurde. Dies teilte der Sprecher des Kölner Landgerichts, Dirk Eßer, mit. Sie gilt nur für die Westdeutsche Lotterie GmbH in Münster (Westlotto). Die zeigte sich schockiert über das Verbot. "Ich weiß nicht, wie Mitarbeiter in den Annahmestellen in der Lage sein sollen, das Einkommen von Kunden zu überprüfen", sagte Westlotto-Sprecher Axel Weber. Die Lotterie werde ihre Mitarbeiter nicht anweisen, Gehaltsbescheinigungen zu verlangen. Das sei "weltfremd". Einen Spieler zu sperren, sei nur nach "umfangreicher Prüfung" möglich.

Das Landgericht in Köln hat Westlotto untersagt, Lottoscheine an Hartz-IV-Empfänger zu verkaufen. (Foto: ddp)

"Ich habe meine Zweifel, ob der Richter das so entscheiden durfte", sagte ein Sprecher des Erwerbslosenforums, einer bundesweiten Selbsthilfegruppe. Hartz-IV-Empfängern müsse selbst überlassen werden, was sie mit ihrem Geld machen. Zwar schreibt der Glücksspielstaatsvertrag fest, dass Minderjährige, Spielsüchtige, aber auch Menschen mit geringen Einkünften wie Hartz-IV-Empfänger vor Glücksspielen geschützt werden müssen . "Dazu müsste man aber Erhebungen haben, wonach Hartz-IV-Empfänger öfter spielsüchtig sind als andere."

Es habe nur eine einstweilige Verfügung und kein Urteil vom Kölner Gericht gegeben, "aber man muss sich erstmal dran halten, denn es drohen 250.000 Euro Geldstrafe oder ein halbes Jahr Gefängnis bei Verstoß".

Doch wie das skurrile Verbot in der Praxis umgesetzt werden soll, ist unklar. Mitarbeiter in Lotto-Annahmestellen an Rhein und Ruhr sind verunsichert, schließlich gibt es keine Merkmale, an denen man Hartz-IV-Empfänger erkennt. "Ich frage mich, wie wir damit umgehen sollen", sagte Birgit Hälker, Inhaberin eines Lotto-Ladens in Münster. "Ich kann ja nicht sagen, 'bring mir mal deinen Einkommensbescheid vorbei'." Ein Kiosk-Besitzer in Düsseldorf bezeichnete das Verbot als "lächerlich und diskriminierend".

Das Erwerbslosenforum reagierte zynisch und rief alle Lotto spielenden Hartz-IV-Empfänger auf, sich in einem Internetforum zu "outen". Die Beteiligung im Internet ist rege, auch im Diskussionsforum geht es zur Sache.: "Käse" sei das Urteil, "Blödsinn", "absurd" und das Werk "eines Richters, der nicht alle Tassen im Schrank" habe.

In Justizkreisen wurde der Fall als verspäteter Faschingsscherz aufgenommen. Man warnt allerdings, den Fall allzu hoch zu hängen.

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Beantragt worden war die einstweilige Verfügung von dem Sportwetten-Anbieter Tipico. Das Unternehmen hatte Westlotto vorgeworfen, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und den seit 2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrag missachtet zu haben. Das Gericht bewertete den Vorwurf als glaubhaft und erließ deshalb die Verfügung. Möglicherweise hat der Kläger sogenannte Testkäufe vorgenommen. Dabei könnten in diesem Fall zwei Leute in einer Lotto-Annahmestelle erschienen sein und sich laut unterhalten haben in der Art von: "Wie kommst du denn mit Hartz IV aus?" Wenn ihnen anschließend dennoch eine Sportwette verkauft worden ist, wäre dies nach Ansicht des Gerichts ein Verstoß gegen die geltenden Bestimmungen.

Der klagende Wettanbieter trage seinen Konkurrenzkampf "auf dem Rücken von Hartz-IV-Betroffenen aus", betonte der Sprecher des Erwerbslosenforums. "Wenn man solche Entscheidungen weiterdenkt, muss es dazu kommen, dass man nur noch Gutscheine ausgibt und unterstellt, die Hartz-IV-Empfänger könnten grundsätzlich nicht mit Geld umgehen." Zudem seien nicht die Lottogesellschaften, von denen Westlotto die größte in Deutschland ist, sondern die illegalen Anbieter das Problem.

Auch mache es keinen Sinn, etwas in einem Bundesland zu unterbinden und in den 15 anderen nicht. "Der Richter muss sich schon fragen lassen, was er für ein Weltbild hat - das scheint mir doch sehr von Herrn Sarrazin beeinflusst, nach dem Hartz-IV-Empfänger ihr Geld verzocken und versaufen."

Auch die Länder reagierten erstaunt auf das jüngste Urteil des Kölner Landgerichts. "Ich nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass andere Gerichte gelegentlich zu völlig anderen Ergebnissen kommen", sagte der Regierungschef von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU). Der rheinland-pfälzische Ministerpräsient Kurt Beck (SPD) sagte zu der einstweiligen Verfügung, eine Frage sei die mögliche Kontrolle. Man könne bei der Abgabe eines Lottoscheins schwerlich jedes Mal fragen, ob derjenige Hartz-IV-Empfänger sei. Er denke auch, dass allein die engen Finanzmittel von Hartz-IV-Empfängern schon dafür sorgten, dass für Sportwetten nicht erhebliche Summen ausgegeben werden, sagte Beck.

Westlotto kündigte an, "unverzüglich" Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einzulegen.

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