Spielwarenmesse:Greif-Ring mit iPhone

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"Mamas cooles, elektronisches Spielzeug in Kinderhänden": Noch nie blinkte und piepste es derart in den Kinderzimmern. Die Nürnberger Spielwarenmesse, einst letztes Refugium für Traditionalisten, zeigt: Auch Anbieter klassischer Produkte setzen mittlerweile auf moderne Technik.

Uwe Ritzer, Nürnberg

Darauf hat die Welt ohne Zweifel gewartet: ein runder Greif-Ring für Säuglinge mit Halterung für ein iPhone. Schließlich spielt heutzutage jedes Kind mit einem iPhone. Fisher Price hat das bizarre Spielzeug auf den Markt gebracht. Damit "Mamas cooles, elektronisches Spielzeug künftig auch zum sicheren und unbedenklichen Spielvergnügen für kleine Kinderhände wird", wie es heißt. Bei der am Mittwoch beginnenden weltgrößten Spielwarenmesse in Nürnberg ist das Plastikteil in der Kategorie Babyspielzeug allen Ernstes für einen Innovationspreis nominiert.

Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen klassische Spielzeughersteller vor allem ihre pädagogischen Ansprüche hervorkehrten und jedweden elektronischen oder digitalen Schnickschnack zum Teufelszeug erklärten. Bis vor ein paar Jahren war das noch so, und die Nürnberger Spielwarenmesse schien das letzte Refugium dieser reinen Lehre zu sein. Doch die Traditionalisten wurden überrollt. Noch nie blinkte und piepste es derart in den Kinderzimmern, wo inzwischen sogar Mini-Flugzeuge mit winzigen Kameras Einzug halten. Längst lassen sich sogar Lego-Steine mit passenden Computerspielen kombinieren. Das bloße Zusammenstecken von Teilen und kindliche Phantasie reichen nicht mehr.

"Neuheiten sind das Lebenselixier unserer Branche", sagt Otto E. Umbach, Geschäftsführer von Europas größtem Einkaufs- und Marketingverband idee+spiel und einer der erfahrendsten Trendscouts der Branche. Mehr als die Hälfte seines Umsatzes erwirtschaftet der Handel mit Spielzeug, das maximal ein paar Monate auf dem Markt und nach spätestens einem Jahr von selbigem wieder verschwunden ist. Für 2012 prophezeit Umbach "Outdoor, Rollenspiele, Lizenzprodukte und iToys als große Trends". Letzteres meint wohl auch Produkte wie den iPhone-Halter für das Baby.

Elektronische Konkurrenz, Geburtenknick und der rasante Trend zu Elektronik und Computerspielen sorgten bei klassischen Herstellern und Fachhändlern bis vor wenigen Jahren für große Sorge. Das ist vorbei, vorerst zumindest. "2011 war ein gutes Spielwarenjahr", sagt Umbach. Die Branche setzte in Deutschland 2,7 Milliarden Euro und damit sieben Prozent mehr um als im Jahr zuvor. Der Handel und fast alle großen Markenhersteller meldeten im Vorfeld der Spielwarenmesse steigende Umsätze. Einzig Playmobil überraschte negativ mit Stagnation. Deutschlands größter Spielwarenhersteller, die Fürther Simba-Dickie-Gruppe, legte hingegen beim Umsatz um neun Prozent auf 620 Millionen Euro zu. "Die Ertrags- und Finanzlage ist unverändert gut, solide und stabil", sagte Michael Sieber, der Eigentümer des Unternehmens, zu dem unter anderem der Bobby-Car-Hersteller Big und der Modellbauer Schuco gehören. Für das Jahr 2012 rechnet Sieber mit weiterem Wachstum.

Hersteller wie Simba-Dickie profitieren davon, dass die Konsolenbauer schon lange keinen Megaseller mehr platzieren konnten. "Nintendo weiß noch nicht einmal, dass es ein Internet gibt", ätzte dieser Tage Börsenanalyst Michael Pachter von Wedbush Morgan über ungenutzte Online-Potentiale des Konsolen-Herstellers. Von dessen Schwächen profitiert die klassische Spielwarenbranche. Sie verkauft mehr und teurere Produkte. "Die Verbraucher sind eher bereit als früher, für ein Spielzeug mehr als 40 Euro auszugeben", sagt Werner Lenzner vom Marktforscher npdgroup.

Karneval, Halloween, Kindergeburtstag

Besser als ihre Kollegen in manch anderen Einzelhandelssparten haben sich viele Spielwarenfachhändler auf den Verkaufskanal Internet eingelassen und vertreiben ihre Ware auch dort. Andere bearbeiten erfolgreich mit speziellen Angeboten zahlungskräftige Zielgruppen wie Männer, Teenager oder Senioren. Man will damit auch unabhängiger vom Weihnachtsgeschäft werden, in dem 2011 fast ein Drittel des Jahresumsatzes erwirtschaftet wurde. Dementsprechend lockt man die Kundschaft mit Angeboten und Aktionen zu Ostern, Karneval, Halloween oder für Kindergeburtstage.

Den Herstellern ist das naturgemäß recht; sie kämpfen mit ganz anderen Problemen. Zeitweise ließen sie bis zu 80 Prozent der Spielwaren von Zulieferern in China fertigen. Inzwischen sind es noch 60 Prozent; Tendenz weiter sinkend. Denn die Probleme in China werden immer größer.

Die Löhne ziehen deutlich an, und der Staat will in den Boomregionen im Süden des Landes lieber andere, hochwertigere Waren gefertigt wissen. Die Spielzeugproduktion wird ins Landesinnere abgedrängt, wo es aber an der nötigen Infrastruktur mangelt. Das erschwert den Transport, der auch wegen steigender Rohstoffpreise ohnehin schon drastisch teurer wurde. Die Rückverlagerung der Produktion etwa nach Europa scheitert daran, dass mit der Verlagerung nach China das branchenspezifische Fertigungs-Know-how in Europa weitgehend verlorengegangen ist.

© SZ vom 31.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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