Soziales:Behinderten-Hilfen: Ministerium will Rahmenvertrag kündigen

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Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne. (Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Behindertenwerkstätten, integrative Kitas, Wohngruppen: Rund 28.000 Menschen mit Behinderungen profitieren derzeit von Hilfen zur Eingliederung. Wie geht es weiter, wenn der Vertrag gekündigt wird?

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Magdeburg (dpa/sa) - Wohlfahrtsverbände und Parteien haben die Entscheidung des Sozialministeriums scharf kritisiert, den Landesrahmenvertrag einseitig zu kündigen, der unter anderem Hilfen für Menschen mit Behinderungen regelt. Die Kündigung zum Jahresende könne weitreichende Auswirkungen haben, teilte die Liga der Freien Wohlfahrtspflege Sachsen-Anhalt am Montag mit. Es gehe nicht nur um die Kündigung eines Vertrages, sondern um ein staatliches und gemeinschaftliches Versprechen, dass die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen als Menschenrecht beschreibt, erklärte Vorstandsvorsitzende Antje Ludwig. Unter dem Dach der Liga sind nach eigenen Angaben alle gemeinnützigen Spitzenverbände sozialer Arbeit organisiert, unter anderem Awo, Caritas und Diakonie.

Der Landesrahmenvertrag regelt nach Angaben der Wohlfahrtsverbände die Leistungen und Vergütungen, die von den Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen erbracht werden. Dazu zählen unter anderem Behindertenwerkstätten, integrative Kindertageseinrichtungen und Wohnangebote.

Das Haus von Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) bestätigte auf Anfrage, dass das Ministerium beabsichtige, den Landesrahmenvertrag fristgemäß zu kündigen. Ziel sei es, im Rahmen einer Neuverhandlung die wesentlichen Ziele des Bundesteilhabegesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention besser umzusetzen, erklärte eine Sprecherin. Dies sei trotz intensiver Bemühungen bisher nicht zufriedenstellend gelungen. Dafür müssten auch effizientere Verhandlungs- und Entscheidungsstrukturen vereinbart werden. So habe Sachsen-Anhalt die höchste Dichte an besonderen Wohnformen in stationären Einrichtungen. Zudem müssten auch Alternativen zur Beschäftigung in Werkstätten geschaffen werden. Menschen mit Behinderungen müssten mehr Chancen zur Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten, so eine Ministeriumssprecherin. Derzeit erhalten nach Ministeriumsangaben rund 28.000 Menschen in Sachsen-Anhalt Leistungen der Eingliederungshilfe.

Die Auswirkungen seien nicht abzusehen, erklärte Frieder Weigmann, Pressesprecher der Diakonie Mitteldeutschland. Es sei nicht so, dass zum 1.1.2025 alle Angebote für behinderte Menschen eingestellt würden. Die Ungewissheit führe aber dazu, dass sich möglicherweise einige Träger zurückziehen könnten und dadurch weniger Angebote zur Verfügung stehen würden. Ohne den Rahmenvertrag müssten alle Träger der Behindertenhilfe selbst Leistungen und Vergütungen verhandeln. „Das ist eine Lähmung mit Ansage.“

Kritik an der Entscheidung der Sozialministerin kam nicht nur von Verbänden, sondern auch aus der Opposition. Die Kündigung müsse umgehend gestoppt werden, forderten die Grünen im Landtag. Mit dem Vorgehen stoße das Sozialministerium die Träger vor den Kopf. Der Vertrag sei sechs Jahre verhandelt worden und bilde eine wichtige Grundlage für gemeinsame Fach- und Qualitätsvorgaben, hieß es in einer Mitteilung der Fraktion. Die Kündigung würde das Land um Jahre zurückwerfen.

„Dies ist ein unglaublicher und bundesweit einmaliger Vorgang“, sagte die Sprecherin der Linksfraktion für Menschen mit Behinderung, Nicole Anger. Noch Anfang Februar sei den Mitgliedern des Sozialausschusses vom Ministerium dargelegt worden, dass man auf einem guten Weg sei und die letzten offenen Punkte innerhalb des Rahmenvertrages verhandele.

Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Tobias Krull, sagte, die einseitige Kündigung sei ein falscher Schritt mit erheblichen negativen Auswirkungen. Probleme bei der Gestaltung des Landesrahmenvertrages seien zwar bekannt, es hätte aber noch die Chance auf Einigung gegeben. „Es braucht Kooperation statt Konfrontation.“ Die CDU-Fraktion kündigte an, das Ministerium in der kommenden Woche im Sozialausschuss zu befragen.

© dpa-infocom, dpa:240325-99-462073/3

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